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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Gmnbctws militärisches Programm und !>c>s deutsche Heer.

So einschneidend dieses Programm auch auf viele gesellschaftlichen Verhält¬
nisse einwirken mag, so ist bei Gambettas unbedingter geistiger Ueberlegenheit
und Herrschaft über seine Landsleute kaum zu bezweifeln, daß es ihm gelingen
werde, seine Plane in Gesetze zu verwandeln. Ebensowenig darf man daran
zweifeln, daß er anch der Mann dazu sei, dieselben frucht- und segenbringend
für das französische Heer zu gestalten. Was er in dieser Beziehung vermag,
haben nicht nur seine großen militär - organisatorischen Leistungen im Kriege
1870--1871, das hat auch seiue politische Thätigkeit seit jener Zeit gezeigt.

Nach unsrer Ueberzeugung liegt der Schwerpunkt der ganzen Neuerung in
der Bestimmung, daß nur derjenige eine Staatsanstellung erhalten soll, welcher
mindestens ein Jahr lang als Unteroffizier Dienst geleistet hat. Gelingt es, diese
radikale Maßregel ins Leben zu rufen, so wird sich an der Wende des neun-
zehnten'Jahrhunderts, und zwar wiederum durch Frankreich, auf militär-organi-
satorischem Gebiete eine ebenso wichtige Umwälzung vollziehen, als diejenige war,
welche sich am Schlüsse des vorigen Jahrhunderts durch den von der ersten
französischen Republik ausgeführte" Uebergang vom Söldnerheere zur Konskription
vollzogen hat. Die Durchführung dieses Gedankens würde mit einem Schlage
zwei Fragen lösen, die schon seit mehreren Jahren in allen größeren Heeren
Europas als "brennende" bezeichnet werden: die Unteroffiziers- wie die Ne-
servcvffiziersfrage. Die Reserve- und Laudwehrvffizierkorps, wie die Unteroffi¬
zierkorps würden sich durch diese Maßregel so erheblich bessern, die Rück¬
wirkungen auf die Truppe würden so gewaltige sein, daß das französische Heer
in' moralischer Beziehung unendlich gewinnen würde. Unter sonst gleichen Ver¬
hältnissen beider Teile würde der Zusammenstoß eines uach Gambettas Grund¬
sätzen auf wirklicher, allgemeiner und gleicher Wehrpflicht gegründeten Heeres
mit einem solchen, das auf den jetzigen Prinzipien der HeercSergcinzung ruht,
in ähnlicher Weise mit Zertrümmerung des letzteren enden, wie die europäischen
Svldheere Napoleons an den Konskriptivnsarmeen Napoleons, und wie die Kon¬
skriptionsarmeen Österreichs und Frankreichs 1866 und 1870 an den Volks¬
heeren Preußens und Deutschlands zerschellten.

Deutschland wird daher gut thun, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen,
daß es Gambettas Reformen überholen muß, wenn es eine Erneuerung von
1806 vermeiden will. Die Schlacht bei Jena hat ein unauslöschliches Nous
doinst in die Tafeln der deutschen Geschichte geschriebn,. Es ist Pflicht des Vater-
landsfreundes, dasselbe rechtzeitig ius Gedächtnis zurückzurufen.

Hüten wir uns vor Überhebung und Selbstgefälligkeit, seien wir vielmehr
aufrichtig gegen uns selbst! Wir sind schou einmal, vor einem Jahre erst, den
Franzosen nachgehinkt. Unsre neueingeführten Ersatzreserveübungen sind nichts
anderes als eine bloße Kopie der französischen Ävuxiöilu; Portion. Diese soll
im ersten Jahre sechs Monate bei den Fahnen sein, die Ersatzreserven aber nnr
zehn Wochen. Man lese in den Militärzeitnngcn nach, wie verächtlich im denk-


Gmnbctws militärisches Programm und !>c>s deutsche Heer.

So einschneidend dieses Programm auch auf viele gesellschaftlichen Verhält¬
nisse einwirken mag, so ist bei Gambettas unbedingter geistiger Ueberlegenheit
und Herrschaft über seine Landsleute kaum zu bezweifeln, daß es ihm gelingen
werde, seine Plane in Gesetze zu verwandeln. Ebensowenig darf man daran
zweifeln, daß er anch der Mann dazu sei, dieselben frucht- und segenbringend
für das französische Heer zu gestalten. Was er in dieser Beziehung vermag,
haben nicht nur seine großen militär - organisatorischen Leistungen im Kriege
1870—1871, das hat auch seiue politische Thätigkeit seit jener Zeit gezeigt.

Nach unsrer Ueberzeugung liegt der Schwerpunkt der ganzen Neuerung in
der Bestimmung, daß nur derjenige eine Staatsanstellung erhalten soll, welcher
mindestens ein Jahr lang als Unteroffizier Dienst geleistet hat. Gelingt es, diese
radikale Maßregel ins Leben zu rufen, so wird sich an der Wende des neun-
zehnten'Jahrhunderts, und zwar wiederum durch Frankreich, auf militär-organi-
satorischem Gebiete eine ebenso wichtige Umwälzung vollziehen, als diejenige war,
welche sich am Schlüsse des vorigen Jahrhunderts durch den von der ersten
französischen Republik ausgeführte» Uebergang vom Söldnerheere zur Konskription
vollzogen hat. Die Durchführung dieses Gedankens würde mit einem Schlage
zwei Fragen lösen, die schon seit mehreren Jahren in allen größeren Heeren
Europas als „brennende" bezeichnet werden: die Unteroffiziers- wie die Ne-
servcvffiziersfrage. Die Reserve- und Laudwehrvffizierkorps, wie die Unteroffi¬
zierkorps würden sich durch diese Maßregel so erheblich bessern, die Rück¬
wirkungen auf die Truppe würden so gewaltige sein, daß das französische Heer
in' moralischer Beziehung unendlich gewinnen würde. Unter sonst gleichen Ver¬
hältnissen beider Teile würde der Zusammenstoß eines uach Gambettas Grund¬
sätzen auf wirklicher, allgemeiner und gleicher Wehrpflicht gegründeten Heeres
mit einem solchen, das auf den jetzigen Prinzipien der HeercSergcinzung ruht,
in ähnlicher Weise mit Zertrümmerung des letzteren enden, wie die europäischen
Svldheere Napoleons an den Konskriptivnsarmeen Napoleons, und wie die Kon¬
skriptionsarmeen Österreichs und Frankreichs 1866 und 1870 an den Volks¬
heeren Preußens und Deutschlands zerschellten.

Deutschland wird daher gut thun, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen,
daß es Gambettas Reformen überholen muß, wenn es eine Erneuerung von
1806 vermeiden will. Die Schlacht bei Jena hat ein unauslöschliches Nous
doinst in die Tafeln der deutschen Geschichte geschriebn,. Es ist Pflicht des Vater-
landsfreundes, dasselbe rechtzeitig ius Gedächtnis zurückzurufen.

Hüten wir uns vor Überhebung und Selbstgefälligkeit, seien wir vielmehr
aufrichtig gegen uns selbst! Wir sind schou einmal, vor einem Jahre erst, den
Franzosen nachgehinkt. Unsre neueingeführten Ersatzreserveübungen sind nichts
anderes als eine bloße Kopie der französischen Ävuxiöilu; Portion. Diese soll
im ersten Jahre sechs Monate bei den Fahnen sein, die Ersatzreserven aber nnr
zehn Wochen. Man lese in den Militärzeitnngcn nach, wie verächtlich im denk-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/75>, abgerufen am 03.07.2024.