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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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daß die Herren sich vor der Öffentlichkeit rechtfertigen mußten. Würden sie
dazu heute noch gezwungen werden? Aber sicher würde kein Franzose wagen,
am 2. September zu flaggen, weil ohne diesen der 4. September nicht seine
historische Bedeutung gewonnen haben würde. Bei uns geht die Saat auf,
welche der kleine Frankfurter Jude und dessen Schule ausgestreut habe,?. Lassen
wir die Frage hier beiseite, inwieweit jenes Judentum, als dessen Prototyp
Börne gelten kann, ein Produkt der früheren Gesetzgebung und der früheren sozialen
Einrichtungen sei: er hat echt alttestamentarisch an uns gerächt, was etwa unsre
Voreltern an den seinigen gesündigt haben sollten. Den Kosmopolitismus, der
ihm im Blute stak, hat er ganzen Generationen eingeimpft. Wer es wagte,
dem Vaterlandslvsen die Maske herabzureißen, deu überschüttete er mit seinem
giftigen Witz, und alle "Freisinnigen" glaubten in das Hohngelächter einstimmen
zu müssen, um nicht für eben so beschränkte Philister augesehen zu werden, wie
z. B. Wilibnld Alexis, der Jahrzehnte hindurch förmlich verfemt war, weil
er noch Vaterlandsgefühl hatte und zeigte. Wurde ja einem unheimlich bei
dem immer wüstereu Geschimpfe Bornes, so sagte mau ihm zur Beschwichtigung,
das Schimpfen über die deutsche" Zustände beweise eben den hohen Grad der
Liebe zu Deutschland. Ist doch mit dem Ahnherrn jener jüdischen Literaten,
welche das Vaterland zu wechseln vermögen wie einen Rock, ein Kultus getrieben
worden, wie nicht mit Blücher, nicht mit Goethe, geschweige denn mit Stein.
Seinen Lehren verdanken wir jenen "entschiedenen Liberalismus," welcher das
nationale Gefühl im eignen Lande vornehm belächelt, bei jedem Ausländer aber
bewundert. Wo anders als in Deutschland wäre es möglich, daß eine Partei
die Sache aller derer zur eignen machte, welche im Namen der Freiheit ein
Stück Deutschland forderten, der Polen, der Italiener, der Franzosen und Dänen!
Es mag ja sein, daß die Mehrzahl sich über solches Thun gar nicht klar war,
aber die konfusen Köpfe sind mitunter die gefährlichsten, weil sie am ersten ihres¬
gleichen mit sich fortreißen. So ist ohne Zweifel die Entrüstung jener Herren
echt, welche behaupten, ihr Radikalismus vertrage sich ganz gut mit monarchischer
Gesinnung. Sie haben natürlich nie gehört, daß dieselben Pariser, welche 1789
dem guten König Henri vor seinem Neiterbilde ans dein Pont neuf Huldigungen
dargebracht hatten, es drei Jahre später vom Postament stürzten. "Beweise
uns, daß es wirklich dieselben waren!" Nun, sicherlich trugen die moralische
Verantwortlichkeit diejenigen, welche sich einbildeten, dem auf schiefer Ebene
ins Rollen gebrachten Felsblock Halt gebieten zu können, sobald es ihnen ge¬
fiele. Man glaubt wahrhaftig Kinder reden zu hören, wenn da emphatisch ver¬
kündigt wird, man wolle ja nnr, daß der Volkswille, wie er durch die Erwählten
der Nation zum Ausdruck gelange, Gesetz sei, beileibe nicht mehr, beileibe keine
Republik. Natürlich, die neuen Girondisten würden gefragt werden, wenn es
einmal so weit gekommen wäre! Auf die Gefahr hin dürften sie sich immer
schon ihr Nourir xonr 1a iM'lo einstudiren.


daß die Herren sich vor der Öffentlichkeit rechtfertigen mußten. Würden sie
dazu heute noch gezwungen werden? Aber sicher würde kein Franzose wagen,
am 2. September zu flaggen, weil ohne diesen der 4. September nicht seine
historische Bedeutung gewonnen haben würde. Bei uns geht die Saat auf,
welche der kleine Frankfurter Jude und dessen Schule ausgestreut habe,?. Lassen
wir die Frage hier beiseite, inwieweit jenes Judentum, als dessen Prototyp
Börne gelten kann, ein Produkt der früheren Gesetzgebung und der früheren sozialen
Einrichtungen sei: er hat echt alttestamentarisch an uns gerächt, was etwa unsre
Voreltern an den seinigen gesündigt haben sollten. Den Kosmopolitismus, der
ihm im Blute stak, hat er ganzen Generationen eingeimpft. Wer es wagte,
dem Vaterlandslvsen die Maske herabzureißen, deu überschüttete er mit seinem
giftigen Witz, und alle „Freisinnigen" glaubten in das Hohngelächter einstimmen
zu müssen, um nicht für eben so beschränkte Philister augesehen zu werden, wie
z. B. Wilibnld Alexis, der Jahrzehnte hindurch förmlich verfemt war, weil
er noch Vaterlandsgefühl hatte und zeigte. Wurde ja einem unheimlich bei
dem immer wüstereu Geschimpfe Bornes, so sagte mau ihm zur Beschwichtigung,
das Schimpfen über die deutsche» Zustände beweise eben den hohen Grad der
Liebe zu Deutschland. Ist doch mit dem Ahnherrn jener jüdischen Literaten,
welche das Vaterland zu wechseln vermögen wie einen Rock, ein Kultus getrieben
worden, wie nicht mit Blücher, nicht mit Goethe, geschweige denn mit Stein.
Seinen Lehren verdanken wir jenen „entschiedenen Liberalismus," welcher das
nationale Gefühl im eignen Lande vornehm belächelt, bei jedem Ausländer aber
bewundert. Wo anders als in Deutschland wäre es möglich, daß eine Partei
die Sache aller derer zur eignen machte, welche im Namen der Freiheit ein
Stück Deutschland forderten, der Polen, der Italiener, der Franzosen und Dänen!
Es mag ja sein, daß die Mehrzahl sich über solches Thun gar nicht klar war,
aber die konfusen Köpfe sind mitunter die gefährlichsten, weil sie am ersten ihres¬
gleichen mit sich fortreißen. So ist ohne Zweifel die Entrüstung jener Herren
echt, welche behaupten, ihr Radikalismus vertrage sich ganz gut mit monarchischer
Gesinnung. Sie haben natürlich nie gehört, daß dieselben Pariser, welche 1789
dem guten König Henri vor seinem Neiterbilde ans dein Pont neuf Huldigungen
dargebracht hatten, es drei Jahre später vom Postament stürzten. „Beweise
uns, daß es wirklich dieselben waren!" Nun, sicherlich trugen die moralische
Verantwortlichkeit diejenigen, welche sich einbildeten, dem auf schiefer Ebene
ins Rollen gebrachten Felsblock Halt gebieten zu können, sobald es ihnen ge¬
fiele. Man glaubt wahrhaftig Kinder reden zu hören, wenn da emphatisch ver¬
kündigt wird, man wolle ja nnr, daß der Volkswille, wie er durch die Erwählten
der Nation zum Ausdruck gelange, Gesetz sei, beileibe nicht mehr, beileibe keine
Republik. Natürlich, die neuen Girondisten würden gefragt werden, wenn es
einmal so weit gekommen wäre! Auf die Gefahr hin dürften sie sich immer
schon ihr Nourir xonr 1a iM'lo einstudiren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/623>, abgerufen am 26.06.2024.