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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Das Vermächtnis Anselm Feuerbachs.

nicht ein einziger Reim ein; dagegen ist jeder Spaziergang, den ich mache, ein
Gedicht. -- Was soll man das alles aussprechen? ?n<zrs davs been xosts
vtuz Iiavö N6V61- phil'ä tllsir Inspiration. Lyron." Die Gefahr, entweder sich
in dieser einseitigen Richtung zu erschöpfen, oder in Manier zu geraten, lag
allerdings nahe. Davor bewahrte den Dichter die bedeutsame Wendung, die er
im Beginn der vierziger Jahre nahm -- die Wendung zur patriotischen und
politischen Lyrik.

(Schluß folgt.)




Das Vermächtnis Anselm Feuerbachs.

or kurzem ist bei Carl Gerolds Sohn in Wien ein kleines Buch
erschienen, dessen Lektüre einen tief ergreifenden Eindruck hinterläßt.
Es enthält die Bekenntnisse und Aufzeichnungen eines Künstlers,
der seine reiche Phantasie und seiue starke Kraft in unablässigem
Ringen mit widerstrebenden Mächten und Verhältnissen von oft
erbärmlicher Kleinigkeit aufrieb. Mau pflegt gewöhnlich zu sagen, daß die deutsche
Kritik sich deu größten Teil der Schuld an den: frühzeitigen Untergange Anselm
Feuerbachs beizumessen habe. Die Blätter, welche eine pietätvolle Hand, ver¬
mutlich die seiner opfermutigen, edlen Stiefmutter, aus seinem Nachlasse heraus¬
gegeben hat, belehren uns eines andern. Aus diesen Tagebuchsragmenten,
Briefauszügen und Aphorismen, die Fcuerbnch übrigens selbst für die Öffentlichkeit
bestimmt hatte, erfahren wir, daß eine ganze Reihe von Faktoren mitgewirkt hat,
un> diesen glänzenden Geist vor der Zeit zu beugen und zu brechen.

Feuerbachs Leben war eine förmliche Kette von Verhängnissen. Als sich
sein Talent offenbarte und die Familie über seine Zukunft beratschlagte, wurden
Zeichnungsproben nach Düsseldorf an Lessing und Schadow geschickt. Lessing
antwortete: "Der junge Mensch soll sein Gymnasium absolviren und dann
weiter sehen." Schadow schrieb, der junge Feuerbach "könne nichts andres
werden als Maler und möge sogleich kommen." Dieser Zwiespalt der Meinungen
begleitete ihn sein ganzes Leben hindurch. Während die einen ihm hartnäckig
jedes Talent absprachen, hoben ihn die andern, freilich die Minorität, in den
Himmel. Recht gehabt hat vielleicht Lessing. Während der alte Schadow als
Direktor der Berliner Akademie bei der Aufnahme von Schülern äußerst rigoros
verfuhr, konnte Wilhelm Schadow der Sohn, um den Glanz der Düsseldorfer
Akademie, wie er glaubte, seiner Schöpfung zu heben, nicht genug Schüler
heranziehen, um die er sich später, wenn sie da waren, nicht mehr kümmerte.
Feuerbach charakterisirt ihn kurz und scharf, aber gerecht: "Seinem durch und durch


Das Vermächtnis Anselm Feuerbachs.

nicht ein einziger Reim ein; dagegen ist jeder Spaziergang, den ich mache, ein
Gedicht. — Was soll man das alles aussprechen? ?n<zrs davs been xosts
vtuz Iiavö N6V61- phil'ä tllsir Inspiration. Lyron." Die Gefahr, entweder sich
in dieser einseitigen Richtung zu erschöpfen, oder in Manier zu geraten, lag
allerdings nahe. Davor bewahrte den Dichter die bedeutsame Wendung, die er
im Beginn der vierziger Jahre nahm — die Wendung zur patriotischen und
politischen Lyrik.

(Schluß folgt.)




Das Vermächtnis Anselm Feuerbachs.

or kurzem ist bei Carl Gerolds Sohn in Wien ein kleines Buch
erschienen, dessen Lektüre einen tief ergreifenden Eindruck hinterläßt.
Es enthält die Bekenntnisse und Aufzeichnungen eines Künstlers,
der seine reiche Phantasie und seiue starke Kraft in unablässigem
Ringen mit widerstrebenden Mächten und Verhältnissen von oft
erbärmlicher Kleinigkeit aufrieb. Mau pflegt gewöhnlich zu sagen, daß die deutsche
Kritik sich deu größten Teil der Schuld an den: frühzeitigen Untergange Anselm
Feuerbachs beizumessen habe. Die Blätter, welche eine pietätvolle Hand, ver¬
mutlich die seiner opfermutigen, edlen Stiefmutter, aus seinem Nachlasse heraus¬
gegeben hat, belehren uns eines andern. Aus diesen Tagebuchsragmenten,
Briefauszügen und Aphorismen, die Fcuerbnch übrigens selbst für die Öffentlichkeit
bestimmt hatte, erfahren wir, daß eine ganze Reihe von Faktoren mitgewirkt hat,
un> diesen glänzenden Geist vor der Zeit zu beugen und zu brechen.

Feuerbachs Leben war eine förmliche Kette von Verhängnissen. Als sich
sein Talent offenbarte und die Familie über seine Zukunft beratschlagte, wurden
Zeichnungsproben nach Düsseldorf an Lessing und Schadow geschickt. Lessing
antwortete: „Der junge Mensch soll sein Gymnasium absolviren und dann
weiter sehen." Schadow schrieb, der junge Feuerbach „könne nichts andres
werden als Maler und möge sogleich kommen." Dieser Zwiespalt der Meinungen
begleitete ihn sein ganzes Leben hindurch. Während die einen ihm hartnäckig
jedes Talent absprachen, hoben ihn die andern, freilich die Minorität, in den
Himmel. Recht gehabt hat vielleicht Lessing. Während der alte Schadow als
Direktor der Berliner Akademie bei der Aufnahme von Schülern äußerst rigoros
verfuhr, konnte Wilhelm Schadow der Sohn, um den Glanz der Düsseldorfer
Akademie, wie er glaubte, seiner Schöpfung zu heben, nicht genug Schüler
heranziehen, um die er sich später, wenn sie da waren, nicht mehr kümmerte.
Feuerbach charakterisirt ihn kurz und scharf, aber gerecht: „Seinem durch und durch


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[0614] Das Vermächtnis Anselm Feuerbachs. nicht ein einziger Reim ein; dagegen ist jeder Spaziergang, den ich mache, ein Gedicht. — Was soll man das alles aussprechen? ?n<zrs davs been xosts vtuz Iiavö N6V61- phil'ä tllsir Inspiration. Lyron." Die Gefahr, entweder sich in dieser einseitigen Richtung zu erschöpfen, oder in Manier zu geraten, lag allerdings nahe. Davor bewahrte den Dichter die bedeutsame Wendung, die er im Beginn der vierziger Jahre nahm — die Wendung zur patriotischen und politischen Lyrik. (Schluß folgt.) Das Vermächtnis Anselm Feuerbachs. or kurzem ist bei Carl Gerolds Sohn in Wien ein kleines Buch erschienen, dessen Lektüre einen tief ergreifenden Eindruck hinterläßt. Es enthält die Bekenntnisse und Aufzeichnungen eines Künstlers, der seine reiche Phantasie und seiue starke Kraft in unablässigem Ringen mit widerstrebenden Mächten und Verhältnissen von oft erbärmlicher Kleinigkeit aufrieb. Mau pflegt gewöhnlich zu sagen, daß die deutsche Kritik sich deu größten Teil der Schuld an den: frühzeitigen Untergange Anselm Feuerbachs beizumessen habe. Die Blätter, welche eine pietätvolle Hand, ver¬ mutlich die seiner opfermutigen, edlen Stiefmutter, aus seinem Nachlasse heraus¬ gegeben hat, belehren uns eines andern. Aus diesen Tagebuchsragmenten, Briefauszügen und Aphorismen, die Fcuerbnch übrigens selbst für die Öffentlichkeit bestimmt hatte, erfahren wir, daß eine ganze Reihe von Faktoren mitgewirkt hat, un> diesen glänzenden Geist vor der Zeit zu beugen und zu brechen. Feuerbachs Leben war eine förmliche Kette von Verhängnissen. Als sich sein Talent offenbarte und die Familie über seine Zukunft beratschlagte, wurden Zeichnungsproben nach Düsseldorf an Lessing und Schadow geschickt. Lessing antwortete: „Der junge Mensch soll sein Gymnasium absolviren und dann weiter sehen." Schadow schrieb, der junge Feuerbach „könne nichts andres werden als Maler und möge sogleich kommen." Dieser Zwiespalt der Meinungen begleitete ihn sein ganzes Leben hindurch. Während die einen ihm hartnäckig jedes Talent absprachen, hoben ihn die andern, freilich die Minorität, in den Himmel. Recht gehabt hat vielleicht Lessing. Während der alte Schadow als Direktor der Berliner Akademie bei der Aufnahme von Schülern äußerst rigoros verfuhr, konnte Wilhelm Schadow der Sohn, um den Glanz der Düsseldorfer Akademie, wie er glaubte, seiner Schöpfung zu heben, nicht genug Schüler heranziehen, um die er sich später, wenn sie da waren, nicht mehr kümmerte. Feuerbach charakterisirt ihn kurz und scharf, aber gerecht: „Seinem durch und durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/614>, abgerufen am 26.06.2024.