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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

Aber meinen Sie denn, Prinz, sagte Hyazinth, das; die Frauen, von deren
Diskretion Sie eine so geringe Vorstellung haben, imstande wären, Ihnen in
einer wichtigen Sache einen guten Rat zu erteilen?

Wenn ich die ganze Wahrheit sagen soll, erwiederte der Prinz -- und
meine Sinnesart ist einmal so sehr der Wahrheit zugeneigt, daß es mir schwer
wird, sie zu unterdrücken --, so möchte ich am liebsten den Rat einer Dame hören
und zwar gerade einer solchen Dame, die selbst recht thöricht ist. Denn ich schließe
mich der Meinung der alten Völker an, daß in der Narrheit eine Stimme der
göttlichen Offenbarung zu Tage kommt. Hollen sich doch die Germanen ihren
Rat über wichtige politische Angelegenheiten bei Frauen, die unter heiligen Bäumen
wohnten, und die Griechen gingen zu einer Jungfrau, die im Dampf ans einem
Dreifuß saß und sich verrenkte und schrie, was sicherlich kein Beweis für gesunden
Menschenverstand war. Aber diese Alten dachten, daß Leute, die in ihren eigenen
Angelegenheiten ordentlich und verständig wären, des Beistandes der Götter nicht
bedürften, weil sie selbst schon für sich sorgten, dagegen aus dein Wahnsinn derer,
die das Eigene vernachlässigten, sich um nichts irdisches kümmerten, sondern nnr
über göttliche Geheimnisse grübelten, glaubten sie himmlische Eingebungen heraus¬
lesen zu können, So geht es mir nun auch. Eine anerkannte Pythia in Berlin
zu suche", habe ich freilich keine Lust, denu die Damen, die hier ans prophetischen
Dreifüßen sitzen, sind mir hinsichtlich ihrer göttlichen Konnexionen verdächtig,
aber ich kenne doch auch hier Damen, die thöricht genug handeln, um annehmen
zu lassen, daß sie sich um ihr eigenes Glück gar nicht kümmern, Damen zum
Beispiel, welche Männer heiraten, die sie nicht lieben, während sie den Mann,
den sie lieben, unglücklich machen, und das vielleicht lediglich aus einfältigen
Familienriicksichten.

Der Prinz sagte dies alles mit der spielenden und etwas affektirten Manier,
die er oft einzunehmen liebte und aus der sich kaum erkennen ließ, ob er
im Scherz rede oder ob er nicht etwa scharf gespitzte Pfeile aus dem Versteck
abschieße. Aber bei den letzten Worten blickte ihn Comtesse Hyazinth mit einer
unwillkürlichen Bewegung forschend an und errötete bis unter das Haar. Der
Graf von Falkenfcls ward ebenfalls aus seiner Ruhe aufgestört und sah den
Freund vorwurfsvoll an. Er kannte die Rücksichtslosigkeit des Prinzen, seine
spitze Zunge und seine Neigung, die Menschen unter dem Deckmantel einer leichten
und scheinbar harmlosen Plauderei zu reizen.

Am empfindlichsten aber ward der Freiherr Amadeus berührt, der keinen
Augenblick bezweifelte, daß die letzten Worte des Prinzen auf die Anwesenden
gezielt waren.

Dieser selbst dagegen ward durch die Wahrnehmung, daß er Anstoß erregt
habe, vielmehr erheitert als erschreckt, und er fuhr mit der größten Ruhe fort:
Da habe ich nun natürlich eine so enorme Auswahl, daß ich wieder in Ver¬
legenheit komme, welche Dame ich über das Glück meiner zukünftigen Ehe be-


Bakchen und Thyrsosträger.

Aber meinen Sie denn, Prinz, sagte Hyazinth, das; die Frauen, von deren
Diskretion Sie eine so geringe Vorstellung haben, imstande wären, Ihnen in
einer wichtigen Sache einen guten Rat zu erteilen?

Wenn ich die ganze Wahrheit sagen soll, erwiederte der Prinz — und
meine Sinnesart ist einmal so sehr der Wahrheit zugeneigt, daß es mir schwer
wird, sie zu unterdrücken —, so möchte ich am liebsten den Rat einer Dame hören
und zwar gerade einer solchen Dame, die selbst recht thöricht ist. Denn ich schließe
mich der Meinung der alten Völker an, daß in der Narrheit eine Stimme der
göttlichen Offenbarung zu Tage kommt. Hollen sich doch die Germanen ihren
Rat über wichtige politische Angelegenheiten bei Frauen, die unter heiligen Bäumen
wohnten, und die Griechen gingen zu einer Jungfrau, die im Dampf ans einem
Dreifuß saß und sich verrenkte und schrie, was sicherlich kein Beweis für gesunden
Menschenverstand war. Aber diese Alten dachten, daß Leute, die in ihren eigenen
Angelegenheiten ordentlich und verständig wären, des Beistandes der Götter nicht
bedürften, weil sie selbst schon für sich sorgten, dagegen aus dein Wahnsinn derer,
die das Eigene vernachlässigten, sich um nichts irdisches kümmerten, sondern nnr
über göttliche Geheimnisse grübelten, glaubten sie himmlische Eingebungen heraus¬
lesen zu können, So geht es mir nun auch. Eine anerkannte Pythia in Berlin
zu suche», habe ich freilich keine Lust, denu die Damen, die hier ans prophetischen
Dreifüßen sitzen, sind mir hinsichtlich ihrer göttlichen Konnexionen verdächtig,
aber ich kenne doch auch hier Damen, die thöricht genug handeln, um annehmen
zu lassen, daß sie sich um ihr eigenes Glück gar nicht kümmern, Damen zum
Beispiel, welche Männer heiraten, die sie nicht lieben, während sie den Mann,
den sie lieben, unglücklich machen, und das vielleicht lediglich aus einfältigen
Familienriicksichten.

Der Prinz sagte dies alles mit der spielenden und etwas affektirten Manier,
die er oft einzunehmen liebte und aus der sich kaum erkennen ließ, ob er
im Scherz rede oder ob er nicht etwa scharf gespitzte Pfeile aus dem Versteck
abschieße. Aber bei den letzten Worten blickte ihn Comtesse Hyazinth mit einer
unwillkürlichen Bewegung forschend an und errötete bis unter das Haar. Der
Graf von Falkenfcls ward ebenfalls aus seiner Ruhe aufgestört und sah den
Freund vorwurfsvoll an. Er kannte die Rücksichtslosigkeit des Prinzen, seine
spitze Zunge und seine Neigung, die Menschen unter dem Deckmantel einer leichten
und scheinbar harmlosen Plauderei zu reizen.

Am empfindlichsten aber ward der Freiherr Amadeus berührt, der keinen
Augenblick bezweifelte, daß die letzten Worte des Prinzen auf die Anwesenden
gezielt waren.

Dieser selbst dagegen ward durch die Wahrnehmung, daß er Anstoß erregt
habe, vielmehr erheitert als erschreckt, und er fuhr mit der größten Ruhe fort:
Da habe ich nun natürlich eine so enorme Auswahl, daß ich wieder in Ver¬
legenheit komme, welche Dame ich über das Glück meiner zukünftigen Ehe be-


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[0629] Bakchen und Thyrsosträger. Aber meinen Sie denn, Prinz, sagte Hyazinth, das; die Frauen, von deren Diskretion Sie eine so geringe Vorstellung haben, imstande wären, Ihnen in einer wichtigen Sache einen guten Rat zu erteilen? Wenn ich die ganze Wahrheit sagen soll, erwiederte der Prinz — und meine Sinnesart ist einmal so sehr der Wahrheit zugeneigt, daß es mir schwer wird, sie zu unterdrücken —, so möchte ich am liebsten den Rat einer Dame hören und zwar gerade einer solchen Dame, die selbst recht thöricht ist. Denn ich schließe mich der Meinung der alten Völker an, daß in der Narrheit eine Stimme der göttlichen Offenbarung zu Tage kommt. Hollen sich doch die Germanen ihren Rat über wichtige politische Angelegenheiten bei Frauen, die unter heiligen Bäumen wohnten, und die Griechen gingen zu einer Jungfrau, die im Dampf ans einem Dreifuß saß und sich verrenkte und schrie, was sicherlich kein Beweis für gesunden Menschenverstand war. Aber diese Alten dachten, daß Leute, die in ihren eigenen Angelegenheiten ordentlich und verständig wären, des Beistandes der Götter nicht bedürften, weil sie selbst schon für sich sorgten, dagegen aus dein Wahnsinn derer, die das Eigene vernachlässigten, sich um nichts irdisches kümmerten, sondern nnr über göttliche Geheimnisse grübelten, glaubten sie himmlische Eingebungen heraus¬ lesen zu können, So geht es mir nun auch. Eine anerkannte Pythia in Berlin zu suche», habe ich freilich keine Lust, denu die Damen, die hier ans prophetischen Dreifüßen sitzen, sind mir hinsichtlich ihrer göttlichen Konnexionen verdächtig, aber ich kenne doch auch hier Damen, die thöricht genug handeln, um annehmen zu lassen, daß sie sich um ihr eigenes Glück gar nicht kümmern, Damen zum Beispiel, welche Männer heiraten, die sie nicht lieben, während sie den Mann, den sie lieben, unglücklich machen, und das vielleicht lediglich aus einfältigen Familienriicksichten. Der Prinz sagte dies alles mit der spielenden und etwas affektirten Manier, die er oft einzunehmen liebte und aus der sich kaum erkennen ließ, ob er im Scherz rede oder ob er nicht etwa scharf gespitzte Pfeile aus dem Versteck abschieße. Aber bei den letzten Worten blickte ihn Comtesse Hyazinth mit einer unwillkürlichen Bewegung forschend an und errötete bis unter das Haar. Der Graf von Falkenfcls ward ebenfalls aus seiner Ruhe aufgestört und sah den Freund vorwurfsvoll an. Er kannte die Rücksichtslosigkeit des Prinzen, seine spitze Zunge und seine Neigung, die Menschen unter dem Deckmantel einer leichten und scheinbar harmlosen Plauderei zu reizen. Am empfindlichsten aber ward der Freiherr Amadeus berührt, der keinen Augenblick bezweifelte, daß die letzten Worte des Prinzen auf die Anwesenden gezielt waren. Dieser selbst dagegen ward durch die Wahrnehmung, daß er Anstoß erregt habe, vielmehr erheitert als erschreckt, und er fuhr mit der größten Ruhe fort: Da habe ich nun natürlich eine so enorme Auswahl, daß ich wieder in Ver¬ legenheit komme, welche Dame ich über das Glück meiner zukünftigen Ehe be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/629>, abgerufen am 26.06.2024.