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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Froiligrath in seinen Briefen.

fühle ich mich in meiner jetzigen Lage nicht. Mein Stand legt dem Dichter
mehr Fesseln an, als jeder andre. Ohne seine Lichtseiten zu verkennen, kann ich
ihm doch nicht mit ganzer Seele angehören. "Die bösen Ideale" kommen mir
immer in die Quere, und wenn ich über Spanische Staatspapiere schreiben soll,
so denke ich an die Bidassaobrücke und die "alten Wunden," die auf ihr auf¬
brechen. Die Aussicht, mein ganzes Leben als Kommis hinvegetiren zu müssen,
ist entsetzlich, und doch -- was bleibt mir anders übrig? Noch studiren zu
wollen, fällt mir nicht ein, dazu bin ich zu reich an Jahren und zu arm an
Geld."

Endlich benutzt er, gestützt auf Cottas freiwilliges Anerbieten, eine Samm¬
lung seiner Gedichte zu verlegen, und mit einem Auftrage Sauerländcrs auf
eine weitere Übersetzung Victor Hugos versehen, einen geringfügigen Anlaß, um
seine Stelle zu kündigen und den Versuch zu machen, einmal nur seinen schrift¬
stellerischen Arbeiten zu leben. Aber sehr bald kommt er zu der Einsicht: "Das
Dichten allein ist eine miserable Sache, und eine prosaische Unterlage thut anch
dem Poeten im Leben gut." Auch das Übersetzen auf Bestellung erweist sich
für den Dichter als eine Sklavenarbeit nur andrer Art als das Buchführer,
wenigstens bei den hohen Anforderungen, die er sich stellt: "Treue und Wohl-
klang! Es ist manchmal zum Schädeleinrennen, muß aber doch heraus."

Schon in den ersten Soester Jahren hatte Freiligrath, zugleich mit einem
eifrigen Studium der modernen Sprachen und Literaturen, begonnen, die Dichter
derselben zu seiner eignen Übung zu übertragen, und diese mit Liebe geübte,
besonders den Engländern und später auch den Amerikanern zugewandte Über¬
setzerthätigkeit hat ihn sein ganzes Leben hindurch begleitet. Eine ganze Anzahl
von ihnen, wie Longfellow und Bret Harte, hat er zuerst in Deutschland ein-
geführt. Gelegentlich hält er es für nötig, sich wegen dieser Betriebsamkeit zu
verteidigen: "Schelten Sie mich nicht, wie andre Leute, daß ich so viel über¬
setze. Ich glaube nun einmal, die Gabe der poetischen Übersetzung in einem
Grade zu besitzen, der es mir zur Pflicht macht, sie nicht brach liegen zu lassen,
sondern durch sie nach Kräften zur Vermittlung bedeutender ausländischer Ta¬
lente bei unsern Landsleuten beizutragen. Die Masse des alß- und absprechender
Publikums weiß gar nicht, was es heißt, etwas Poetisches poetisch zu über¬
setzen."

Die Frage läßt sich aber wohl aufwerfen, ob diese fortgesetzte Über¬
setzerthätigkeit nicht seiner eignen Produktivität, die auch in den Jahren des
Freiseins vom kaufmännischen Joche und bei vollkommener Muße nicht groß
war, hinderlich gewesen ist. Mindestens empfand er damals das Zwangsüber¬
setzen so, und schwört mit ihm dem Schriftstellertnm überhaupt ab mit den
Worten: "Es ist am Ende doch etwas Trauriges um das bloße Schriftstellern.
Durch das ganz Geschäftsmäßige, was mau im Verkehr mit den Buchhändlern
schier gezwungener Weise in die Poesie hineinlegt, würdigt man, glaub' ich, die


Froiligrath in seinen Briefen.

fühle ich mich in meiner jetzigen Lage nicht. Mein Stand legt dem Dichter
mehr Fesseln an, als jeder andre. Ohne seine Lichtseiten zu verkennen, kann ich
ihm doch nicht mit ganzer Seele angehören. »Die bösen Ideale« kommen mir
immer in die Quere, und wenn ich über Spanische Staatspapiere schreiben soll,
so denke ich an die Bidassaobrücke und die »alten Wunden,« die auf ihr auf¬
brechen. Die Aussicht, mein ganzes Leben als Kommis hinvegetiren zu müssen,
ist entsetzlich, und doch — was bleibt mir anders übrig? Noch studiren zu
wollen, fällt mir nicht ein, dazu bin ich zu reich an Jahren und zu arm an
Geld."

Endlich benutzt er, gestützt auf Cottas freiwilliges Anerbieten, eine Samm¬
lung seiner Gedichte zu verlegen, und mit einem Auftrage Sauerländcrs auf
eine weitere Übersetzung Victor Hugos versehen, einen geringfügigen Anlaß, um
seine Stelle zu kündigen und den Versuch zu machen, einmal nur seinen schrift¬
stellerischen Arbeiten zu leben. Aber sehr bald kommt er zu der Einsicht: „Das
Dichten allein ist eine miserable Sache, und eine prosaische Unterlage thut anch
dem Poeten im Leben gut." Auch das Übersetzen auf Bestellung erweist sich
für den Dichter als eine Sklavenarbeit nur andrer Art als das Buchführer,
wenigstens bei den hohen Anforderungen, die er sich stellt: „Treue und Wohl-
klang! Es ist manchmal zum Schädeleinrennen, muß aber doch heraus."

Schon in den ersten Soester Jahren hatte Freiligrath, zugleich mit einem
eifrigen Studium der modernen Sprachen und Literaturen, begonnen, die Dichter
derselben zu seiner eignen Übung zu übertragen, und diese mit Liebe geübte,
besonders den Engländern und später auch den Amerikanern zugewandte Über¬
setzerthätigkeit hat ihn sein ganzes Leben hindurch begleitet. Eine ganze Anzahl
von ihnen, wie Longfellow und Bret Harte, hat er zuerst in Deutschland ein-
geführt. Gelegentlich hält er es für nötig, sich wegen dieser Betriebsamkeit zu
verteidigen: „Schelten Sie mich nicht, wie andre Leute, daß ich so viel über¬
setze. Ich glaube nun einmal, die Gabe der poetischen Übersetzung in einem
Grade zu besitzen, der es mir zur Pflicht macht, sie nicht brach liegen zu lassen,
sondern durch sie nach Kräften zur Vermittlung bedeutender ausländischer Ta¬
lente bei unsern Landsleuten beizutragen. Die Masse des alß- und absprechender
Publikums weiß gar nicht, was es heißt, etwas Poetisches poetisch zu über¬
setzen."

Die Frage läßt sich aber wohl aufwerfen, ob diese fortgesetzte Über¬
setzerthätigkeit nicht seiner eignen Produktivität, die auch in den Jahren des
Freiseins vom kaufmännischen Joche und bei vollkommener Muße nicht groß
war, hinderlich gewesen ist. Mindestens empfand er damals das Zwangsüber¬
setzen so, und schwört mit ihm dem Schriftstellertnm überhaupt ab mit den
Worten: „Es ist am Ende doch etwas Trauriges um das bloße Schriftstellern.
Durch das ganz Geschäftsmäßige, was mau im Verkehr mit den Buchhändlern
schier gezwungener Weise in die Poesie hineinlegt, würdigt man, glaub' ich, die


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[0612] Froiligrath in seinen Briefen. fühle ich mich in meiner jetzigen Lage nicht. Mein Stand legt dem Dichter mehr Fesseln an, als jeder andre. Ohne seine Lichtseiten zu verkennen, kann ich ihm doch nicht mit ganzer Seele angehören. »Die bösen Ideale« kommen mir immer in die Quere, und wenn ich über Spanische Staatspapiere schreiben soll, so denke ich an die Bidassaobrücke und die »alten Wunden,« die auf ihr auf¬ brechen. Die Aussicht, mein ganzes Leben als Kommis hinvegetiren zu müssen, ist entsetzlich, und doch — was bleibt mir anders übrig? Noch studiren zu wollen, fällt mir nicht ein, dazu bin ich zu reich an Jahren und zu arm an Geld." Endlich benutzt er, gestützt auf Cottas freiwilliges Anerbieten, eine Samm¬ lung seiner Gedichte zu verlegen, und mit einem Auftrage Sauerländcrs auf eine weitere Übersetzung Victor Hugos versehen, einen geringfügigen Anlaß, um seine Stelle zu kündigen und den Versuch zu machen, einmal nur seinen schrift¬ stellerischen Arbeiten zu leben. Aber sehr bald kommt er zu der Einsicht: „Das Dichten allein ist eine miserable Sache, und eine prosaische Unterlage thut anch dem Poeten im Leben gut." Auch das Übersetzen auf Bestellung erweist sich für den Dichter als eine Sklavenarbeit nur andrer Art als das Buchführer, wenigstens bei den hohen Anforderungen, die er sich stellt: „Treue und Wohl- klang! Es ist manchmal zum Schädeleinrennen, muß aber doch heraus." Schon in den ersten Soester Jahren hatte Freiligrath, zugleich mit einem eifrigen Studium der modernen Sprachen und Literaturen, begonnen, die Dichter derselben zu seiner eignen Übung zu übertragen, und diese mit Liebe geübte, besonders den Engländern und später auch den Amerikanern zugewandte Über¬ setzerthätigkeit hat ihn sein ganzes Leben hindurch begleitet. Eine ganze Anzahl von ihnen, wie Longfellow und Bret Harte, hat er zuerst in Deutschland ein- geführt. Gelegentlich hält er es für nötig, sich wegen dieser Betriebsamkeit zu verteidigen: „Schelten Sie mich nicht, wie andre Leute, daß ich so viel über¬ setze. Ich glaube nun einmal, die Gabe der poetischen Übersetzung in einem Grade zu besitzen, der es mir zur Pflicht macht, sie nicht brach liegen zu lassen, sondern durch sie nach Kräften zur Vermittlung bedeutender ausländischer Ta¬ lente bei unsern Landsleuten beizutragen. Die Masse des alß- und absprechender Publikums weiß gar nicht, was es heißt, etwas Poetisches poetisch zu über¬ setzen." Die Frage läßt sich aber wohl aufwerfen, ob diese fortgesetzte Über¬ setzerthätigkeit nicht seiner eignen Produktivität, die auch in den Jahren des Freiseins vom kaufmännischen Joche und bei vollkommener Muße nicht groß war, hinderlich gewesen ist. Mindestens empfand er damals das Zwangsüber¬ setzen so, und schwört mit ihm dem Schriftstellertnm überhaupt ab mit den Worten: „Es ist am Ende doch etwas Trauriges um das bloße Schriftstellern. Durch das ganz Geschäftsmäßige, was mau im Verkehr mit den Buchhändlern schier gezwungener Weise in die Poesie hineinlegt, würdigt man, glaub' ich, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/612>, abgerufen am 26.06.2024.