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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsostrciger.

init der Geschwindigkeit eines Pfeiles in gerader Linie davon. Die beiden Herren
baten Comtesse Hyacinth zurückzubleiben und folgten dem jungen Freiherrn in
voller Karierre, aber das an Schnelligkeit weit überlegene Tier kam ihnen bald
aus dem Gesicht.

Sie sahen noch, daß es an der Biegung nach links, welche der Weg machte,
nicht der Biegung folgte, sondern geradeaus rannte und mit einem ungeheuern
Satze über den breiten Graben hinwegflvg, der deu Weg von einer weiten, stellen¬
weise mit Gehölz und Gestrüpp bedeckten Fläche trennte. Dann verschwand es vor
ihren Augen.

(Schluß des ersten Bandes.)




. Erstes Aapitel.
Läßt die Tugend sich lernen?

Wenn man auch nach Mekka triebe
Christus Esel, würd' er nicht
Dadurch besser abgericht'
Sondern stets ein Esel bliebe.

Am Tage nach dem Gebnrtstagsfest des alten Freiherrn von Lvvcndal,
demselben Tage, an welchem Amadeus den Ritt auf der Stute des Prinzen von
Parvlignae machte, fand ein Abendfest beim Millionär Irrwisch statt, zu welchem
zahlreiche Gesellschaft geladen war.

Das große schöne Haus mit seinen prachtvollen Treppcnfluchten, den weiten
Korridoren und glänzenden Empfangsräumen strahlte in vollster Herrlichkeit,
und Frau Irrwisch selbst hatte ihr Lieblingszimmer verlassen, das neue geschmack¬
lose und sehr lebhaft in die Welt hineinschreicnde Gesellschaftskleid angezogen.
Sie befand sich jedoch nicht wohl. Schon seit mehreren Wochen war sie in sehr
finsterer Stimmung, noch weit träger und mürrischer als sonst. Der Hausarzt
hatte ihr ein Seebad angeraten und sie hatte infolge dessen Scheindl kommen
lassen, um mit ihr ein Badekostüm anzufertigen. Aber es war in Irrwischs
Familie öffentliches Geheimnis, daß Frau Rahel niemals weder in das Seebad,
noch an einen andern entlegenen Ort reisen, sondern.wie bisher trübselig zu Hause
hocken und fortfahren werde, vielen Kaffee zu trinken und schweren Kuchen sowie
allerhand sonstige fette Speisen zu genießen, welche ihr vor ihrer Taufe verboten
gewesen waren und welche, wie der Arzt behauptete, nicht ohne Einfluß auf ihre
Verdauungsorgane waren.

Sylvia glich einer Fee. Sie war in lichtblaue, mit Silber durchwebte
Seide gekleidet. Das Gewand war der augenblicklich herrschenden Mode gemäß
sehr eng um die schlanke Gestalt zusammengezogen und hatte eine lange Schleppe,


Bakchen und Thyrsostrciger.

init der Geschwindigkeit eines Pfeiles in gerader Linie davon. Die beiden Herren
baten Comtesse Hyacinth zurückzubleiben und folgten dem jungen Freiherrn in
voller Karierre, aber das an Schnelligkeit weit überlegene Tier kam ihnen bald
aus dem Gesicht.

Sie sahen noch, daß es an der Biegung nach links, welche der Weg machte,
nicht der Biegung folgte, sondern geradeaus rannte und mit einem ungeheuern
Satze über den breiten Graben hinwegflvg, der deu Weg von einer weiten, stellen¬
weise mit Gehölz und Gestrüpp bedeckten Fläche trennte. Dann verschwand es vor
ihren Augen.

(Schluß des ersten Bandes.)




. Erstes Aapitel.
Läßt die Tugend sich lernen?

Wenn man auch nach Mekka triebe
Christus Esel, würd' er nicht
Dadurch besser abgericht'
Sondern stets ein Esel bliebe.

Am Tage nach dem Gebnrtstagsfest des alten Freiherrn von Lvvcndal,
demselben Tage, an welchem Amadeus den Ritt auf der Stute des Prinzen von
Parvlignae machte, fand ein Abendfest beim Millionär Irrwisch statt, zu welchem
zahlreiche Gesellschaft geladen war.

Das große schöne Haus mit seinen prachtvollen Treppcnfluchten, den weiten
Korridoren und glänzenden Empfangsräumen strahlte in vollster Herrlichkeit,
und Frau Irrwisch selbst hatte ihr Lieblingszimmer verlassen, das neue geschmack¬
lose und sehr lebhaft in die Welt hineinschreicnde Gesellschaftskleid angezogen.
Sie befand sich jedoch nicht wohl. Schon seit mehreren Wochen war sie in sehr
finsterer Stimmung, noch weit träger und mürrischer als sonst. Der Hausarzt
hatte ihr ein Seebad angeraten und sie hatte infolge dessen Scheindl kommen
lassen, um mit ihr ein Badekostüm anzufertigen. Aber es war in Irrwischs
Familie öffentliches Geheimnis, daß Frau Rahel niemals weder in das Seebad,
noch an einen andern entlegenen Ort reisen, sondern.wie bisher trübselig zu Hause
hocken und fortfahren werde, vielen Kaffee zu trinken und schweren Kuchen sowie
allerhand sonstige fette Speisen zu genießen, welche ihr vor ihrer Taufe verboten
gewesen waren und welche, wie der Arzt behauptete, nicht ohne Einfluß auf ihre
Verdauungsorgane waren.

Sylvia glich einer Fee. Sie war in lichtblaue, mit Silber durchwebte
Seide gekleidet. Das Gewand war der augenblicklich herrschenden Mode gemäß
sehr eng um die schlanke Gestalt zusammengezogen und hatte eine lange Schleppe,


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[0631] Bakchen und Thyrsostrciger. init der Geschwindigkeit eines Pfeiles in gerader Linie davon. Die beiden Herren baten Comtesse Hyacinth zurückzubleiben und folgten dem jungen Freiherrn in voller Karierre, aber das an Schnelligkeit weit überlegene Tier kam ihnen bald aus dem Gesicht. Sie sahen noch, daß es an der Biegung nach links, welche der Weg machte, nicht der Biegung folgte, sondern geradeaus rannte und mit einem ungeheuern Satze über den breiten Graben hinwegflvg, der deu Weg von einer weiten, stellen¬ weise mit Gehölz und Gestrüpp bedeckten Fläche trennte. Dann verschwand es vor ihren Augen. (Schluß des ersten Bandes.) . Erstes Aapitel. Läßt die Tugend sich lernen? Wenn man auch nach Mekka triebe Christus Esel, würd' er nicht Dadurch besser abgericht' Sondern stets ein Esel bliebe. Am Tage nach dem Gebnrtstagsfest des alten Freiherrn von Lvvcndal, demselben Tage, an welchem Amadeus den Ritt auf der Stute des Prinzen von Parvlignae machte, fand ein Abendfest beim Millionär Irrwisch statt, zu welchem zahlreiche Gesellschaft geladen war. Das große schöne Haus mit seinen prachtvollen Treppcnfluchten, den weiten Korridoren und glänzenden Empfangsräumen strahlte in vollster Herrlichkeit, und Frau Irrwisch selbst hatte ihr Lieblingszimmer verlassen, das neue geschmack¬ lose und sehr lebhaft in die Welt hineinschreicnde Gesellschaftskleid angezogen. Sie befand sich jedoch nicht wohl. Schon seit mehreren Wochen war sie in sehr finsterer Stimmung, noch weit träger und mürrischer als sonst. Der Hausarzt hatte ihr ein Seebad angeraten und sie hatte infolge dessen Scheindl kommen lassen, um mit ihr ein Badekostüm anzufertigen. Aber es war in Irrwischs Familie öffentliches Geheimnis, daß Frau Rahel niemals weder in das Seebad, noch an einen andern entlegenen Ort reisen, sondern.wie bisher trübselig zu Hause hocken und fortfahren werde, vielen Kaffee zu trinken und schweren Kuchen sowie allerhand sonstige fette Speisen zu genießen, welche ihr vor ihrer Taufe verboten gewesen waren und welche, wie der Arzt behauptete, nicht ohne Einfluß auf ihre Verdauungsorgane waren. Sylvia glich einer Fee. Sie war in lichtblaue, mit Silber durchwebte Seide gekleidet. Das Gewand war der augenblicklich herrschenden Mode gemäß sehr eng um die schlanke Gestalt zusammengezogen und hatte eine lange Schleppe,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/631>, abgerufen am 26.06.2024.