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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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zog die Mehrzahl des Poscnschen Adels sich schwere Strafe zu, 1402 Personen
wurde" zu Güterkoufiskativueu und Freiheitsberaubung verurteilt, und davon
erlangten über 1200 völlige Begnadigung, Nur 22 Besitzern wurden ihre Güter
entzogen, sie konnten sie aber einlösen, indem sie den fünften Teil des Wertes
an die Staatskasse bezahlten. Die damaligen Unruhen hatten den polnischen
Landadel in Posen in seinen Besitzverhältnissen stark erschüttert. Hätte die Re-
gierung dies einfach igiwrirt, so würden die entwerteten Güter ganz von selbst
in deutsche Hände übergegangen sein. Statt dessen beschloß die Behörde, als
Käuferin aufzutreten, teils um die auf den Güter" eingetragenen fiskalische"
Gelder zu retten, teils um die Gutspreise zu steigern, teils um solchergestalt
der Provinz Männer zuzuführen, welche der Landeskultur förderlich wären. Die
angekauften Güter wurden zur Verbesserung der Lage der vorhandenen, meist
polnischen Bauer" durch Regelung ihrer Verhältnisse, Vergrößerung zu kleiner
Stellen und Ermäßigung ihrer Leistungen verwendet, zum Teil auch in Par¬
zellen oder im ganzen an geeignete Erwerber verkauft, Ware der Staat hierbei
germauisirungslnstig gewesen, so würde er die Polen von diesen Geschäften aus¬
geschlossen und den deutscheu Käufern inbetreff des Wiederverkaufs Beschrän¬
kungen auferlegt haben. Aber weder das eine "och das andre ist geschehe".
Wenn trotzdem in den letzten Jahrzehnten viele Güter in der Provinz ihre
polnischen Besitzer mit deutschen vertauscht haben, so trifft die Schuld nicht die
Negierung, sondern den Leichtsinn, die Verschweiidung und die liederliche Wirt¬
schaft eines großen Teiles der polnischen Edelleute.

Aber die Spracheufrage? wirft man ein und geberdet sich, als wäre der
polnisch redende Preuße in dieser Beziehung mindestens so bedroht wie ehedem
der deutsche Schleswiger unter dänischein Regiment?. Nichts ist falscher. Auf
dem Markte, in der Gesellschaft, in der Schule, in der Kirche ist das Polnische
völlig frei und stellenweise allein herrschend. In der Kirche und Schule war
bis vor wenigen Jahren Sagar in manche" Gegenden das Deutsche in, Nachteil,
indem die katholische Geistlichkeit mit allen Mitteln gegen dasselbe wirkte. Die
Unterrichtssprache aller katholischen Schulen der gemischten Kreise ist polnisch.
An den höheren Lehranstalten jener Konfession ist sie es in den vier untern
Klasse". Als U"terrichtsgegenstand wird das Polnische in allen Schulen der
Provinz getrieben. Die Gottesdienste der Polen sind lateinisch und polnisch,
und versprengte Deutsche müssen in diesen Sprachen einstimmen. Die Kommnnal-
vcrtretuugen der kleinen Städte verhandeln polnisch, Md bei den Wahlen stehen
beide Sprachen gleichberechtigt nebeneinander. Was die Verhandlungen vor
Gericht und vor deu Verwaltungsbehörde" anlangt, so gilt folgendes. Die
Gesetze werden ins Polnische übertragen, nur versteht sich vo" selbst, daß dabei
der deutsche Text das eigentliche Gesetz bleibt und bei etwaiger Dunkelheit der
Erklärung zu Grunde gelegt werde" muß. Die Korrespondenz der Gerichte
unter einander sonne mit andern Behörden wird deutsch geführt. Bei Prozessen


zog die Mehrzahl des Poscnschen Adels sich schwere Strafe zu, 1402 Personen
wurde» zu Güterkoufiskativueu und Freiheitsberaubung verurteilt, und davon
erlangten über 1200 völlige Begnadigung, Nur 22 Besitzern wurden ihre Güter
entzogen, sie konnten sie aber einlösen, indem sie den fünften Teil des Wertes
an die Staatskasse bezahlten. Die damaligen Unruhen hatten den polnischen
Landadel in Posen in seinen Besitzverhältnissen stark erschüttert. Hätte die Re-
gierung dies einfach igiwrirt, so würden die entwerteten Güter ganz von selbst
in deutsche Hände übergegangen sein. Statt dessen beschloß die Behörde, als
Käuferin aufzutreten, teils um die auf den Güter» eingetragenen fiskalische»
Gelder zu retten, teils um die Gutspreise zu steigern, teils um solchergestalt
der Provinz Männer zuzuführen, welche der Landeskultur förderlich wären. Die
angekauften Güter wurden zur Verbesserung der Lage der vorhandenen, meist
polnischen Bauer» durch Regelung ihrer Verhältnisse, Vergrößerung zu kleiner
Stellen und Ermäßigung ihrer Leistungen verwendet, zum Teil auch in Par¬
zellen oder im ganzen an geeignete Erwerber verkauft, Ware der Staat hierbei
germauisirungslnstig gewesen, so würde er die Polen von diesen Geschäften aus¬
geschlossen und den deutscheu Käufern inbetreff des Wiederverkaufs Beschrän¬
kungen auferlegt haben. Aber weder das eine »och das andre ist geschehe».
Wenn trotzdem in den letzten Jahrzehnten viele Güter in der Provinz ihre
polnischen Besitzer mit deutschen vertauscht haben, so trifft die Schuld nicht die
Negierung, sondern den Leichtsinn, die Verschweiidung und die liederliche Wirt¬
schaft eines großen Teiles der polnischen Edelleute.

Aber die Spracheufrage? wirft man ein und geberdet sich, als wäre der
polnisch redende Preuße in dieser Beziehung mindestens so bedroht wie ehedem
der deutsche Schleswiger unter dänischein Regiment?. Nichts ist falscher. Auf
dem Markte, in der Gesellschaft, in der Schule, in der Kirche ist das Polnische
völlig frei und stellenweise allein herrschend. In der Kirche und Schule war
bis vor wenigen Jahren Sagar in manche» Gegenden das Deutsche in, Nachteil,
indem die katholische Geistlichkeit mit allen Mitteln gegen dasselbe wirkte. Die
Unterrichtssprache aller katholischen Schulen der gemischten Kreise ist polnisch.
An den höheren Lehranstalten jener Konfession ist sie es in den vier untern
Klasse». Als U»terrichtsgegenstand wird das Polnische in allen Schulen der
Provinz getrieben. Die Gottesdienste der Polen sind lateinisch und polnisch,
und versprengte Deutsche müssen in diesen Sprachen einstimmen. Die Kommnnal-
vcrtretuugen der kleinen Städte verhandeln polnisch, Md bei den Wahlen stehen
beide Sprachen gleichberechtigt nebeneinander. Was die Verhandlungen vor
Gericht und vor deu Verwaltungsbehörde» anlangt, so gilt folgendes. Die
Gesetze werden ins Polnische übertragen, nur versteht sich vo» selbst, daß dabei
der deutsche Text das eigentliche Gesetz bleibt und bei etwaiger Dunkelheit der
Erklärung zu Grunde gelegt werde» muß. Die Korrespondenz der Gerichte
unter einander sonne mit andern Behörden wird deutsch geführt. Bei Prozessen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/649>, abgerufen am 26.06.2024.