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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger,

fragen soll. Als ich von Paris fortging, gab mir mein guter alter Onkel, der
Herzog von Lasteyric, ein Abschiedsfest, und es waren zehn Ehepaare in der
Gesellschaft. Neun von den Damen hätte ich fragen können, aber ich fürchtete,
ausgelacht zu werden. Die Pariserinnen denken gar zu leicht, man wollte sie
aufziehen, wenn man von ehelichen Glück spricht. Hier in Berlin ist das besser,
da findet man immer noch hie und da ein weiches Herz. Beiläufig bemerkt,
die zehnte Dame, diejenige, welche glücklich mit ihrem Manne lebt, hätte ich
schon deswegen nicht um ihre Ansicht befragen können, weil sie taubstumm ist.
Sie ist mit diesem Fehler geboren, im übrigen eine charmante Dame, und die
mich zu dem Glauben gebracht hat, daß die schlimmste Klippe ehelichen Glückes
darin besteht, daß beide Teile sich des ungehinderten Gebrauchs ihrer Zunge erfreuen.

Glücklicherweise, entgegnete Comtesse Hynzinth, ist nicht allen Leuten eine
solche Zunge beschieden, wie Ihnen, mein Prinz, denn dann wäre es allerdings
besser, wenn die Trauhaudlung noch um die Ceremonie des Zungenabschneidens
bei einem der Beteiligten erweitert würde.

Unter dergleichen frivolem Gespräch ging es im Schritt weiter, bis der
Prinz die Bemerkung machte, die schwarze Stute scheine nicht mehr so ruhig zu
gehen wie zu Anfang, und einen Galopp vorschlug, damit sie ihre Bewegung
bekomme.

Das Pferd ging in der That nicht mehr so ruhig wie zu Anfang, aber
die Schuld lag darau, daß Amadeus unruhig saß. Die schwarzen Gedanken,
welche ihn Tags vorher gepeinigt hatten, waren wieder erwacht und bestürmten
ihn in der jetzigen Umgebung mit doppelter Kraft, Er glaubte sich zum Ziel
des Hohnes für seine Begleiter gemacht zu sehen, und in dieser Aufregung war
es ihm nicht möglich, seinen Puls zu beherrschen. Das Blut rollte ihm wie
im Fieber durch die Adern, und das feinfühlige Tier unter ihm ward von der
Unruhe des Reiters angesteckt.

Als die Pferde nun im Galopp ansprangen, und auf beiden Seiten das
Schnauben und Bäumen der andern Tiere seinen erregenden Einfluß äußerte,
mochte die schwarze Stute Wohl meinen, es handle sich um ein Wettrennen oder
sonst eine bedeutsame Angelegenheit, wobei sie die erste sein müßte, und sie schoß
mit großer Heftigkeit vor. Als Amadeus sie zurückhielt, begann sie in
solchen Sätzen emporzuschnellen, daß Comtesse Hyaziuth einen Ruf der Besorgnis
nicht unterdrücken konnte. Amadeus zog die Zügel noch schärfer an. Da stieg
das Tier steil in die Höhe und hieb mit den Vorderbeinen.

Luft lassen! Luft! rief der Prinz.

Aber Amadeus, zornig über das Pferd und zornig über den belehrenden
Zuruf, ergriff die Peitsche am dünnen Ende und schlug den schweren goldenen
Knopf mit voller Kraft der Stute zwischen die Ohren.

Sie kam sofort auf die vier Füße herab und stand eine Sekunde gleichsam
vor Wut schaudernd still, dann faßte sie das Gebiß mit den Zähnen und ging


Bakchen und Thyrsosträger,

fragen soll. Als ich von Paris fortging, gab mir mein guter alter Onkel, der
Herzog von Lasteyric, ein Abschiedsfest, und es waren zehn Ehepaare in der
Gesellschaft. Neun von den Damen hätte ich fragen können, aber ich fürchtete,
ausgelacht zu werden. Die Pariserinnen denken gar zu leicht, man wollte sie
aufziehen, wenn man von ehelichen Glück spricht. Hier in Berlin ist das besser,
da findet man immer noch hie und da ein weiches Herz. Beiläufig bemerkt,
die zehnte Dame, diejenige, welche glücklich mit ihrem Manne lebt, hätte ich
schon deswegen nicht um ihre Ansicht befragen können, weil sie taubstumm ist.
Sie ist mit diesem Fehler geboren, im übrigen eine charmante Dame, und die
mich zu dem Glauben gebracht hat, daß die schlimmste Klippe ehelichen Glückes
darin besteht, daß beide Teile sich des ungehinderten Gebrauchs ihrer Zunge erfreuen.

Glücklicherweise, entgegnete Comtesse Hynzinth, ist nicht allen Leuten eine
solche Zunge beschieden, wie Ihnen, mein Prinz, denn dann wäre es allerdings
besser, wenn die Trauhaudlung noch um die Ceremonie des Zungenabschneidens
bei einem der Beteiligten erweitert würde.

Unter dergleichen frivolem Gespräch ging es im Schritt weiter, bis der
Prinz die Bemerkung machte, die schwarze Stute scheine nicht mehr so ruhig zu
gehen wie zu Anfang, und einen Galopp vorschlug, damit sie ihre Bewegung
bekomme.

Das Pferd ging in der That nicht mehr so ruhig wie zu Anfang, aber
die Schuld lag darau, daß Amadeus unruhig saß. Die schwarzen Gedanken,
welche ihn Tags vorher gepeinigt hatten, waren wieder erwacht und bestürmten
ihn in der jetzigen Umgebung mit doppelter Kraft, Er glaubte sich zum Ziel
des Hohnes für seine Begleiter gemacht zu sehen, und in dieser Aufregung war
es ihm nicht möglich, seinen Puls zu beherrschen. Das Blut rollte ihm wie
im Fieber durch die Adern, und das feinfühlige Tier unter ihm ward von der
Unruhe des Reiters angesteckt.

Als die Pferde nun im Galopp ansprangen, und auf beiden Seiten das
Schnauben und Bäumen der andern Tiere seinen erregenden Einfluß äußerte,
mochte die schwarze Stute Wohl meinen, es handle sich um ein Wettrennen oder
sonst eine bedeutsame Angelegenheit, wobei sie die erste sein müßte, und sie schoß
mit großer Heftigkeit vor. Als Amadeus sie zurückhielt, begann sie in
solchen Sätzen emporzuschnellen, daß Comtesse Hyaziuth einen Ruf der Besorgnis
nicht unterdrücken konnte. Amadeus zog die Zügel noch schärfer an. Da stieg
das Tier steil in die Höhe und hieb mit den Vorderbeinen.

Luft lassen! Luft! rief der Prinz.

Aber Amadeus, zornig über das Pferd und zornig über den belehrenden
Zuruf, ergriff die Peitsche am dünnen Ende und schlug den schweren goldenen
Knopf mit voller Kraft der Stute zwischen die Ohren.

Sie kam sofort auf die vier Füße herab und stand eine Sekunde gleichsam
vor Wut schaudernd still, dann faßte sie das Gebiß mit den Zähnen und ging


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[0630] Bakchen und Thyrsosträger, fragen soll. Als ich von Paris fortging, gab mir mein guter alter Onkel, der Herzog von Lasteyric, ein Abschiedsfest, und es waren zehn Ehepaare in der Gesellschaft. Neun von den Damen hätte ich fragen können, aber ich fürchtete, ausgelacht zu werden. Die Pariserinnen denken gar zu leicht, man wollte sie aufziehen, wenn man von ehelichen Glück spricht. Hier in Berlin ist das besser, da findet man immer noch hie und da ein weiches Herz. Beiläufig bemerkt, die zehnte Dame, diejenige, welche glücklich mit ihrem Manne lebt, hätte ich schon deswegen nicht um ihre Ansicht befragen können, weil sie taubstumm ist. Sie ist mit diesem Fehler geboren, im übrigen eine charmante Dame, und die mich zu dem Glauben gebracht hat, daß die schlimmste Klippe ehelichen Glückes darin besteht, daß beide Teile sich des ungehinderten Gebrauchs ihrer Zunge erfreuen. Glücklicherweise, entgegnete Comtesse Hynzinth, ist nicht allen Leuten eine solche Zunge beschieden, wie Ihnen, mein Prinz, denn dann wäre es allerdings besser, wenn die Trauhaudlung noch um die Ceremonie des Zungenabschneidens bei einem der Beteiligten erweitert würde. Unter dergleichen frivolem Gespräch ging es im Schritt weiter, bis der Prinz die Bemerkung machte, die schwarze Stute scheine nicht mehr so ruhig zu gehen wie zu Anfang, und einen Galopp vorschlug, damit sie ihre Bewegung bekomme. Das Pferd ging in der That nicht mehr so ruhig wie zu Anfang, aber die Schuld lag darau, daß Amadeus unruhig saß. Die schwarzen Gedanken, welche ihn Tags vorher gepeinigt hatten, waren wieder erwacht und bestürmten ihn in der jetzigen Umgebung mit doppelter Kraft, Er glaubte sich zum Ziel des Hohnes für seine Begleiter gemacht zu sehen, und in dieser Aufregung war es ihm nicht möglich, seinen Puls zu beherrschen. Das Blut rollte ihm wie im Fieber durch die Adern, und das feinfühlige Tier unter ihm ward von der Unruhe des Reiters angesteckt. Als die Pferde nun im Galopp ansprangen, und auf beiden Seiten das Schnauben und Bäumen der andern Tiere seinen erregenden Einfluß äußerte, mochte die schwarze Stute Wohl meinen, es handle sich um ein Wettrennen oder sonst eine bedeutsame Angelegenheit, wobei sie die erste sein müßte, und sie schoß mit großer Heftigkeit vor. Als Amadeus sie zurückhielt, begann sie in solchen Sätzen emporzuschnellen, daß Comtesse Hyaziuth einen Ruf der Besorgnis nicht unterdrücken konnte. Amadeus zog die Zügel noch schärfer an. Da stieg das Tier steil in die Höhe und hieb mit den Vorderbeinen. Luft lassen! Luft! rief der Prinz. Aber Amadeus, zornig über das Pferd und zornig über den belehrenden Zuruf, ergriff die Peitsche am dünnen Ende und schlug den schweren goldenen Knopf mit voller Kraft der Stute zwischen die Ohren. Sie kam sofort auf die vier Füße herab und stand eine Sekunde gleichsam vor Wut schaudernd still, dann faßte sie das Gebiß mit den Zähnen und ging

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/630>, abgerufen am 26.06.2024.