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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Freiligrath in seinen Briefen.

letztre nur herab, und -- sie rächt sich dafür! Ich gestehe offen, daß ich nichts
kenne, was den Geist mehr abstumpft und zu eignen Produktionen unlustiger
macht, als dieses fluchwürdige Helvtenwerk, das Übersetzen! Etwas Prosaisches,
nun ja, das lasse ich gelten -- das geht schon halb im Schlaf; aber Gedichte,
bei deren Wiedcrgebung man mit Vers, Reim und Sprache zu ringen hat,
vollends Gedichte von Hugo, die aller Capricen voll sind und einem mehr zu
schaffen machen, als die von hundert andern Poeten -- die Geduld geht einem
wahrlich auf die Dauer aus! Zu einem eignen Gedicht dann und wann
werde ich immer Zeit behalten, auch als Kaufmann; diesem Uebersetzungshand¬
werk schwöre ich aber ab, ehe der Sommer ins Land kommt." Und so nimmt
er schon nach einem Jahre der Muße aufs neue eine kaufmännische Stelle in
Barmer an.

Noch ein andrer Umstand scheint zu diesem Entschlüsse beigetragen zu
haben. Freiligrcith war seit acht Jahren verlobt und mußte nach einem soliden
Untergrunde für eine endlich zu begründende Häuslichkeit streben. Auf dies un¬
glückselige Verhältnis fällt zum ersten Male durch die vorliegende Publikation
ein Licht, freilich kein zu Helles, da aus dem Briefwechsel mit der Braut nur ganz
spärliche Mitteilungen gemacht werden. Schon in seinem neunzehnten Jahre
hatte sich Freiligrath mit der um zehn Jahre ältern Schwester seiner Stief¬
mutter verlobt. Es ist klar, daß dies Verhältnis, das mit jedem Jahre un¬
natürlicher wurde, mehr das einer freundschaftlichen Zuneigung als einer glühen¬
den Liebe war. Trotzdem hielt derselbe, obwohl ihm eine Auflösung von der
andern Seite öfter nahe gelegt wurde, in ehrenhafter Gesinnung solange an
seinem einmal gegebenen Versprechen fest, bis endlich eine tiefgehende Leiden¬
schaft, die zu seiner nachmaligen Gattin, mit Allgewalt das falsche Band zerriß.
Diese Umstände erklären auch das spärliche und verspätete Auftreten des Liebes¬
liedes unter den Produktionen des jungen Dichters. In seiner ersten Gedicht¬
sammlung fehlt es gänzlich.

Diese Gedichtsammlung trat nach längerer Verzögerung endlich im Jahre
1838 ans Licht und machte Freiligrath mit einem Schlage zu einem berühmten,
hochgefeierten Dichter. Man fühlte, hier einer durchaus originalen, gewaltigen
Erscheinung gegenüber zu stehen; nichts war vorhanden, das an die ersten um¬
hertastenden Versuche junger Dichter erinnerte, nichts Alltägliches, alles voll¬
endet und eigenartig. Mit welch unbarmherziger Selbstkritik aber auch der
Dichter bei der Auswahl zu Werke ging, wie weit entfernt er von väterlicher
Schonung für die Kinder seiner Muße war, zeigen uns wiederum die Briefe.
Die Fremdartigkeit der Stoffe, das läßt sich nicht leugnen, trug mit zu der
packenden Wirkung bei, welche die Gedichte ausübten. Nicht nur das Liebes¬
lied, auch das Frühlingslied war in ihnen acht vertreten. So sehr Freiligrath
den Naturgenuß liebte, so wenig fühlte er sich durch ihn produktiv angeregt.
Sehr bezeichnend schreibt er einmal: "Bei dem schönen Wetter fällt mir auch


Freiligrath in seinen Briefen.

letztre nur herab, und — sie rächt sich dafür! Ich gestehe offen, daß ich nichts
kenne, was den Geist mehr abstumpft und zu eignen Produktionen unlustiger
macht, als dieses fluchwürdige Helvtenwerk, das Übersetzen! Etwas Prosaisches,
nun ja, das lasse ich gelten — das geht schon halb im Schlaf; aber Gedichte,
bei deren Wiedcrgebung man mit Vers, Reim und Sprache zu ringen hat,
vollends Gedichte von Hugo, die aller Capricen voll sind und einem mehr zu
schaffen machen, als die von hundert andern Poeten — die Geduld geht einem
wahrlich auf die Dauer aus! Zu einem eignen Gedicht dann und wann
werde ich immer Zeit behalten, auch als Kaufmann; diesem Uebersetzungshand¬
werk schwöre ich aber ab, ehe der Sommer ins Land kommt." Und so nimmt
er schon nach einem Jahre der Muße aufs neue eine kaufmännische Stelle in
Barmer an.

Noch ein andrer Umstand scheint zu diesem Entschlüsse beigetragen zu
haben. Freiligrcith war seit acht Jahren verlobt und mußte nach einem soliden
Untergrunde für eine endlich zu begründende Häuslichkeit streben. Auf dies un¬
glückselige Verhältnis fällt zum ersten Male durch die vorliegende Publikation
ein Licht, freilich kein zu Helles, da aus dem Briefwechsel mit der Braut nur ganz
spärliche Mitteilungen gemacht werden. Schon in seinem neunzehnten Jahre
hatte sich Freiligrath mit der um zehn Jahre ältern Schwester seiner Stief¬
mutter verlobt. Es ist klar, daß dies Verhältnis, das mit jedem Jahre un¬
natürlicher wurde, mehr das einer freundschaftlichen Zuneigung als einer glühen¬
den Liebe war. Trotzdem hielt derselbe, obwohl ihm eine Auflösung von der
andern Seite öfter nahe gelegt wurde, in ehrenhafter Gesinnung solange an
seinem einmal gegebenen Versprechen fest, bis endlich eine tiefgehende Leiden¬
schaft, die zu seiner nachmaligen Gattin, mit Allgewalt das falsche Band zerriß.
Diese Umstände erklären auch das spärliche und verspätete Auftreten des Liebes¬
liedes unter den Produktionen des jungen Dichters. In seiner ersten Gedicht¬
sammlung fehlt es gänzlich.

Diese Gedichtsammlung trat nach längerer Verzögerung endlich im Jahre
1838 ans Licht und machte Freiligrath mit einem Schlage zu einem berühmten,
hochgefeierten Dichter. Man fühlte, hier einer durchaus originalen, gewaltigen
Erscheinung gegenüber zu stehen; nichts war vorhanden, das an die ersten um¬
hertastenden Versuche junger Dichter erinnerte, nichts Alltägliches, alles voll¬
endet und eigenartig. Mit welch unbarmherziger Selbstkritik aber auch der
Dichter bei der Auswahl zu Werke ging, wie weit entfernt er von väterlicher
Schonung für die Kinder seiner Muße war, zeigen uns wiederum die Briefe.
Die Fremdartigkeit der Stoffe, das läßt sich nicht leugnen, trug mit zu der
packenden Wirkung bei, welche die Gedichte ausübten. Nicht nur das Liebes¬
lied, auch das Frühlingslied war in ihnen acht vertreten. So sehr Freiligrath
den Naturgenuß liebte, so wenig fühlte er sich durch ihn produktiv angeregt.
Sehr bezeichnend schreibt er einmal: „Bei dem schönen Wetter fällt mir auch


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[0613] Freiligrath in seinen Briefen. letztre nur herab, und — sie rächt sich dafür! Ich gestehe offen, daß ich nichts kenne, was den Geist mehr abstumpft und zu eignen Produktionen unlustiger macht, als dieses fluchwürdige Helvtenwerk, das Übersetzen! Etwas Prosaisches, nun ja, das lasse ich gelten — das geht schon halb im Schlaf; aber Gedichte, bei deren Wiedcrgebung man mit Vers, Reim und Sprache zu ringen hat, vollends Gedichte von Hugo, die aller Capricen voll sind und einem mehr zu schaffen machen, als die von hundert andern Poeten — die Geduld geht einem wahrlich auf die Dauer aus! Zu einem eignen Gedicht dann und wann werde ich immer Zeit behalten, auch als Kaufmann; diesem Uebersetzungshand¬ werk schwöre ich aber ab, ehe der Sommer ins Land kommt." Und so nimmt er schon nach einem Jahre der Muße aufs neue eine kaufmännische Stelle in Barmer an. Noch ein andrer Umstand scheint zu diesem Entschlüsse beigetragen zu haben. Freiligrcith war seit acht Jahren verlobt und mußte nach einem soliden Untergrunde für eine endlich zu begründende Häuslichkeit streben. Auf dies un¬ glückselige Verhältnis fällt zum ersten Male durch die vorliegende Publikation ein Licht, freilich kein zu Helles, da aus dem Briefwechsel mit der Braut nur ganz spärliche Mitteilungen gemacht werden. Schon in seinem neunzehnten Jahre hatte sich Freiligrath mit der um zehn Jahre ältern Schwester seiner Stief¬ mutter verlobt. Es ist klar, daß dies Verhältnis, das mit jedem Jahre un¬ natürlicher wurde, mehr das einer freundschaftlichen Zuneigung als einer glühen¬ den Liebe war. Trotzdem hielt derselbe, obwohl ihm eine Auflösung von der andern Seite öfter nahe gelegt wurde, in ehrenhafter Gesinnung solange an seinem einmal gegebenen Versprechen fest, bis endlich eine tiefgehende Leiden¬ schaft, die zu seiner nachmaligen Gattin, mit Allgewalt das falsche Band zerriß. Diese Umstände erklären auch das spärliche und verspätete Auftreten des Liebes¬ liedes unter den Produktionen des jungen Dichters. In seiner ersten Gedicht¬ sammlung fehlt es gänzlich. Diese Gedichtsammlung trat nach längerer Verzögerung endlich im Jahre 1838 ans Licht und machte Freiligrath mit einem Schlage zu einem berühmten, hochgefeierten Dichter. Man fühlte, hier einer durchaus originalen, gewaltigen Erscheinung gegenüber zu stehen; nichts war vorhanden, das an die ersten um¬ hertastenden Versuche junger Dichter erinnerte, nichts Alltägliches, alles voll¬ endet und eigenartig. Mit welch unbarmherziger Selbstkritik aber auch der Dichter bei der Auswahl zu Werke ging, wie weit entfernt er von väterlicher Schonung für die Kinder seiner Muße war, zeigen uns wiederum die Briefe. Die Fremdartigkeit der Stoffe, das läßt sich nicht leugnen, trug mit zu der packenden Wirkung bei, welche die Gedichte ausübten. Nicht nur das Liebes¬ lied, auch das Frühlingslied war in ihnen acht vertreten. So sehr Freiligrath den Naturgenuß liebte, so wenig fühlte er sich durch ihn produktiv angeregt. Sehr bezeichnend schreibt er einmal: „Bei dem schönen Wetter fällt mir auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/613>, abgerufen am 26.06.2024.