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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Provinz Posen und die Wiener Verträge.

anerkennen. Der Begriff des Vaterlandes bezieht sich aber nicht auf einzelne
Provinzen, sondern auf den ganzen Staat, dem man angehört. Das Vater¬
land des Einwohners des Grvßherzogtums ist also jetzt das ganze preußische
Land."

Im Jahre 1816 wurde die altpreußische Gesetzgebung in vollem Um¬
fange im Posenschcn wieder eingeführt. Im Jahre 1823 bekam die Provinz
eine Prvvinzialordnung, die vollständig mit denen übereinstimmte, welche den
übrigen Provinzen zu Teil wurden. Wir konnten dieses Verfahren an sämmtlichen
organischen Gesetzen weiter aufzeigen, wobei wir erst bei der Gemeindeordnung
von 1850 auf einen Unterschied stoßen würden, indem hier die niemals praktisch
gewordene Demarkationslinie Pfuels vorausgesetzt ist. Es genügt indes, sich
die Kabiuetsordres und Landtagsabschiede Friedrich Wilhelms IV. anzusehen,
um zu erkennen, daß derselbe den Standpunkt seines Vorgängers entschieden be¬
hauptet hat. Im Landtagsabschiede von 1841 z. V. heißt es: "In Überein¬
stimmung mit dein Inhalte der Wiener Traktate hat das Vesitzncchmepatent und
der Zuruf unsres in Gott ruhenden Herrn, Vaters Majestät vom 15. Mai 1815
die Einwohner der Provinz Posen der Monarchie einverleibt und damit den
Charakter einer vollständigen, untrennbaren und alle Verhältnisse durchdringenden
Vereinigung ausgesprochen. Das Großhcrzogtum Posen ist eine Provinz in
demselben Sinne, in derselben unbedingten Gemeinschaft wie alle übrigen Pro¬
vinzen, welche unserm Seepter unterworfen sind. Mit dieser Stellung der Pro¬
vinz Posen ist die Stellung der verschiedenen Nationalitäten, die es in sich schließt,
ist der Gang ihrer fernern Entwicklung unverrückbar vorgezeichnet. Der pol¬
nischen Nationalität ist durch die Wiener Traktate und durch den Zuruf vom 15.
Mai 1815 Berücksichtigung und Schutz verheißen. Die rühmliche Liebe jedes edlen
Volkes zu seiner Sprache, seiner Sitte, seinen geschichtlichen Erinnerungen auch
in Polen zu achte" und zu schützen, war der Vorsatz der Vollzieher des Wiener
Traktats, und auch unter unsrer Regierung soll ihr Würdigung und Schutz
zu Teil werden. . . . Aber wie jede Gabe an die Bedingung geknüpft ist, daß
sie nicht mißbraucht werde, so können auch wir unsre Verheißungen und Ab¬
sichten von dieser Bedingung nicht lösen. In der untrennbaren Verbindung mit
unsrer Monarchie hat das Nationalgefühl der polnischen Unterthanen unsrer
Provinz Pose" die Richtung seiner ferneren Entwicklung, die feste Schranke
seiner Manifestation zu erkennen. Die Verschiedenheit der Abstammung, der
Gegensatz der Namen Polen und Deutsche findet seinen Vereinigungspunkt in
dem Namen des Staates, dem sie gemeinsam und für immer angehören, in dem
Namen Preußen."

Und wie sich das absolute Königtum in Preußen den Polen gegenüber nichts
vergeben hat, so auch die Verfassung, deren erster Paragraph besagte: "Alle
Landesteile der Monarchie in ihrem gegenwärtigen Umfange bilden das preußische
Staatsgebiet." Die polnische" Abgeordneten wollten anfangs ihre Mandate


Die Provinz Posen und die Wiener Verträge.

anerkennen. Der Begriff des Vaterlandes bezieht sich aber nicht auf einzelne
Provinzen, sondern auf den ganzen Staat, dem man angehört. Das Vater¬
land des Einwohners des Grvßherzogtums ist also jetzt das ganze preußische
Land."

Im Jahre 1816 wurde die altpreußische Gesetzgebung in vollem Um¬
fange im Posenschcn wieder eingeführt. Im Jahre 1823 bekam die Provinz
eine Prvvinzialordnung, die vollständig mit denen übereinstimmte, welche den
übrigen Provinzen zu Teil wurden. Wir konnten dieses Verfahren an sämmtlichen
organischen Gesetzen weiter aufzeigen, wobei wir erst bei der Gemeindeordnung
von 1850 auf einen Unterschied stoßen würden, indem hier die niemals praktisch
gewordene Demarkationslinie Pfuels vorausgesetzt ist. Es genügt indes, sich
die Kabiuetsordres und Landtagsabschiede Friedrich Wilhelms IV. anzusehen,
um zu erkennen, daß derselbe den Standpunkt seines Vorgängers entschieden be¬
hauptet hat. Im Landtagsabschiede von 1841 z. V. heißt es: „In Überein¬
stimmung mit dein Inhalte der Wiener Traktate hat das Vesitzncchmepatent und
der Zuruf unsres in Gott ruhenden Herrn, Vaters Majestät vom 15. Mai 1815
die Einwohner der Provinz Posen der Monarchie einverleibt und damit den
Charakter einer vollständigen, untrennbaren und alle Verhältnisse durchdringenden
Vereinigung ausgesprochen. Das Großhcrzogtum Posen ist eine Provinz in
demselben Sinne, in derselben unbedingten Gemeinschaft wie alle übrigen Pro¬
vinzen, welche unserm Seepter unterworfen sind. Mit dieser Stellung der Pro¬
vinz Posen ist die Stellung der verschiedenen Nationalitäten, die es in sich schließt,
ist der Gang ihrer fernern Entwicklung unverrückbar vorgezeichnet. Der pol¬
nischen Nationalität ist durch die Wiener Traktate und durch den Zuruf vom 15.
Mai 1815 Berücksichtigung und Schutz verheißen. Die rühmliche Liebe jedes edlen
Volkes zu seiner Sprache, seiner Sitte, seinen geschichtlichen Erinnerungen auch
in Polen zu achte» und zu schützen, war der Vorsatz der Vollzieher des Wiener
Traktats, und auch unter unsrer Regierung soll ihr Würdigung und Schutz
zu Teil werden. . . . Aber wie jede Gabe an die Bedingung geknüpft ist, daß
sie nicht mißbraucht werde, so können auch wir unsre Verheißungen und Ab¬
sichten von dieser Bedingung nicht lösen. In der untrennbaren Verbindung mit
unsrer Monarchie hat das Nationalgefühl der polnischen Unterthanen unsrer
Provinz Pose» die Richtung seiner ferneren Entwicklung, die feste Schranke
seiner Manifestation zu erkennen. Die Verschiedenheit der Abstammung, der
Gegensatz der Namen Polen und Deutsche findet seinen Vereinigungspunkt in
dem Namen des Staates, dem sie gemeinsam und für immer angehören, in dem
Namen Preußen."

Und wie sich das absolute Königtum in Preußen den Polen gegenüber nichts
vergeben hat, so auch die Verfassung, deren erster Paragraph besagte: „Alle
Landesteile der Monarchie in ihrem gegenwärtigen Umfange bilden das preußische
Staatsgebiet." Die polnische» Abgeordneten wollten anfangs ihre Mandate


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[0647] Die Provinz Posen und die Wiener Verträge. anerkennen. Der Begriff des Vaterlandes bezieht sich aber nicht auf einzelne Provinzen, sondern auf den ganzen Staat, dem man angehört. Das Vater¬ land des Einwohners des Grvßherzogtums ist also jetzt das ganze preußische Land." Im Jahre 1816 wurde die altpreußische Gesetzgebung in vollem Um¬ fange im Posenschcn wieder eingeführt. Im Jahre 1823 bekam die Provinz eine Prvvinzialordnung, die vollständig mit denen übereinstimmte, welche den übrigen Provinzen zu Teil wurden. Wir konnten dieses Verfahren an sämmtlichen organischen Gesetzen weiter aufzeigen, wobei wir erst bei der Gemeindeordnung von 1850 auf einen Unterschied stoßen würden, indem hier die niemals praktisch gewordene Demarkationslinie Pfuels vorausgesetzt ist. Es genügt indes, sich die Kabiuetsordres und Landtagsabschiede Friedrich Wilhelms IV. anzusehen, um zu erkennen, daß derselbe den Standpunkt seines Vorgängers entschieden be¬ hauptet hat. Im Landtagsabschiede von 1841 z. V. heißt es: „In Überein¬ stimmung mit dein Inhalte der Wiener Traktate hat das Vesitzncchmepatent und der Zuruf unsres in Gott ruhenden Herrn, Vaters Majestät vom 15. Mai 1815 die Einwohner der Provinz Posen der Monarchie einverleibt und damit den Charakter einer vollständigen, untrennbaren und alle Verhältnisse durchdringenden Vereinigung ausgesprochen. Das Großhcrzogtum Posen ist eine Provinz in demselben Sinne, in derselben unbedingten Gemeinschaft wie alle übrigen Pro¬ vinzen, welche unserm Seepter unterworfen sind. Mit dieser Stellung der Pro¬ vinz Posen ist die Stellung der verschiedenen Nationalitäten, die es in sich schließt, ist der Gang ihrer fernern Entwicklung unverrückbar vorgezeichnet. Der pol¬ nischen Nationalität ist durch die Wiener Traktate und durch den Zuruf vom 15. Mai 1815 Berücksichtigung und Schutz verheißen. Die rühmliche Liebe jedes edlen Volkes zu seiner Sprache, seiner Sitte, seinen geschichtlichen Erinnerungen auch in Polen zu achte» und zu schützen, war der Vorsatz der Vollzieher des Wiener Traktats, und auch unter unsrer Regierung soll ihr Würdigung und Schutz zu Teil werden. . . . Aber wie jede Gabe an die Bedingung geknüpft ist, daß sie nicht mißbraucht werde, so können auch wir unsre Verheißungen und Ab¬ sichten von dieser Bedingung nicht lösen. In der untrennbaren Verbindung mit unsrer Monarchie hat das Nationalgefühl der polnischen Unterthanen unsrer Provinz Pose» die Richtung seiner ferneren Entwicklung, die feste Schranke seiner Manifestation zu erkennen. Die Verschiedenheit der Abstammung, der Gegensatz der Namen Polen und Deutsche findet seinen Vereinigungspunkt in dem Namen des Staates, dem sie gemeinsam und für immer angehören, in dem Namen Preußen." Und wie sich das absolute Königtum in Preußen den Polen gegenüber nichts vergeben hat, so auch die Verfassung, deren erster Paragraph besagte: „Alle Landesteile der Monarchie in ihrem gegenwärtigen Umfange bilden das preußische Staatsgebiet." Die polnische» Abgeordneten wollten anfangs ihre Mandate

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/647>, abgerufen am 26.06.2024.