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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Provinz Posen und die Wiener Verträge.

von einer Personalunion widerstrebend ist endlich das Arrangement, vermöge
dessen er in dem Patent Teile der neuen Provinz mit Westpreußen verbindet
lind ihr westpreußische Gebiete einverleibt.

In der Proklamation, welche das Besitznahmepatent begleitete, heißt es:
"Ihr werdet meiner Monarchie einverleibt, ohne eure Nationalität verleugnen
zu müssen. Ihr werdet an der Konstitution teilnehmen, welche ich meinen
Unterthanen zu gewähren beabsichtige, und ihr werdet wie die übrige" Pro¬
vinzen meines Reiches eine provinzielle Verfassung erhalte". Eure Religion soll
aufrecht erhalten und zu einer standesgemäßen Dotation ihrer Diener gewirkt
werden. Eure persönlichen Rechte und euer Eigentum kehren wieder unter den
Schutz der Gesetze zurück, zu deren Beratung ihr künftig zugezogen werden sollt.
Eure Sprache soll neben der deutschen bei allen öffentlichen Verhandlungen ge¬
braucht werden, und jedem unter euch soll nach Maßgabe seiner Fähigkeiten
der Zutritt zu den Ämtern des Großhcrzogtnms, sowie zu allen Ämtern, Ehren
und Würden meines Reiches offenstehen." Von diesen Verheißungen hat der
König nur die nicht erfüllt, welche eine Konstitution versprach; dies betraf aber
die übrigen Preußen ebenfalls und wurde 1848 gutgemacht. Alle andern Zu-
sicherungen wurden, soweit irgend möglich, verwirklicht.

Am 3. August 1315 faud die Erbhuldigung statt. Vor derselben hielt der
Statthalter Fürst Anton Radziwill eine Ansprache, in welcher er seine Lands¬
leute glücklich pries, nun "einem Staatskörper einverleibt zu werden, dessen
Ruhm und Macht auf einer weise beschränkten Freiheit, auf einer unparteiischen
Gerechtigkeit und auf einer alles umfassenden Fürsorge der Regierung beruhen."
Dann leisteten sie -- genau nach der Formel von 1796 -- den Treueid, Beamte,
Geistliche, Rittergutsbesitzer, ohne Protest, ohne irgendwelche Einschränkung. Der
Oberpräsident von Zerboni hielt denselben nach seinen Erfahrungen nicht für
bindend genug und ließ daher die polnischen Beamten noch einen Revers unter¬
schreiben, der folgenden Passus enthielt: "Ich erkenne Se. Majestät den König
von Preuße" als den einzigen rechtmüßigen Souverän dieses Landes, und den
Anteil von Polen, welcher durch den Kongreß zu Wien dem königlich preußische"
Hause wieder zugefallen ist, als mein Vaterland, das ich gegen jede Macht und
gegen jedermann, wer es auch sei, uuter allen Umständen und Verhältnissen mit
meinem Blute zu verteidigen verpflichtet und bereit bin." Die Polen haben aus
dieser Taktlosigkeit und Eigenmächtigkeit eines Beamten Kapital geschlagen und
die betreffende Präsidialvervrduuug unter die "Staats- und völkerrechtlichen Ur¬
kunden, welche das Verhältnis des Großhcrzogtums Posen zur preußischen Krone
feststellen," gerechnet. Sehr mit Unrecht; denn Radziwill erklärte die Ver¬
ordnung durch Reskript für ungiltig, nachdem der Appellativnsgcrichtspräsident
von Schöliermark, darüber befragt, sein Gutachten dahin abgegeben hatte: "Die
zweite Periode (des Reverses) läßt den Unterschreibenden den Anteil von Polen,
welcher dem königlich preußischen Hanse zurückgefallen ist, als sein Vaterland


Die Provinz Posen und die Wiener Verträge.

von einer Personalunion widerstrebend ist endlich das Arrangement, vermöge
dessen er in dem Patent Teile der neuen Provinz mit Westpreußen verbindet
lind ihr westpreußische Gebiete einverleibt.

In der Proklamation, welche das Besitznahmepatent begleitete, heißt es:
„Ihr werdet meiner Monarchie einverleibt, ohne eure Nationalität verleugnen
zu müssen. Ihr werdet an der Konstitution teilnehmen, welche ich meinen
Unterthanen zu gewähren beabsichtige, und ihr werdet wie die übrige» Pro¬
vinzen meines Reiches eine provinzielle Verfassung erhalte». Eure Religion soll
aufrecht erhalten und zu einer standesgemäßen Dotation ihrer Diener gewirkt
werden. Eure persönlichen Rechte und euer Eigentum kehren wieder unter den
Schutz der Gesetze zurück, zu deren Beratung ihr künftig zugezogen werden sollt.
Eure Sprache soll neben der deutschen bei allen öffentlichen Verhandlungen ge¬
braucht werden, und jedem unter euch soll nach Maßgabe seiner Fähigkeiten
der Zutritt zu den Ämtern des Großhcrzogtnms, sowie zu allen Ämtern, Ehren
und Würden meines Reiches offenstehen." Von diesen Verheißungen hat der
König nur die nicht erfüllt, welche eine Konstitution versprach; dies betraf aber
die übrigen Preußen ebenfalls und wurde 1848 gutgemacht. Alle andern Zu-
sicherungen wurden, soweit irgend möglich, verwirklicht.

Am 3. August 1315 faud die Erbhuldigung statt. Vor derselben hielt der
Statthalter Fürst Anton Radziwill eine Ansprache, in welcher er seine Lands¬
leute glücklich pries, nun „einem Staatskörper einverleibt zu werden, dessen
Ruhm und Macht auf einer weise beschränkten Freiheit, auf einer unparteiischen
Gerechtigkeit und auf einer alles umfassenden Fürsorge der Regierung beruhen."
Dann leisteten sie — genau nach der Formel von 1796 — den Treueid, Beamte,
Geistliche, Rittergutsbesitzer, ohne Protest, ohne irgendwelche Einschränkung. Der
Oberpräsident von Zerboni hielt denselben nach seinen Erfahrungen nicht für
bindend genug und ließ daher die polnischen Beamten noch einen Revers unter¬
schreiben, der folgenden Passus enthielt: „Ich erkenne Se. Majestät den König
von Preuße» als den einzigen rechtmüßigen Souverän dieses Landes, und den
Anteil von Polen, welcher durch den Kongreß zu Wien dem königlich preußische»
Hause wieder zugefallen ist, als mein Vaterland, das ich gegen jede Macht und
gegen jedermann, wer es auch sei, uuter allen Umständen und Verhältnissen mit
meinem Blute zu verteidigen verpflichtet und bereit bin." Die Polen haben aus
dieser Taktlosigkeit und Eigenmächtigkeit eines Beamten Kapital geschlagen und
die betreffende Präsidialvervrduuug unter die „Staats- und völkerrechtlichen Ur¬
kunden, welche das Verhältnis des Großhcrzogtums Posen zur preußischen Krone
feststellen," gerechnet. Sehr mit Unrecht; denn Radziwill erklärte die Ver¬
ordnung durch Reskript für ungiltig, nachdem der Appellativnsgcrichtspräsident
von Schöliermark, darüber befragt, sein Gutachten dahin abgegeben hatte: „Die
zweite Periode (des Reverses) läßt den Unterschreibenden den Anteil von Polen,
welcher dem königlich preußischen Hanse zurückgefallen ist, als sein Vaterland


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/646>, abgerufen am 26.06.2024.