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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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niederlegen, um nicht schwören zu müssen. Das war jedoch unlieqnem für sie,
und so kamen sie 185V wieder, um den Eid mit Vorbehalt zu leisten und "auf
dem durch die Verfassung gebotenen Wege die Rechte des Landes wahrzunehmen."
Der Präsident des Landtags aber ließ dies selbstverständlich nicht zu, indem er
erklärte: "Wenn die Herren den Eid leisten, so leisten sie ihn stritte und un¬
bedingt." So schwuren sie denn in dieser Weise, und dies geschah später auch
von allen andern Landbvtcn polnischer Zunge. Als der norddeutsche Bund ge¬
gründet wurde, protestirte der Abgeordnete Kantak gegen das Zustandekommen
desselben, in Wahrheit aber, wie Graf Bismarck ihm nachwies, gegen die Ein¬
heit der preußischen Monarchie. Irgend eine Folge aber hatte dies ebensowenig
wie andre derartige Demonstrationen, und die polnischen Abgeordneten aus dein
Posenschen stellten sich wie zum Landtage so auch zum Reichstage unter den¬
selben Bedingungen und Voraussetzungen ein wie die aus andern Gegenden des
Reiches. Die Provinz Posen ist also nach den Verträgen, den Landesgesetzen
und der von ihren polnischen Abgeordneten immer wieder beschworenen Ver¬
fassung ein integrirender Bestandteil der preußischen Monarchie und des Deut¬
schen Reiches, und wer an diesem Verhältnis rüttelt, es zu lösen versucht, macht
sich des Landesverrats schuldig.

Welchen vernünftigen Grund haben die Preußen polnischen Stammes zu
Klagen über ihre Regierung? Mit Ausnahme menschlicher Schwachheiten und
Mißgriffe einzelner Beamten gar keinen. Germanisirt hat die Regierung nie¬
mals, obwohl sich ihr wiederholt Gelegenheit dazu bot. Als bald nach der
Besitzergreifung die Provinz durch Mißernten in Verarmung geraten war, wäre
es der Verwaltung leicht gewesen, mit geringen Summen dem Pvsenschen Adel
die Hälfte seines Grundbesitzes zu entwinden. Sie zog aber vor, ihn in seinem
Eigentums zu befestigen, indem sie ihm durch Errichtung einer Kreditanstalt der
Posener Landschaft kräftige Unterstützung gewährte. Dem so ius Leben ge¬
rufenen Pfandbriefsinstitute wurden Vergünstigungen zu Teil, deren sich keins
in den andern Provinzen erfreute. Die Beleihung der Güter wurde an keine
politische Bedingung geknüpft, und am allerwenigsten trat dabei eine Bevor-
zugung der deutschen Nationalität hervor. Unter den Gutsbesitzern, welche das
landschaftliche Reglement berieten, feststellten und vollzogen, befanden sich 67 Polen
und nur 7 Deutsche. Die Verwaltung der Landschaft wurde dem von den In¬
teressenten selbst gewählten Vorstande überlassen, und dieser war ausschließlich
polnisch. Selbst durch die Vorgänge von 1830 faud sich der Staat nicht be-
wogen, an diesem Verhältnis etwas zu ändern. Erst infolge der Verschwörung
von 1846, an der sich viele landschaftliche Beamte beteiligt hatten, stellte man
einen königlichen Beamten an die Spitze der Landschaft; diese Ernennung wurde
aber 1848 zurückgezogen, und die Direktion bekam die frühere Freiheit wieder.

Bei den eben erwähnten Vorgängen bot sich eine zweite Gelegenheit zur
Germanisirung, eine dritte bei denen von 1846 bis 1848. Im Jahre 18.86


niederlegen, um nicht schwören zu müssen. Das war jedoch unlieqnem für sie,
und so kamen sie 185V wieder, um den Eid mit Vorbehalt zu leisten und „auf
dem durch die Verfassung gebotenen Wege die Rechte des Landes wahrzunehmen."
Der Präsident des Landtags aber ließ dies selbstverständlich nicht zu, indem er
erklärte: „Wenn die Herren den Eid leisten, so leisten sie ihn stritte und un¬
bedingt." So schwuren sie denn in dieser Weise, und dies geschah später auch
von allen andern Landbvtcn polnischer Zunge. Als der norddeutsche Bund ge¬
gründet wurde, protestirte der Abgeordnete Kantak gegen das Zustandekommen
desselben, in Wahrheit aber, wie Graf Bismarck ihm nachwies, gegen die Ein¬
heit der preußischen Monarchie. Irgend eine Folge aber hatte dies ebensowenig
wie andre derartige Demonstrationen, und die polnischen Abgeordneten aus dein
Posenschen stellten sich wie zum Landtage so auch zum Reichstage unter den¬
selben Bedingungen und Voraussetzungen ein wie die aus andern Gegenden des
Reiches. Die Provinz Posen ist also nach den Verträgen, den Landesgesetzen
und der von ihren polnischen Abgeordneten immer wieder beschworenen Ver¬
fassung ein integrirender Bestandteil der preußischen Monarchie und des Deut¬
schen Reiches, und wer an diesem Verhältnis rüttelt, es zu lösen versucht, macht
sich des Landesverrats schuldig.

Welchen vernünftigen Grund haben die Preußen polnischen Stammes zu
Klagen über ihre Regierung? Mit Ausnahme menschlicher Schwachheiten und
Mißgriffe einzelner Beamten gar keinen. Germanisirt hat die Regierung nie¬
mals, obwohl sich ihr wiederholt Gelegenheit dazu bot. Als bald nach der
Besitzergreifung die Provinz durch Mißernten in Verarmung geraten war, wäre
es der Verwaltung leicht gewesen, mit geringen Summen dem Pvsenschen Adel
die Hälfte seines Grundbesitzes zu entwinden. Sie zog aber vor, ihn in seinem
Eigentums zu befestigen, indem sie ihm durch Errichtung einer Kreditanstalt der
Posener Landschaft kräftige Unterstützung gewährte. Dem so ius Leben ge¬
rufenen Pfandbriefsinstitute wurden Vergünstigungen zu Teil, deren sich keins
in den andern Provinzen erfreute. Die Beleihung der Güter wurde an keine
politische Bedingung geknüpft, und am allerwenigsten trat dabei eine Bevor-
zugung der deutschen Nationalität hervor. Unter den Gutsbesitzern, welche das
landschaftliche Reglement berieten, feststellten und vollzogen, befanden sich 67 Polen
und nur 7 Deutsche. Die Verwaltung der Landschaft wurde dem von den In¬
teressenten selbst gewählten Vorstande überlassen, und dieser war ausschließlich
polnisch. Selbst durch die Vorgänge von 1830 faud sich der Staat nicht be-
wogen, an diesem Verhältnis etwas zu ändern. Erst infolge der Verschwörung
von 1846, an der sich viele landschaftliche Beamte beteiligt hatten, stellte man
einen königlichen Beamten an die Spitze der Landschaft; diese Ernennung wurde
aber 1848 zurückgezogen, und die Direktion bekam die frühere Freiheit wieder.

Bei den eben erwähnten Vorgängen bot sich eine zweite Gelegenheit zur
Germanisirung, eine dritte bei denen von 1846 bis 1848. Im Jahre 18.86


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/648>, abgerufen am 26.06.2024.