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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Zur Landes- und Volkskunde Japans.

von Feuchtigkeit während des ganzen Jahres als die Länder an der Küste des
Gelben und Japanischen Meeres. Die klimatischen Gegensätze zwischen Sommer
und Winter sind demzufolge in Japan größer als in den auf gleicher Breite
liegenden Mittelmeerländern. So hat z. B. die Hauptstadt Tokio ein rauheres
Klima als die auf derselben Breite liegende Insel Malta, und während auf der
Insel Madera selbst im Winter das Thermometer nicht unter 12° C. sinkt und
die mittlere Jahrestemperatur zwischen 1ö--16" C. liegt, so hat das nur wenige
Minuten nördlicher liegende Nangasaki im Winter zuweilen Schnee und Eis
und eine mittlere Jahrestemperatur von nur 6,3" C.

Diese starken klimatischen Gegensätze bewirken nun auch auffällige Verschieden¬
heit des Vegetativnscharakters. Die Flora Japans ist durch große Mannich-
faltigkeit der Formen und eine fast tropische Üppigkeit ausgezeichnet und hat daher
schon früher das Interesse der europäischen Botaniker und Pflanzengeogrnphen
erregt. Aber auch die Japaner selbst, die für schone Blumen eine große Vor¬
liebe hegen, haben viel zur Kenntnis der Gewächse ihrer heimatlichen Flora bei¬
getragen; namentlich hat die alte chinesische Heilkunde, der man früher folgte,
von Hunderten von Gewächsen die Erkenntnis und genaue Bestimmung durch
Wort und Bild nötig gemacht. Die lange Dauer der kälteren Jahreszeit beschränkt
die Vegetationsperiode der meisten Gewächse in Jezo auf fünf, im mittleren
Japan auf sechs, im südlichen auf sieben Monate des Jahres und unterbricht
auch das Wachstum der Holzgewächse, selbst der immergrünen. Man hat wohl
als Beispiel für die Eigentümlichkeit Japans hervorgehoben, daß dort neben
dem Bambusrohr, der Palme und der wintergrünen Eiche die nordische Kiefer
gedeiht, und daß man die blattwechselnden Baumtypen unsrer Wälder dort wieder¬
findet, ferner daß neben den Affen anch Bären vorkommen. Betreffs der Palmen
und des Bambusrohres muß aber doch bemerkt werden, daß dieselben nur in¬
folge der Kultur nordwärts bis zur Bucht von Antv, ja stellenweise noch höher
hinauf, vorkommen, nicht aber wild wachsend, und die Oyoas rsvolutA muß in
Tokio durch Umwickeln mit Stroh gegen die Nachtfröste des Winters geschützt
werden. Selbst in den südlich gelegenen Landtcilen ist die Vegetation anfangs
April noch weit zurück; erst Anfang Mai beginnt unter einer kräftigen Inso¬
lation, gepaart mit reichen, häufigen Regengüssen, die Vegetation jene Mannich-
faltigkeit und Fülle zu entwickeln, die an die Tropen erinnert, und die im
Mittelmcergebiet nirgends zu finden ist. Den warmen, befruchtenden Sommer-
regeu verdankt Japan sein reiches Pflcmzcnkleid und die Möglichkeit, auf dem¬
selben Felde zweimal im Jahre ernten zu können.

Ebenso wie die Flora Japans viele europäische Formen aufweist, so tritt
auch in der Tierwelt die Habitusähnlichkeit mit der europäischen Fauna fast
in allen Klassen hervor. In der an Individuen reichen Meeresfauna finden
sich viele tropische Formen. Auch hier reiche" sich also wie bei der Flora Tropen
und Polarregionen gewissermaßen die Hand, indem die Lage und Längenaus-


Zur Landes- und Volkskunde Japans.

von Feuchtigkeit während des ganzen Jahres als die Länder an der Küste des
Gelben und Japanischen Meeres. Die klimatischen Gegensätze zwischen Sommer
und Winter sind demzufolge in Japan größer als in den auf gleicher Breite
liegenden Mittelmeerländern. So hat z. B. die Hauptstadt Tokio ein rauheres
Klima als die auf derselben Breite liegende Insel Malta, und während auf der
Insel Madera selbst im Winter das Thermometer nicht unter 12° C. sinkt und
die mittlere Jahrestemperatur zwischen 1ö—16" C. liegt, so hat das nur wenige
Minuten nördlicher liegende Nangasaki im Winter zuweilen Schnee und Eis
und eine mittlere Jahrestemperatur von nur 6,3" C.

Diese starken klimatischen Gegensätze bewirken nun auch auffällige Verschieden¬
heit des Vegetativnscharakters. Die Flora Japans ist durch große Mannich-
faltigkeit der Formen und eine fast tropische Üppigkeit ausgezeichnet und hat daher
schon früher das Interesse der europäischen Botaniker und Pflanzengeogrnphen
erregt. Aber auch die Japaner selbst, die für schone Blumen eine große Vor¬
liebe hegen, haben viel zur Kenntnis der Gewächse ihrer heimatlichen Flora bei¬
getragen; namentlich hat die alte chinesische Heilkunde, der man früher folgte,
von Hunderten von Gewächsen die Erkenntnis und genaue Bestimmung durch
Wort und Bild nötig gemacht. Die lange Dauer der kälteren Jahreszeit beschränkt
die Vegetationsperiode der meisten Gewächse in Jezo auf fünf, im mittleren
Japan auf sechs, im südlichen auf sieben Monate des Jahres und unterbricht
auch das Wachstum der Holzgewächse, selbst der immergrünen. Man hat wohl
als Beispiel für die Eigentümlichkeit Japans hervorgehoben, daß dort neben
dem Bambusrohr, der Palme und der wintergrünen Eiche die nordische Kiefer
gedeiht, und daß man die blattwechselnden Baumtypen unsrer Wälder dort wieder¬
findet, ferner daß neben den Affen anch Bären vorkommen. Betreffs der Palmen
und des Bambusrohres muß aber doch bemerkt werden, daß dieselben nur in¬
folge der Kultur nordwärts bis zur Bucht von Antv, ja stellenweise noch höher
hinauf, vorkommen, nicht aber wild wachsend, und die Oyoas rsvolutA muß in
Tokio durch Umwickeln mit Stroh gegen die Nachtfröste des Winters geschützt
werden. Selbst in den südlich gelegenen Landtcilen ist die Vegetation anfangs
April noch weit zurück; erst Anfang Mai beginnt unter einer kräftigen Inso¬
lation, gepaart mit reichen, häufigen Regengüssen, die Vegetation jene Mannich-
faltigkeit und Fülle zu entwickeln, die an die Tropen erinnert, und die im
Mittelmcergebiet nirgends zu finden ist. Den warmen, befruchtenden Sommer-
regeu verdankt Japan sein reiches Pflcmzcnkleid und die Möglichkeit, auf dem¬
selben Felde zweimal im Jahre ernten zu können.

Ebenso wie die Flora Japans viele europäische Formen aufweist, so tritt
auch in der Tierwelt die Habitusähnlichkeit mit der europäischen Fauna fast
in allen Klassen hervor. In der an Individuen reichen Meeresfauna finden
sich viele tropische Formen. Auch hier reiche» sich also wie bei der Flora Tropen
und Polarregionen gewissermaßen die Hand, indem die Lage und Längenaus-


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[0082] Zur Landes- und Volkskunde Japans. von Feuchtigkeit während des ganzen Jahres als die Länder an der Küste des Gelben und Japanischen Meeres. Die klimatischen Gegensätze zwischen Sommer und Winter sind demzufolge in Japan größer als in den auf gleicher Breite liegenden Mittelmeerländern. So hat z. B. die Hauptstadt Tokio ein rauheres Klima als die auf derselben Breite liegende Insel Malta, und während auf der Insel Madera selbst im Winter das Thermometer nicht unter 12° C. sinkt und die mittlere Jahrestemperatur zwischen 1ö—16" C. liegt, so hat das nur wenige Minuten nördlicher liegende Nangasaki im Winter zuweilen Schnee und Eis und eine mittlere Jahrestemperatur von nur 6,3" C. Diese starken klimatischen Gegensätze bewirken nun auch auffällige Verschieden¬ heit des Vegetativnscharakters. Die Flora Japans ist durch große Mannich- faltigkeit der Formen und eine fast tropische Üppigkeit ausgezeichnet und hat daher schon früher das Interesse der europäischen Botaniker und Pflanzengeogrnphen erregt. Aber auch die Japaner selbst, die für schone Blumen eine große Vor¬ liebe hegen, haben viel zur Kenntnis der Gewächse ihrer heimatlichen Flora bei¬ getragen; namentlich hat die alte chinesische Heilkunde, der man früher folgte, von Hunderten von Gewächsen die Erkenntnis und genaue Bestimmung durch Wort und Bild nötig gemacht. Die lange Dauer der kälteren Jahreszeit beschränkt die Vegetationsperiode der meisten Gewächse in Jezo auf fünf, im mittleren Japan auf sechs, im südlichen auf sieben Monate des Jahres und unterbricht auch das Wachstum der Holzgewächse, selbst der immergrünen. Man hat wohl als Beispiel für die Eigentümlichkeit Japans hervorgehoben, daß dort neben dem Bambusrohr, der Palme und der wintergrünen Eiche die nordische Kiefer gedeiht, und daß man die blattwechselnden Baumtypen unsrer Wälder dort wieder¬ findet, ferner daß neben den Affen anch Bären vorkommen. Betreffs der Palmen und des Bambusrohres muß aber doch bemerkt werden, daß dieselben nur in¬ folge der Kultur nordwärts bis zur Bucht von Antv, ja stellenweise noch höher hinauf, vorkommen, nicht aber wild wachsend, und die Oyoas rsvolutA muß in Tokio durch Umwickeln mit Stroh gegen die Nachtfröste des Winters geschützt werden. Selbst in den südlich gelegenen Landtcilen ist die Vegetation anfangs April noch weit zurück; erst Anfang Mai beginnt unter einer kräftigen Inso¬ lation, gepaart mit reichen, häufigen Regengüssen, die Vegetation jene Mannich- faltigkeit und Fülle zu entwickeln, die an die Tropen erinnert, und die im Mittelmcergebiet nirgends zu finden ist. Den warmen, befruchtenden Sommer- regeu verdankt Japan sein reiches Pflcmzcnkleid und die Möglichkeit, auf dem¬ selben Felde zweimal im Jahre ernten zu können. Ebenso wie die Flora Japans viele europäische Formen aufweist, so tritt auch in der Tierwelt die Habitusähnlichkeit mit der europäischen Fauna fast in allen Klassen hervor. In der an Individuen reichen Meeresfauna finden sich viele tropische Formen. Auch hier reiche» sich also wie bei der Flora Tropen und Polarregionen gewissermaßen die Hand, indem die Lage und Längenaus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/82>, abgerufen am 01.07.2024.