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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Gaul'ettcis militärisches Progriiinm "ut das dentschr l^ver.

sehen Heere nach der Annahme des französischen Nevrgauisatiousgesetzcs von
1872 über die Einrichtung der äouxiöms xortion geurteilt worden ist. Und
acht Jahre später haben wir die Einrichtung nachahmen müssen! Diese acht
Jahrcsklassen fehlen uns in der Zahl unsrer Streitkräfte, Und dabei ist unsre
Ersntzreserve auch qualitativ keineswegs soviel wert wie die äsuxivms xvrtion;
der Unterschied in der Übungszeit ist zu bedeutend. Leider fehlen uns Deutschen
die Geldmittel, um gleiches zu erreichen. Lebensfähig ist die jetzige Einrichtung
der Ersatzreserveu nicht.

Sollen wir nun wiederum abwarten, bis die Franzosen Gambettas Vor¬
schläge angenommen haben, sollen wir ihnen die Zeit lassen, ihr Heer in dieselben
einzuleben? Sollen wir dann wieder nachhinken? Besser ist es, wir wahren uns
die Initiative.

Wie erhalten wir uns aber diese Initiative? Aufhebung des einjährig-frei¬
willigen Dienstes, gleiche Wehrpflicht für alle, würden die ersten Forderungen
sein. Die unabhängigen deutscheu Militürzeituugen, allen voran die deutsche Heeres-
zeituug, haben sich vor zwei bis drei Jahren eingehend mit der Frage der Aus¬
bildung der Einjährig-Freiwilligen und damit zusammenhängend mit derjenigen
der Reserve- und Laudwehroffiziere beschäftigt. Alle sind zu dem Ergebnis
gekommen, daß die Ausbildung der Reserveoffiziere ungenügend sei gegenüber
den Anforderungen der heutigen Kampfesweise. Auch der Verfasser des vor¬
liegenden Aufsatzes hatte Gelegenheit, sich ein Urteil hierüber zu bilden. Er
gehörte während des Feldzuges 1870--1871 einem Infanterieregimente an, das
vom ersten Zusammenstoß mit dem Feinde nur wenig mehr als 10 Offiziere
zurückbrachte, das auch in den folgenden Schlachten herbe Verluste an Offizieren
erlitt. Er hatte das Glück, erst in deu letzten Monaten des Krieges verwundet
zu werden und konnte daher beobachten, wie wenig junge Reserveoffiziere, die
plötzlich an die Spitze von Kompagnien gestellt wurden, Vizefeldwebel, welche
Adjutantendienste versehen mußten, den an sie herantretenden Anforderungen zu
entsprechen vermochten. Nicht an Mut fehlte es ihnen, sondern an militärischem
Urteil und der sich hierauf gründenden Autorität; nicht an der Persönlichkeit
mangelte es, sondern an der Ausbildung. Ein Jahr ist ungenügend, die Aus¬
bildung zum Truppenführer zu vollenden.

Gleiche Wehrpflicht also für alle ohne Unterschied, auch für die Minder¬
tauglichen, die "Krummen und Lahmen!" Man bestimme, daß diese in den Hcmd-
werkcrabteilungen, in der zahllosen Schaar der Schreiber und Ordvnanzen, welche
gegenwärtig manch brauchbares Element dem Truppendienste entziehen, Ver¬
wendung finden. Dort sind auch sie brauchbar.

Die Finanzen des deutschen Reiches gestatten nicht, sämmtliche Wehrfähigen
drei Jahre lang bei der Fahne zu behalten. Schon jetzt dient nur ein ver¬
schwindend kleiner Bruchteil der gestimmte" wehrfähigen Jahresklassc drei volle
Jahre mit der Waffe. Man wird sich daher entschließen müssen, für die Fuß-


Gaul'ettcis militärisches Progriiinm »ut das dentschr l^ver.

sehen Heere nach der Annahme des französischen Nevrgauisatiousgesetzcs von
1872 über die Einrichtung der äouxiöms xortion geurteilt worden ist. Und
acht Jahre später haben wir die Einrichtung nachahmen müssen! Diese acht
Jahrcsklassen fehlen uns in der Zahl unsrer Streitkräfte, Und dabei ist unsre
Ersntzreserve auch qualitativ keineswegs soviel wert wie die äsuxivms xvrtion;
der Unterschied in der Übungszeit ist zu bedeutend. Leider fehlen uns Deutschen
die Geldmittel, um gleiches zu erreichen. Lebensfähig ist die jetzige Einrichtung
der Ersatzreserveu nicht.

Sollen wir nun wiederum abwarten, bis die Franzosen Gambettas Vor¬
schläge angenommen haben, sollen wir ihnen die Zeit lassen, ihr Heer in dieselben
einzuleben? Sollen wir dann wieder nachhinken? Besser ist es, wir wahren uns
die Initiative.

Wie erhalten wir uns aber diese Initiative? Aufhebung des einjährig-frei¬
willigen Dienstes, gleiche Wehrpflicht für alle, würden die ersten Forderungen
sein. Die unabhängigen deutscheu Militürzeituugen, allen voran die deutsche Heeres-
zeituug, haben sich vor zwei bis drei Jahren eingehend mit der Frage der Aus¬
bildung der Einjährig-Freiwilligen und damit zusammenhängend mit derjenigen
der Reserve- und Laudwehroffiziere beschäftigt. Alle sind zu dem Ergebnis
gekommen, daß die Ausbildung der Reserveoffiziere ungenügend sei gegenüber
den Anforderungen der heutigen Kampfesweise. Auch der Verfasser des vor¬
liegenden Aufsatzes hatte Gelegenheit, sich ein Urteil hierüber zu bilden. Er
gehörte während des Feldzuges 1870—1871 einem Infanterieregimente an, das
vom ersten Zusammenstoß mit dem Feinde nur wenig mehr als 10 Offiziere
zurückbrachte, das auch in den folgenden Schlachten herbe Verluste an Offizieren
erlitt. Er hatte das Glück, erst in deu letzten Monaten des Krieges verwundet
zu werden und konnte daher beobachten, wie wenig junge Reserveoffiziere, die
plötzlich an die Spitze von Kompagnien gestellt wurden, Vizefeldwebel, welche
Adjutantendienste versehen mußten, den an sie herantretenden Anforderungen zu
entsprechen vermochten. Nicht an Mut fehlte es ihnen, sondern an militärischem
Urteil und der sich hierauf gründenden Autorität; nicht an der Persönlichkeit
mangelte es, sondern an der Ausbildung. Ein Jahr ist ungenügend, die Aus¬
bildung zum Truppenführer zu vollenden.

Gleiche Wehrpflicht also für alle ohne Unterschied, auch für die Minder¬
tauglichen, die „Krummen und Lahmen!" Man bestimme, daß diese in den Hcmd-
werkcrabteilungen, in der zahllosen Schaar der Schreiber und Ordvnanzen, welche
gegenwärtig manch brauchbares Element dem Truppendienste entziehen, Ver¬
wendung finden. Dort sind auch sie brauchbar.

Die Finanzen des deutschen Reiches gestatten nicht, sämmtliche Wehrfähigen
drei Jahre lang bei der Fahne zu behalten. Schon jetzt dient nur ein ver¬
schwindend kleiner Bruchteil der gestimmte» wehrfähigen Jahresklassc drei volle
Jahre mit der Waffe. Man wird sich daher entschließen müssen, für die Fuß-


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[0076] Gaul'ettcis militärisches Progriiinm »ut das dentschr l^ver. sehen Heere nach der Annahme des französischen Nevrgauisatiousgesetzcs von 1872 über die Einrichtung der äouxiöms xortion geurteilt worden ist. Und acht Jahre später haben wir die Einrichtung nachahmen müssen! Diese acht Jahrcsklassen fehlen uns in der Zahl unsrer Streitkräfte, Und dabei ist unsre Ersntzreserve auch qualitativ keineswegs soviel wert wie die äsuxivms xvrtion; der Unterschied in der Übungszeit ist zu bedeutend. Leider fehlen uns Deutschen die Geldmittel, um gleiches zu erreichen. Lebensfähig ist die jetzige Einrichtung der Ersatzreserveu nicht. Sollen wir nun wiederum abwarten, bis die Franzosen Gambettas Vor¬ schläge angenommen haben, sollen wir ihnen die Zeit lassen, ihr Heer in dieselben einzuleben? Sollen wir dann wieder nachhinken? Besser ist es, wir wahren uns die Initiative. Wie erhalten wir uns aber diese Initiative? Aufhebung des einjährig-frei¬ willigen Dienstes, gleiche Wehrpflicht für alle, würden die ersten Forderungen sein. Die unabhängigen deutscheu Militürzeituugen, allen voran die deutsche Heeres- zeituug, haben sich vor zwei bis drei Jahren eingehend mit der Frage der Aus¬ bildung der Einjährig-Freiwilligen und damit zusammenhängend mit derjenigen der Reserve- und Laudwehroffiziere beschäftigt. Alle sind zu dem Ergebnis gekommen, daß die Ausbildung der Reserveoffiziere ungenügend sei gegenüber den Anforderungen der heutigen Kampfesweise. Auch der Verfasser des vor¬ liegenden Aufsatzes hatte Gelegenheit, sich ein Urteil hierüber zu bilden. Er gehörte während des Feldzuges 1870—1871 einem Infanterieregimente an, das vom ersten Zusammenstoß mit dem Feinde nur wenig mehr als 10 Offiziere zurückbrachte, das auch in den folgenden Schlachten herbe Verluste an Offizieren erlitt. Er hatte das Glück, erst in deu letzten Monaten des Krieges verwundet zu werden und konnte daher beobachten, wie wenig junge Reserveoffiziere, die plötzlich an die Spitze von Kompagnien gestellt wurden, Vizefeldwebel, welche Adjutantendienste versehen mußten, den an sie herantretenden Anforderungen zu entsprechen vermochten. Nicht an Mut fehlte es ihnen, sondern an militärischem Urteil und der sich hierauf gründenden Autorität; nicht an der Persönlichkeit mangelte es, sondern an der Ausbildung. Ein Jahr ist ungenügend, die Aus¬ bildung zum Truppenführer zu vollenden. Gleiche Wehrpflicht also für alle ohne Unterschied, auch für die Minder¬ tauglichen, die „Krummen und Lahmen!" Man bestimme, daß diese in den Hcmd- werkcrabteilungen, in der zahllosen Schaar der Schreiber und Ordvnanzen, welche gegenwärtig manch brauchbares Element dem Truppendienste entziehen, Ver¬ wendung finden. Dort sind auch sie brauchbar. Die Finanzen des deutschen Reiches gestatten nicht, sämmtliche Wehrfähigen drei Jahre lang bei der Fahne zu behalten. Schon jetzt dient nur ein ver¬ schwindend kleiner Bruchteil der gestimmte» wehrfähigen Jahresklassc drei volle Jahre mit der Waffe. Man wird sich daher entschließen müssen, für die Fuß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/76>, abgerufen am 01.07.2024.