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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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entscheidet die Sprache des Klägers: ist dieser beider Sprachen mächtig oder
keiner von beiden völlig gewachsen, so wird die deutsche gebraucht. Bei ein¬
seitigen Akten der freiwilligen Gerichtsbarkeit wird die Sprache der Erklärenden
zur Richtschnur genommen; soll aber aus denselben ein Gebrauch im Hypotheken-
buche folgen, so müssen sie entweder in beiden Sprachen oder nur in der deutschen
aufgenommen werden. Beim öffentlichen Verfahren werden Dolmetscher zuge¬
zogen. Die Verwaltungsbehörden korrespondiren nach dem Regulativ vom 14.
April 1832 unter einander deutsch. Den Bürgermeistern der kleinen Städte
und den Geistlichen ist, wenn sie nicht deutsch verstehen, polnisch zu schreiben
erlaubt. Privatpersonen, von denen nicht feststeht, daß sie das Deutsche kennen,
erhalten deutsche Verfügungen mit polnischer Übersetzung.

Wir glauben nicht, daß man billigerweise ans polnischer Seite mehr ver¬
langen kann, und statt zu klagen, sollte mau lieber zurückblicken und dankbar
anerkennen, was unter preußischem Regimente für das Laud und seine Be¬
völkerung geschehen ist. Man würde da eine lange Reihe von Wohlthaten sehen,
die zum Teil unter Widerstreben des polnischen Adels, der Geistlichkeit und der
Gemeinden ins Leben getreten sind, die aber wohl niemand jetzt entbehren möchte.
Zunächst ist die Zahl der Schulen in den vorwiegend polnischen und katholische"
Kreisen der Provinz seit 1815 etwa ans das Fünfzchnfache, die der Lehrer auf
das siebzehnfache vermehrt worden. Die Zahl der Gymnasien hat sich von
2 auf 8 erhöht, mau hat 3 katholische Lehrerseminare und 5 Realschulen ge¬
gründet, desgleichen 4 Progymnasien, eine Ackerbauschule, eine Taubstummen¬
anstalt, ein Irrenhaus, eine Schule für Gärtner. Mit feinem Reichtum an
Elemeiitarschnleu -- es giebt deren 2162 mit 296ö Lehrern und circa 220 000
Schülern -- nimmt Posen eine sehr ehrenvolle Stelle unter den preußischen
Provinzen ein. Während in Brandenburg auf 770 Einwohner eine Schule und
114 Schüler, in Schlesien aus 824 Einwohner eine Schule und 130 Schüler kommen,
hat Posen auf 659 Einwohner eine Schule und 101 Schüler. Sehr Bedeutendes
ist ferner für Eisenbahnen gethan worden. Die Provinz hat schon seit etwa
zwanzig Jahren ein großes Schienenkrenz von Norden nach Süden und von
Osten nach Westen. In den dreißiger Jahren besaß sie nur 4 Meilen an
Chausseen, 1862 hatte sie circa 322 Meilen, von denen 210 auf deu Regie¬
rungsbezirk Posen, 112 auf Bromberg fielen. Nur Arnsberg ist in dieser
Hinsicht weiter entwickelt als Posen, welches relativ mit Liegnitz und Potsdam
auf einer Stufe steht. Vorzügliche Sorgfalt ist auch der Bodenkultur, der Trocken¬
legung und Kanalisiruug von Morästen zugewendet worden. Endlich ist an die
großen Wohlthaten zu erinnern, welche der aus polnischer Mißwirtschaft, Willkür
und Verkommenheit in preußische Kultur übergegangenen Bevölkerung in Gestalt der
Justizeinrichtnng, der Gemciuheitsteilung und der Bauernbefreiung zu Teil wurden.

"Ich kann es mit Stolz sagen," bemerkte der Reichskanzler in der großen
Rede, mit welcher er 1867 den Abgeordneten Kantak zurechtwies, "daß derjenige


entscheidet die Sprache des Klägers: ist dieser beider Sprachen mächtig oder
keiner von beiden völlig gewachsen, so wird die deutsche gebraucht. Bei ein¬
seitigen Akten der freiwilligen Gerichtsbarkeit wird die Sprache der Erklärenden
zur Richtschnur genommen; soll aber aus denselben ein Gebrauch im Hypotheken-
buche folgen, so müssen sie entweder in beiden Sprachen oder nur in der deutschen
aufgenommen werden. Beim öffentlichen Verfahren werden Dolmetscher zuge¬
zogen. Die Verwaltungsbehörden korrespondiren nach dem Regulativ vom 14.
April 1832 unter einander deutsch. Den Bürgermeistern der kleinen Städte
und den Geistlichen ist, wenn sie nicht deutsch verstehen, polnisch zu schreiben
erlaubt. Privatpersonen, von denen nicht feststeht, daß sie das Deutsche kennen,
erhalten deutsche Verfügungen mit polnischer Übersetzung.

Wir glauben nicht, daß man billigerweise ans polnischer Seite mehr ver¬
langen kann, und statt zu klagen, sollte mau lieber zurückblicken und dankbar
anerkennen, was unter preußischem Regimente für das Laud und seine Be¬
völkerung geschehen ist. Man würde da eine lange Reihe von Wohlthaten sehen,
die zum Teil unter Widerstreben des polnischen Adels, der Geistlichkeit und der
Gemeinden ins Leben getreten sind, die aber wohl niemand jetzt entbehren möchte.
Zunächst ist die Zahl der Schulen in den vorwiegend polnischen und katholische»
Kreisen der Provinz seit 1815 etwa ans das Fünfzchnfache, die der Lehrer auf
das siebzehnfache vermehrt worden. Die Zahl der Gymnasien hat sich von
2 auf 8 erhöht, mau hat 3 katholische Lehrerseminare und 5 Realschulen ge¬
gründet, desgleichen 4 Progymnasien, eine Ackerbauschule, eine Taubstummen¬
anstalt, ein Irrenhaus, eine Schule für Gärtner. Mit feinem Reichtum an
Elemeiitarschnleu — es giebt deren 2162 mit 296ö Lehrern und circa 220 000
Schülern — nimmt Posen eine sehr ehrenvolle Stelle unter den preußischen
Provinzen ein. Während in Brandenburg auf 770 Einwohner eine Schule und
114 Schüler, in Schlesien aus 824 Einwohner eine Schule und 130 Schüler kommen,
hat Posen auf 659 Einwohner eine Schule und 101 Schüler. Sehr Bedeutendes
ist ferner für Eisenbahnen gethan worden. Die Provinz hat schon seit etwa
zwanzig Jahren ein großes Schienenkrenz von Norden nach Süden und von
Osten nach Westen. In den dreißiger Jahren besaß sie nur 4 Meilen an
Chausseen, 1862 hatte sie circa 322 Meilen, von denen 210 auf deu Regie¬
rungsbezirk Posen, 112 auf Bromberg fielen. Nur Arnsberg ist in dieser
Hinsicht weiter entwickelt als Posen, welches relativ mit Liegnitz und Potsdam
auf einer Stufe steht. Vorzügliche Sorgfalt ist auch der Bodenkultur, der Trocken¬
legung und Kanalisiruug von Morästen zugewendet worden. Endlich ist an die
großen Wohlthaten zu erinnern, welche der aus polnischer Mißwirtschaft, Willkür
und Verkommenheit in preußische Kultur übergegangenen Bevölkerung in Gestalt der
Justizeinrichtnng, der Gemciuheitsteilung und der Bauernbefreiung zu Teil wurden.

„Ich kann es mit Stolz sagen," bemerkte der Reichskanzler in der großen
Rede, mit welcher er 1867 den Abgeordneten Kantak zurechtwies, „daß derjenige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/650>, abgerufen am 26.06.2024.