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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

Nichts, entgegnete sie. Mich schmerzt der Kopf und ich habe allerhand
schwarze Gedanken. Ich kann die großen Gesellschaften nicht ausstehen. Die
Leute zertreten die Teppiche, machen Flecke in das Weißzeug, trinken den Keller
leer und moquiren sich nachher über den, der so dumm war, sie einzuladen. Bringen
Sie mich in das kleine Zimmer dort, Eduard, und erzählen Sie mir etwas von
den Ausgrabungen. Sie können Sylvia später noch genug genießen.

So langweilig es für Eduard war, er gab dem Wunsche nach und erzählte
im Nebenzimmer des Tanzsaals, wo jetzt die Musik begann, von Schliemann
und Hnmann. Er hatte Mitleid mit der Frau, die sich offenbar sehr unglücklich
fühlte, und freute sich, ihr einen Gefallen thun zu können. Doch beschäftigte
seinen Geist nebenbei die eigentümliche Manier, mit welcher Frau Rahel heute,
wie schon mehrmals vorher, von seinem Verhältnis zu Sylvia gesprochen hatte.
Es schien ihm so, als wollte sie ihn vor der Herrschsucht seiner Braut warnen,
als wollte sie ihm zu verstehen geben, er möge auf seiner Hut sein, daß Sylvia
ihn nicht ganz zu ihrem Sklaven mache. Er konnte sich selbst nicht recht klar
macheu, was er von Frau Nabels Äußerungen halten sollte, und umsoweniger,
als es ihm doch unglaublich und gegen alles Herkommen verstoßend erschien,
daß eine Mutter gegen das Interesse ihrer eigenen Tochter handeln sollte.

Bei alledem hatte gerade heute Sylvias Bemerkung über sein Benehmen
gegen ihren Vater ihm eine Mißstimmung gegen sie eingeflößt. Es war das
wieder dasselbe Lied, welches sie im Tiergarten gesungen hatte. Man wollte
ihm zumuten, seine künstlerische Überzeugung zu verleugnen, um Geld zu machen;
er sollte seinen Charakter ändern um des Mammons willen.

Er dachte heute Abend, es müsse doch sehr angenehm sein, eine Frau zu
haben, welche weder Vater noch Mutter, weder Brüder noch Schwestern, weder
Reichtum noch Ehrgeiz besitze, eine Frau, welche nichts habe als Liebe zu ihrem
Mann.

Unwillkürlich trat hierbei das Bild der schönen Waise vor sein inneres
Auge. Er hatte viel an Betty denken müssen. Wieder gesehen hatte er sie nicht.
Sie war nach Kürbisdorf abgereist und hatte nichts von sich hören lassen. Ob
es ihr dort wohl gut erging? Sie war so anspruchslos und dankbar! Seiner
Braut hatte er nichts von dem kleinen Abenteuer erzählt, indem er hierin dem
Rate seiner Freundin, der Frau Lehmann, folgte.

Währenddessen ward im Saale getanzt, und in den übrigen Gemächern
bildeten sich nach Neigung und Lebensalter verschiedene Zirkel. Viele namhafte
Leute, darunter Abgeordnete, Künstler, Gelehrte befanden sich unter der großen
Zahl der Gäste.

In der Berliner Gesellschaft ist noch jener alte Ruf ernster Interessen und
hoher Bildung eine Wahrheit, jener Ruf, der die verstandesscharfe Hauptstadt
von Alters her auszeichnet, und so fand sich auch, während die junge Welt den
Tanzsaal bevölkerte, in dem entlegensten Zimmer der langen Flucht ein Kreis


Grenzboten I. 1882. 79
Bakchen und Thyrsosträger.

Nichts, entgegnete sie. Mich schmerzt der Kopf und ich habe allerhand
schwarze Gedanken. Ich kann die großen Gesellschaften nicht ausstehen. Die
Leute zertreten die Teppiche, machen Flecke in das Weißzeug, trinken den Keller
leer und moquiren sich nachher über den, der so dumm war, sie einzuladen. Bringen
Sie mich in das kleine Zimmer dort, Eduard, und erzählen Sie mir etwas von
den Ausgrabungen. Sie können Sylvia später noch genug genießen.

So langweilig es für Eduard war, er gab dem Wunsche nach und erzählte
im Nebenzimmer des Tanzsaals, wo jetzt die Musik begann, von Schliemann
und Hnmann. Er hatte Mitleid mit der Frau, die sich offenbar sehr unglücklich
fühlte, und freute sich, ihr einen Gefallen thun zu können. Doch beschäftigte
seinen Geist nebenbei die eigentümliche Manier, mit welcher Frau Rahel heute,
wie schon mehrmals vorher, von seinem Verhältnis zu Sylvia gesprochen hatte.
Es schien ihm so, als wollte sie ihn vor der Herrschsucht seiner Braut warnen,
als wollte sie ihm zu verstehen geben, er möge auf seiner Hut sein, daß Sylvia
ihn nicht ganz zu ihrem Sklaven mache. Er konnte sich selbst nicht recht klar
macheu, was er von Frau Nabels Äußerungen halten sollte, und umsoweniger,
als es ihm doch unglaublich und gegen alles Herkommen verstoßend erschien,
daß eine Mutter gegen das Interesse ihrer eigenen Tochter handeln sollte.

Bei alledem hatte gerade heute Sylvias Bemerkung über sein Benehmen
gegen ihren Vater ihm eine Mißstimmung gegen sie eingeflößt. Es war das
wieder dasselbe Lied, welches sie im Tiergarten gesungen hatte. Man wollte
ihm zumuten, seine künstlerische Überzeugung zu verleugnen, um Geld zu machen;
er sollte seinen Charakter ändern um des Mammons willen.

Er dachte heute Abend, es müsse doch sehr angenehm sein, eine Frau zu
haben, welche weder Vater noch Mutter, weder Brüder noch Schwestern, weder
Reichtum noch Ehrgeiz besitze, eine Frau, welche nichts habe als Liebe zu ihrem
Mann.

Unwillkürlich trat hierbei das Bild der schönen Waise vor sein inneres
Auge. Er hatte viel an Betty denken müssen. Wieder gesehen hatte er sie nicht.
Sie war nach Kürbisdorf abgereist und hatte nichts von sich hören lassen. Ob
es ihr dort wohl gut erging? Sie war so anspruchslos und dankbar! Seiner
Braut hatte er nichts von dem kleinen Abenteuer erzählt, indem er hierin dem
Rate seiner Freundin, der Frau Lehmann, folgte.

Währenddessen ward im Saale getanzt, und in den übrigen Gemächern
bildeten sich nach Neigung und Lebensalter verschiedene Zirkel. Viele namhafte
Leute, darunter Abgeordnete, Künstler, Gelehrte befanden sich unter der großen
Zahl der Gäste.

In der Berliner Gesellschaft ist noch jener alte Ruf ernster Interessen und
hoher Bildung eine Wahrheit, jener Ruf, der die verstandesscharfe Hauptstadt
von Alters her auszeichnet, und so fand sich auch, während die junge Welt den
Tanzsaal bevölkerte, in dem entlegensten Zimmer der langen Flucht ein Kreis


Grenzboten I. 1882. 79
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[0633] Bakchen und Thyrsosträger. Nichts, entgegnete sie. Mich schmerzt der Kopf und ich habe allerhand schwarze Gedanken. Ich kann die großen Gesellschaften nicht ausstehen. Die Leute zertreten die Teppiche, machen Flecke in das Weißzeug, trinken den Keller leer und moquiren sich nachher über den, der so dumm war, sie einzuladen. Bringen Sie mich in das kleine Zimmer dort, Eduard, und erzählen Sie mir etwas von den Ausgrabungen. Sie können Sylvia später noch genug genießen. So langweilig es für Eduard war, er gab dem Wunsche nach und erzählte im Nebenzimmer des Tanzsaals, wo jetzt die Musik begann, von Schliemann und Hnmann. Er hatte Mitleid mit der Frau, die sich offenbar sehr unglücklich fühlte, und freute sich, ihr einen Gefallen thun zu können. Doch beschäftigte seinen Geist nebenbei die eigentümliche Manier, mit welcher Frau Rahel heute, wie schon mehrmals vorher, von seinem Verhältnis zu Sylvia gesprochen hatte. Es schien ihm so, als wollte sie ihn vor der Herrschsucht seiner Braut warnen, als wollte sie ihm zu verstehen geben, er möge auf seiner Hut sein, daß Sylvia ihn nicht ganz zu ihrem Sklaven mache. Er konnte sich selbst nicht recht klar macheu, was er von Frau Nabels Äußerungen halten sollte, und umsoweniger, als es ihm doch unglaublich und gegen alles Herkommen verstoßend erschien, daß eine Mutter gegen das Interesse ihrer eigenen Tochter handeln sollte. Bei alledem hatte gerade heute Sylvias Bemerkung über sein Benehmen gegen ihren Vater ihm eine Mißstimmung gegen sie eingeflößt. Es war das wieder dasselbe Lied, welches sie im Tiergarten gesungen hatte. Man wollte ihm zumuten, seine künstlerische Überzeugung zu verleugnen, um Geld zu machen; er sollte seinen Charakter ändern um des Mammons willen. Er dachte heute Abend, es müsse doch sehr angenehm sein, eine Frau zu haben, welche weder Vater noch Mutter, weder Brüder noch Schwestern, weder Reichtum noch Ehrgeiz besitze, eine Frau, welche nichts habe als Liebe zu ihrem Mann. Unwillkürlich trat hierbei das Bild der schönen Waise vor sein inneres Auge. Er hatte viel an Betty denken müssen. Wieder gesehen hatte er sie nicht. Sie war nach Kürbisdorf abgereist und hatte nichts von sich hören lassen. Ob es ihr dort wohl gut erging? Sie war so anspruchslos und dankbar! Seiner Braut hatte er nichts von dem kleinen Abenteuer erzählt, indem er hierin dem Rate seiner Freundin, der Frau Lehmann, folgte. Währenddessen ward im Saale getanzt, und in den übrigen Gemächern bildeten sich nach Neigung und Lebensalter verschiedene Zirkel. Viele namhafte Leute, darunter Abgeordnete, Künstler, Gelehrte befanden sich unter der großen Zahl der Gäste. In der Berliner Gesellschaft ist noch jener alte Ruf ernster Interessen und hoher Bildung eine Wahrheit, jener Ruf, der die verstandesscharfe Hauptstadt von Alters her auszeichnet, und so fand sich auch, während die junge Welt den Tanzsaal bevölkerte, in dem entlegensten Zimmer der langen Flucht ein Kreis Grenzboten I. 1882. 79

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/633>, abgerufen am 26.06.2024.