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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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werdenden absurden Nörgelei, und da deutsche Volksvertreter geneigt sein sollen,
das Lamento z" miterstützen, so möchten Mir sie schon jetzt daran erinner", daß
sie daran sehr unrecht thun würden.

Das Klagelied der Posener Landboten lautet in der Kürze: In der Wiener
Schlußakte vom Juni 1815 und dem Besitznnhmepatent sowie in der dasselbe
begleitenden Proklamation ist eine Personalunion zwischen dem "Großhcrzogtum"
Posen und Preuße" geschaffen, und außerdem siud den Polen damals bestimmte
Verheißungen betreffs der Wahrung ihrer Nationalität und Sprache und des
Schutzes ihrer Religion und Kirche erteilt worden; alles das ist aber nicht be¬
achtet worden und unerfüllt geblieben.

Prüfen wir diese Behauptungen an den Thatsachen.

Die Wiener Hauptakte vom 9. Juni 1815 sagt in Bezug auf unsre Frage
im 1. Artikel: "Die polnischen Unterthanen Rußlands, Österreichs und Preußens
werde" eine Vertretung und nationale Einrichtungen bekomme!?, geregelt nach
der Weise politischer Existenz, welche jede einzelne der Regierungen, unter die
sie gehöre", ihnen zu gewähren für nützlich und zweckmäßig erachten wird."
Dieses Versprechen ist bereits durch die Einrichtung der Provinziallandtage von
1823 erfüllt worden. Der 23. Artikel lautet: "Nachdem Se. Majestät der
König von Preußen infolge des letzten Krieges wieder in den Besitz mehrerer
Provinzen und Gebiete gelangt ist, welche durch den Frieden von Tilsit abge¬
treten worden waren, wird durch deu gegenwärtigen Artikel anerkannt und erklärt,
daß Se. Majestät, dessen Erben und Nachfolger folgende Länder, nämlich: den
in, 2. Artikel bezeichneten Teil seiner alten polnischen Provinzen (des Herzog¬
tums Warschau), die Stadt Danzig und deren Gebiet, wie es im Tilsiter Vertrag
festgestellt worden, den Kottbuser Kreis und den von neuem wie früher in voller
Souveränetät und unbeschränkten Eigentum besitzen werden." Nach dem Schlüsse
desselben Artikels besitzt der König die bezeichneten Gebietsteile "mit allen den
Rechten und Ansprüchen irgendwelcher Art, welche Se. Preußische Majestät vor
dem Tilsiter Frieden besessen, und auf welche er niemals durch andre Vertrüge.
Akte oder Übereinkünfte verzichtet hat." Nirgends ist hier von einer Personal¬
union die Rede, und wenn sich Friedrich Wilhelm III. in dem Besitznahme-
patent vom 15. Mai 1815 den Titel eines Großherzogs von Posen beilegte,
so kann er dabei nicht entfernt den Gedanken an ein solches Verhältnis Posens
zum Ganzen der übrigen preußischen Lande im Sinne gehabt haben. "Früher,"
d. h. vor dem Jahre 1807, vor dein Tilsiter Frieden, hatte niemand das Ver¬
hältnis der polnischen Provinzen Preußens zu den deutschen sich als Personal¬
union vorgestellt. Ermannte der König jetzt im Patent zum Behufe der Organisation
einen besondern Statthalter, so gab es auch einen Statthalter für Posen.
Wichtig ist, daß er die neue Erwerbung in jenem Aktenstücke "Provinz" bezeichnet,
und daß er Titel und Wappen derselben seinem Titel und Wappen nicht bei¬
fügt, sondern sie in dieselben "aufnimmt." Entscheidend und jeder Vorstellung


Ärcnzbotn, 1. 1382, 81

werdenden absurden Nörgelei, und da deutsche Volksvertreter geneigt sein sollen,
das Lamento z» miterstützen, so möchten Mir sie schon jetzt daran erinner», daß
sie daran sehr unrecht thun würden.

Das Klagelied der Posener Landboten lautet in der Kürze: In der Wiener
Schlußakte vom Juni 1815 und dem Besitznnhmepatent sowie in der dasselbe
begleitenden Proklamation ist eine Personalunion zwischen dem „Großhcrzogtum"
Posen und Preuße» geschaffen, und außerdem siud den Polen damals bestimmte
Verheißungen betreffs der Wahrung ihrer Nationalität und Sprache und des
Schutzes ihrer Religion und Kirche erteilt worden; alles das ist aber nicht be¬
achtet worden und unerfüllt geblieben.

Prüfen wir diese Behauptungen an den Thatsachen.

Die Wiener Hauptakte vom 9. Juni 1815 sagt in Bezug auf unsre Frage
im 1. Artikel: „Die polnischen Unterthanen Rußlands, Österreichs und Preußens
werde» eine Vertretung und nationale Einrichtungen bekomme!?, geregelt nach
der Weise politischer Existenz, welche jede einzelne der Regierungen, unter die
sie gehöre», ihnen zu gewähren für nützlich und zweckmäßig erachten wird."
Dieses Versprechen ist bereits durch die Einrichtung der Provinziallandtage von
1823 erfüllt worden. Der 23. Artikel lautet: „Nachdem Se. Majestät der
König von Preußen infolge des letzten Krieges wieder in den Besitz mehrerer
Provinzen und Gebiete gelangt ist, welche durch den Frieden von Tilsit abge¬
treten worden waren, wird durch deu gegenwärtigen Artikel anerkannt und erklärt,
daß Se. Majestät, dessen Erben und Nachfolger folgende Länder, nämlich: den
in, 2. Artikel bezeichneten Teil seiner alten polnischen Provinzen (des Herzog¬
tums Warschau), die Stadt Danzig und deren Gebiet, wie es im Tilsiter Vertrag
festgestellt worden, den Kottbuser Kreis und den von neuem wie früher in voller
Souveränetät und unbeschränkten Eigentum besitzen werden." Nach dem Schlüsse
desselben Artikels besitzt der König die bezeichneten Gebietsteile „mit allen den
Rechten und Ansprüchen irgendwelcher Art, welche Se. Preußische Majestät vor
dem Tilsiter Frieden besessen, und auf welche er niemals durch andre Vertrüge.
Akte oder Übereinkünfte verzichtet hat." Nirgends ist hier von einer Personal¬
union die Rede, und wenn sich Friedrich Wilhelm III. in dem Besitznahme-
patent vom 15. Mai 1815 den Titel eines Großherzogs von Posen beilegte,
so kann er dabei nicht entfernt den Gedanken an ein solches Verhältnis Posens
zum Ganzen der übrigen preußischen Lande im Sinne gehabt haben. „Früher,"
d. h. vor dem Jahre 1807, vor dein Tilsiter Frieden, hatte niemand das Ver¬
hältnis der polnischen Provinzen Preußens zu den deutschen sich als Personal¬
union vorgestellt. Ermannte der König jetzt im Patent zum Behufe der Organisation
einen besondern Statthalter, so gab es auch einen Statthalter für Posen.
Wichtig ist, daß er die neue Erwerbung in jenem Aktenstücke „Provinz" bezeichnet,
und daß er Titel und Wappen derselben seinem Titel und Wappen nicht bei¬
fügt, sondern sie in dieselben „aufnimmt." Entscheidend und jeder Vorstellung


Ärcnzbotn, 1. 1382, 81
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[0645] werdenden absurden Nörgelei, und da deutsche Volksvertreter geneigt sein sollen, das Lamento z» miterstützen, so möchten Mir sie schon jetzt daran erinner», daß sie daran sehr unrecht thun würden. Das Klagelied der Posener Landboten lautet in der Kürze: In der Wiener Schlußakte vom Juni 1815 und dem Besitznnhmepatent sowie in der dasselbe begleitenden Proklamation ist eine Personalunion zwischen dem „Großhcrzogtum" Posen und Preuße» geschaffen, und außerdem siud den Polen damals bestimmte Verheißungen betreffs der Wahrung ihrer Nationalität und Sprache und des Schutzes ihrer Religion und Kirche erteilt worden; alles das ist aber nicht be¬ achtet worden und unerfüllt geblieben. Prüfen wir diese Behauptungen an den Thatsachen. Die Wiener Hauptakte vom 9. Juni 1815 sagt in Bezug auf unsre Frage im 1. Artikel: „Die polnischen Unterthanen Rußlands, Österreichs und Preußens werde» eine Vertretung und nationale Einrichtungen bekomme!?, geregelt nach der Weise politischer Existenz, welche jede einzelne der Regierungen, unter die sie gehöre», ihnen zu gewähren für nützlich und zweckmäßig erachten wird." Dieses Versprechen ist bereits durch die Einrichtung der Provinziallandtage von 1823 erfüllt worden. Der 23. Artikel lautet: „Nachdem Se. Majestät der König von Preußen infolge des letzten Krieges wieder in den Besitz mehrerer Provinzen und Gebiete gelangt ist, welche durch den Frieden von Tilsit abge¬ treten worden waren, wird durch deu gegenwärtigen Artikel anerkannt und erklärt, daß Se. Majestät, dessen Erben und Nachfolger folgende Länder, nämlich: den in, 2. Artikel bezeichneten Teil seiner alten polnischen Provinzen (des Herzog¬ tums Warschau), die Stadt Danzig und deren Gebiet, wie es im Tilsiter Vertrag festgestellt worden, den Kottbuser Kreis und den von neuem wie früher in voller Souveränetät und unbeschränkten Eigentum besitzen werden." Nach dem Schlüsse desselben Artikels besitzt der König die bezeichneten Gebietsteile „mit allen den Rechten und Ansprüchen irgendwelcher Art, welche Se. Preußische Majestät vor dem Tilsiter Frieden besessen, und auf welche er niemals durch andre Vertrüge. Akte oder Übereinkünfte verzichtet hat." Nirgends ist hier von einer Personal¬ union die Rede, und wenn sich Friedrich Wilhelm III. in dem Besitznahme- patent vom 15. Mai 1815 den Titel eines Großherzogs von Posen beilegte, so kann er dabei nicht entfernt den Gedanken an ein solches Verhältnis Posens zum Ganzen der übrigen preußischen Lande im Sinne gehabt haben. „Früher," d. h. vor dem Jahre 1807, vor dein Tilsiter Frieden, hatte niemand das Ver¬ hältnis der polnischen Provinzen Preußens zu den deutschen sich als Personal¬ union vorgestellt. Ermannte der König jetzt im Patent zum Behufe der Organisation einen besondern Statthalter, so gab es auch einen Statthalter für Posen. Wichtig ist, daß er die neue Erwerbung in jenem Aktenstücke „Provinz" bezeichnet, und daß er Titel und Wappen derselben seinem Titel und Wappen nicht bei¬ fügt, sondern sie in dieselben „aufnimmt." Entscheidend und jeder Vorstellung Ärcnzbotn, 1. 1382, 81

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/645>, abgerufen am 26.06.2024.