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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Das Vermächtnis Anselm Feuerbachs.

und auch wohl ihren Eigensinn zu schonen. Man lese darüber sein Buch, man lese,
mit welchem Gefühle innigster, reinster Freude und Dcmbarkeit Schack gerade
die Feuerbach gewidmeten Seiten des Buches geschrieben hat, welche zu einer
beredten Apologie des abgeschiedenen Künstlers geworden sind. Und dagegen
halte man die folgenden, auf Schack bezüglichen Worte Feuerbachs: "Es war
meine schlimmste Periode, und ich hatte alle Ursache, sehr dankbar zu sein. Daß
dies sich so verhielt, war freilich auch wieder ein eigentümliches Zeichen für
unsre Zeit. In den Tagen der Kunstblüte war die Dankbarkeit zwischen dem
Künstler und Besteller geteilt."

Schon geraume Zeit trug sich Feuerbach mit dem Gedanken, gewaltige
Kompositionen ini Stile Michelangelos auf die Leinwand zu werfen. Neben
dem "Gastmahl des Platon" beschäftigte ihn bereits Mitte der sechziger Jahre
die "Amazonenschlacht." Beide bot er dem Baron von Schack an. Auf das
"Gastmahl" ging letzterer ein, aber nur unter der Bedingung, daß das Bild
in Drittellebensgröße ausgeführt würde. Die "Amnzonenschlacht" dagegen lehnte
er ab, weil er, wie er selbst erzählt, der Ansicht war, daß "derartige große be¬
wegte Kompositionen nicht das ihm durch sein Talent angewiesene Feld seien."
Schack glaubt, daß Feuerbach deshalb auf dieses Feld der Verirrung geraten
sei, weil seine bisherigen Bilder in Deutschland nicht die gebührende Anerkennung
gefunden hätten und weil er nun mit Gewalt durch staunenerregende Kompo¬
sitionen sich Ruhm und Ansehen erzwingen wollte. Daß diese Meinung Schacks
nicht das Nichtige trifft, erfahren wir jetzt ans Feuerbachs Aufzeichnungen. Der
"Drang seines Talentes" führte ihn dazu. Fast aus jedem Briefe spricht die
Sehnsucht nach großen figurenreichen Kompositionen, nach einer großen Lein¬
wand, auf der er sich nach Herzenslust austoben könnte. Nicht also die Kritik
hat ihn auf Irrwege getrieben, sondern sein eigner böser Genius, der Feind in
seiner eignen Brust.

Aus jeder Zeile seines Nachlasses spricht ein weiches, fast weibliches Ge¬
müt, dessen Gefühlsergüsse sich immer in Extremen zwischen den beiden Punkten
der Skala "himmelhoch jauchzend -- zum Tode betrübt" bewegen. Jede un¬
sanfte Berührung, jeder rauhe Luftzug knickte diesen zarten Baum, der unter
allzu liebevoller Obhut allzu früh emporgeschossen war. Wie sein Vater, der
bekannte Archciologe, innerlich gebrochen aus Italien heimkehrte, weil er das
Land seiner Sehnsucht zu spät gesehen, so ist dieses: Zu spät! auch verhängnis¬
voll für den Sohn geworden. Zu spät ist er uach Paris, nach Venedig, nach
Rom gekommen; zu spät ist ihm eine rettende Hand gereicht worden, als seine
Flügel bereits gelähmt und Verbitterung in seine Seele eingekehrt war, nervöse
Überreizung das Gleichgewicht seines Gemüts gestört hatte; zu spät wurden
ihm äußere Ehrenbezeigungen zu Teil; zu spät wurde er nach Karlsruhe, Weimar,
München, Wien berufen, und als er endlich einen Ruf annahm, war es wiederum
zu spät. Obendrein war die Wahl, die er traf, die unglücklichste. Der stille,


Das Vermächtnis Anselm Feuerbachs.

und auch wohl ihren Eigensinn zu schonen. Man lese darüber sein Buch, man lese,
mit welchem Gefühle innigster, reinster Freude und Dcmbarkeit Schack gerade
die Feuerbach gewidmeten Seiten des Buches geschrieben hat, welche zu einer
beredten Apologie des abgeschiedenen Künstlers geworden sind. Und dagegen
halte man die folgenden, auf Schack bezüglichen Worte Feuerbachs: „Es war
meine schlimmste Periode, und ich hatte alle Ursache, sehr dankbar zu sein. Daß
dies sich so verhielt, war freilich auch wieder ein eigentümliches Zeichen für
unsre Zeit. In den Tagen der Kunstblüte war die Dankbarkeit zwischen dem
Künstler und Besteller geteilt."

Schon geraume Zeit trug sich Feuerbach mit dem Gedanken, gewaltige
Kompositionen ini Stile Michelangelos auf die Leinwand zu werfen. Neben
dem „Gastmahl des Platon" beschäftigte ihn bereits Mitte der sechziger Jahre
die „Amazonenschlacht." Beide bot er dem Baron von Schack an. Auf das
„Gastmahl" ging letzterer ein, aber nur unter der Bedingung, daß das Bild
in Drittellebensgröße ausgeführt würde. Die „Amnzonenschlacht" dagegen lehnte
er ab, weil er, wie er selbst erzählt, der Ansicht war, daß „derartige große be¬
wegte Kompositionen nicht das ihm durch sein Talent angewiesene Feld seien."
Schack glaubt, daß Feuerbach deshalb auf dieses Feld der Verirrung geraten
sei, weil seine bisherigen Bilder in Deutschland nicht die gebührende Anerkennung
gefunden hätten und weil er nun mit Gewalt durch staunenerregende Kompo¬
sitionen sich Ruhm und Ansehen erzwingen wollte. Daß diese Meinung Schacks
nicht das Nichtige trifft, erfahren wir jetzt ans Feuerbachs Aufzeichnungen. Der
„Drang seines Talentes" führte ihn dazu. Fast aus jedem Briefe spricht die
Sehnsucht nach großen figurenreichen Kompositionen, nach einer großen Lein¬
wand, auf der er sich nach Herzenslust austoben könnte. Nicht also die Kritik
hat ihn auf Irrwege getrieben, sondern sein eigner böser Genius, der Feind in
seiner eignen Brust.

Aus jeder Zeile seines Nachlasses spricht ein weiches, fast weibliches Ge¬
müt, dessen Gefühlsergüsse sich immer in Extremen zwischen den beiden Punkten
der Skala „himmelhoch jauchzend — zum Tode betrübt" bewegen. Jede un¬
sanfte Berührung, jeder rauhe Luftzug knickte diesen zarten Baum, der unter
allzu liebevoller Obhut allzu früh emporgeschossen war. Wie sein Vater, der
bekannte Archciologe, innerlich gebrochen aus Italien heimkehrte, weil er das
Land seiner Sehnsucht zu spät gesehen, so ist dieses: Zu spät! auch verhängnis¬
voll für den Sohn geworden. Zu spät ist er uach Paris, nach Venedig, nach
Rom gekommen; zu spät ist ihm eine rettende Hand gereicht worden, als seine
Flügel bereits gelähmt und Verbitterung in seine Seele eingekehrt war, nervöse
Überreizung das Gleichgewicht seines Gemüts gestört hatte; zu spät wurden
ihm äußere Ehrenbezeigungen zu Teil; zu spät wurde er nach Karlsruhe, Weimar,
München, Wien berufen, und als er endlich einen Ruf annahm, war es wiederum
zu spät. Obendrein war die Wahl, die er traf, die unglücklichste. Der stille,


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[0618] Das Vermächtnis Anselm Feuerbachs. und auch wohl ihren Eigensinn zu schonen. Man lese darüber sein Buch, man lese, mit welchem Gefühle innigster, reinster Freude und Dcmbarkeit Schack gerade die Feuerbach gewidmeten Seiten des Buches geschrieben hat, welche zu einer beredten Apologie des abgeschiedenen Künstlers geworden sind. Und dagegen halte man die folgenden, auf Schack bezüglichen Worte Feuerbachs: „Es war meine schlimmste Periode, und ich hatte alle Ursache, sehr dankbar zu sein. Daß dies sich so verhielt, war freilich auch wieder ein eigentümliches Zeichen für unsre Zeit. In den Tagen der Kunstblüte war die Dankbarkeit zwischen dem Künstler und Besteller geteilt." Schon geraume Zeit trug sich Feuerbach mit dem Gedanken, gewaltige Kompositionen ini Stile Michelangelos auf die Leinwand zu werfen. Neben dem „Gastmahl des Platon" beschäftigte ihn bereits Mitte der sechziger Jahre die „Amazonenschlacht." Beide bot er dem Baron von Schack an. Auf das „Gastmahl" ging letzterer ein, aber nur unter der Bedingung, daß das Bild in Drittellebensgröße ausgeführt würde. Die „Amnzonenschlacht" dagegen lehnte er ab, weil er, wie er selbst erzählt, der Ansicht war, daß „derartige große be¬ wegte Kompositionen nicht das ihm durch sein Talent angewiesene Feld seien." Schack glaubt, daß Feuerbach deshalb auf dieses Feld der Verirrung geraten sei, weil seine bisherigen Bilder in Deutschland nicht die gebührende Anerkennung gefunden hätten und weil er nun mit Gewalt durch staunenerregende Kompo¬ sitionen sich Ruhm und Ansehen erzwingen wollte. Daß diese Meinung Schacks nicht das Nichtige trifft, erfahren wir jetzt ans Feuerbachs Aufzeichnungen. Der „Drang seines Talentes" führte ihn dazu. Fast aus jedem Briefe spricht die Sehnsucht nach großen figurenreichen Kompositionen, nach einer großen Lein¬ wand, auf der er sich nach Herzenslust austoben könnte. Nicht also die Kritik hat ihn auf Irrwege getrieben, sondern sein eigner böser Genius, der Feind in seiner eignen Brust. Aus jeder Zeile seines Nachlasses spricht ein weiches, fast weibliches Ge¬ müt, dessen Gefühlsergüsse sich immer in Extremen zwischen den beiden Punkten der Skala „himmelhoch jauchzend — zum Tode betrübt" bewegen. Jede un¬ sanfte Berührung, jeder rauhe Luftzug knickte diesen zarten Baum, der unter allzu liebevoller Obhut allzu früh emporgeschossen war. Wie sein Vater, der bekannte Archciologe, innerlich gebrochen aus Italien heimkehrte, weil er das Land seiner Sehnsucht zu spät gesehen, so ist dieses: Zu spät! auch verhängnis¬ voll für den Sohn geworden. Zu spät ist er uach Paris, nach Venedig, nach Rom gekommen; zu spät ist ihm eine rettende Hand gereicht worden, als seine Flügel bereits gelähmt und Verbitterung in seine Seele eingekehrt war, nervöse Überreizung das Gleichgewicht seines Gemüts gestört hatte; zu spät wurden ihm äußere Ehrenbezeigungen zu Teil; zu spät wurde er nach Karlsruhe, Weimar, München, Wien berufen, und als er endlich einen Ruf annahm, war es wiederum zu spät. Obendrein war die Wahl, die er traf, die unglücklichste. Der stille,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/618>, abgerufen am 26.06.2024.