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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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zu spielen. Aber seine Wähler! Wenn sie schon keinen feineren Geschmack haben,
so kann ihnen doch nicht gänzlich unbekannt bleiben, daß ihr Abgeordneter überall
die verbissensten Feinde des Deutschtums zu seinen wärmsten Bewunderern zählt,
und ebensowenig, daß ans allen Himmelsgegenden eine wahre Meute losgelassen
ist, die sich in Erwartung des günstigen Augenblicks, wo Deutschland selbst ihr
preisgegeben sein sollte, vorläufig dort das Deutschtum anfällt, wo es sich keines
mächtigen Schutzes erfreut. Oder sollte der Stolz darauf, daß gerade ihr Ver¬
treter täglich einen Minister "anrempelt," sie gegen alles andre blind und taub
machen? Wir wir sehen, hat man in parlamentarischen Kreisen Berlins endlich
die Entdeckung gemacht, daß der parlamentarische Ton sich verschlechtert habe;
in: Auslande waren die dramatischen Auftritte, durch welche die, für die meisten
Leute allerdings sehr gleichgiltigen sachlichen Verhandlungen unterbrochen werden,
schon längst ein Gegenstand des Staunens. In der serbischen Skuptschina, in
Paris, wenn Graner de Cassagnac seinen guten Tag hat, in Washington über¬
rascht dergleichen nicht. Doch daß in dem angeblich so gebildeten Deutschland
ein Teil der "Blüte der Nation" sich geberdet wie Füchse, die soeben ins Korps
eingesprungen sind, das hat den Respekt vor unsrer Nation nicht erhöht.

Es scheint, daß der Patriotismus in Deutschland im Sinken sei. Natürlich
wird das niemand für die eigne Person zugeben wollen. Der eine nennt seinen
Doktrinarismus, der andre seinen Eigensinn, ein dritter seine Leidenschaftlichkeit
und ein vierter seine Zanksucht Patriotismus, und wenn es auf selbstlose Hin¬
gebung an die gemeinsame Sache ankommt, da ist man zuerst Liberaler, oder
Freihändler, oder Katholik, oder Jude, oder wer weiß was sonst noch, und der
Deutsche muß sich mit dem zweiten Range abfinden. Wollten die Deutschen,
welche den Fremden jede Dummheit nachäffen, doch in diesem einen Punkt von
ihnen lernen! Der ärgste Nörgler und der wütendste Parteimann steht auf
seinein Posten, sobald es Ehre und Kredit seines Vaterlandes gilt. Es liegen
Äußerungen aus dem Schooße der Internationale vor, welche im höchsten Grade
bezeichnend sind: alle die Schreier und Verschwörer aus den verschiedensten
Ländern seien unzuverlässig, jeder denke eigentlich nur an seine Heimat, einzig
die Deutschen stünden und verharrten auf dem kosmopolitischen Standpunkt, die
ander" würden auch meist bei der ersten Gelegenheit ehrsame Bourgeois und
verteidigten die Ordnung, welche unterst zu oberst zu stürzen sie geschworen
hatten, während die Deutschen konsequent und iutransigeut für die allgemeine
Verbrüderung peroriren und hungern. Diese Art Idealismus liegt wohl in
unsrer Art, ist aber schlimmer geworden. In den vierziger Jahren erregte es
noch allgemeine Empörung, daß irgendwo in den westlichen Provinzen Preußens
eine Gesellschaft damaliger Fvrtschrittler den Jahrestag der Schlacht bei Jena
gefeiert hatte; es war im Grunde nicht so bös gemeint gewesen, die Leutchen
glaubten nur, sich recht vorurteilsfrei zu zeigen, indem sie die Niederlage als
den Anstoß zur Reform priesen. Noch aber war das Anstandsgefühl so mächtig,


zu spielen. Aber seine Wähler! Wenn sie schon keinen feineren Geschmack haben,
so kann ihnen doch nicht gänzlich unbekannt bleiben, daß ihr Abgeordneter überall
die verbissensten Feinde des Deutschtums zu seinen wärmsten Bewunderern zählt,
und ebensowenig, daß ans allen Himmelsgegenden eine wahre Meute losgelassen
ist, die sich in Erwartung des günstigen Augenblicks, wo Deutschland selbst ihr
preisgegeben sein sollte, vorläufig dort das Deutschtum anfällt, wo es sich keines
mächtigen Schutzes erfreut. Oder sollte der Stolz darauf, daß gerade ihr Ver¬
treter täglich einen Minister „anrempelt," sie gegen alles andre blind und taub
machen? Wir wir sehen, hat man in parlamentarischen Kreisen Berlins endlich
die Entdeckung gemacht, daß der parlamentarische Ton sich verschlechtert habe;
in: Auslande waren die dramatischen Auftritte, durch welche die, für die meisten
Leute allerdings sehr gleichgiltigen sachlichen Verhandlungen unterbrochen werden,
schon längst ein Gegenstand des Staunens. In der serbischen Skuptschina, in
Paris, wenn Graner de Cassagnac seinen guten Tag hat, in Washington über¬
rascht dergleichen nicht. Doch daß in dem angeblich so gebildeten Deutschland
ein Teil der „Blüte der Nation" sich geberdet wie Füchse, die soeben ins Korps
eingesprungen sind, das hat den Respekt vor unsrer Nation nicht erhöht.

Es scheint, daß der Patriotismus in Deutschland im Sinken sei. Natürlich
wird das niemand für die eigne Person zugeben wollen. Der eine nennt seinen
Doktrinarismus, der andre seinen Eigensinn, ein dritter seine Leidenschaftlichkeit
und ein vierter seine Zanksucht Patriotismus, und wenn es auf selbstlose Hin¬
gebung an die gemeinsame Sache ankommt, da ist man zuerst Liberaler, oder
Freihändler, oder Katholik, oder Jude, oder wer weiß was sonst noch, und der
Deutsche muß sich mit dem zweiten Range abfinden. Wollten die Deutschen,
welche den Fremden jede Dummheit nachäffen, doch in diesem einen Punkt von
ihnen lernen! Der ärgste Nörgler und der wütendste Parteimann steht auf
seinein Posten, sobald es Ehre und Kredit seines Vaterlandes gilt. Es liegen
Äußerungen aus dem Schooße der Internationale vor, welche im höchsten Grade
bezeichnend sind: alle die Schreier und Verschwörer aus den verschiedensten
Ländern seien unzuverlässig, jeder denke eigentlich nur an seine Heimat, einzig
die Deutschen stünden und verharrten auf dem kosmopolitischen Standpunkt, die
ander» würden auch meist bei der ersten Gelegenheit ehrsame Bourgeois und
verteidigten die Ordnung, welche unterst zu oberst zu stürzen sie geschworen
hatten, während die Deutschen konsequent und iutransigeut für die allgemeine
Verbrüderung peroriren und hungern. Diese Art Idealismus liegt wohl in
unsrer Art, ist aber schlimmer geworden. In den vierziger Jahren erregte es
noch allgemeine Empörung, daß irgendwo in den westlichen Provinzen Preußens
eine Gesellschaft damaliger Fvrtschrittler den Jahrestag der Schlacht bei Jena
gefeiert hatte; es war im Grunde nicht so bös gemeint gewesen, die Leutchen
glaubten nur, sich recht vorurteilsfrei zu zeigen, indem sie die Niederlage als
den Anstoß zur Reform priesen. Noch aber war das Anstandsgefühl so mächtig,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/622>, abgerufen am 26.06.2024.