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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Freiligrath in seinen Briefen.

im Jahre 1841 über die Echtheit seines so schlicht auftretenden Besuchers leb¬
hafte Bedenken empfindet, die er erst fahren läßt, nachdem er sich gedrungen
gefühlt hat, dessen poetische Ader zu erproben.

Dieser anspruchslose junge Dichter sucht sich anfangs auch mit dem ihm
aufgezwungenen prosaischen Broterwerb, so gut es geht, abzufinden. An seinen
Schulfreund Ludwig Merckel schreibt er: "Meine Arbeit besteht in Korrespon¬
denz, Buchführer, Fakturenaufnehmen :c. -- lauter trockne Dinge freilich; --
indeß, Ludwig, welcher Mensch möchte sich wohl rühmen können, ganz so zu
leben, wie er es wohl wünschte, und einzig solchen Beschäftigungen obzuliegen,
welche seinen Neigungen durchaus entsprechen? Ich glaube, keiner! Und warum
wollte man sich die Arbeit, die einem nun mal angewiesen ist und welcher man
durch Übung und Gewohnheit, wenn eben anch nicht durch ausgezeichnetes Talent,
gewachsen ist, durch beständiges Murren und Hinüberwünschen in einen andern
Zustand verbittern? Ich glaube wenigstens, daß dies eine große Thorheit ist,
und suche meiner. Arbeit dnrch Ordnung, Accuratesse !c. die angenehmste Seite
abzugewinnen. Dies gelingt mir anch trefflich, und ich muß dir aufrichtig ge¬
stehen, daß mich eine schön geschriebene und genau gerechnete Seite in meinen
dicken Faktur- und Kontokorrentbüchern ebenso amüsirt, als meine beste Reimerei."
Ein andermal tröstet er sich mit den Worten: "Sie haben freilich recht, daß
der Merkur nicht recht zum Apoll und den Musen paßt. Es ist und bleibt
eine Assoziativ", wo es immer kleine Reibungen giebt; ich tröste mich aber damit,
daß fast alle Poeten von Hans Sachs an mehr oder weniger die Poeterei
dazu treiben mußten, und daß es am Ende einerlei ist, ob man die Zeit, die
man den Musen widmet, dem Merkur, oder der Themis, oder sonst einem Gott
oder einer Göttin abzieht."

Wie dies Abziehen zu verstehen ist, lehren uns manche Eingänge von Briefen,
die "zwischen Journal und Hauptbuch" hingeworfen sind, und eine ergötzliche,
ein paar Jahre später entworfene Skizze seines Amsterdamer Comptoirdienstes.
Er sagt von Wilhelm Meister: "Die Ähnlichkeit mancher Situationen meines
eignen Lebens mit den vom alten Wolfgang geschilderten hat mich von jeher
angezogen, und ich erinnere mich noch sehr wohl des Fensterpultes auf meinem
Amsterdamer Comptoir, wo ich, unterm Schirm eines mächtigen Rechnungs-
buches, den Meister im Jahre 1832 zuerst las. Zu meiner Seite ein breiter
Kanal mit Schiffen und Kähnen, um mich herum Summen und Rechnen, vor
mir mein Foliant -- und im Kopfe das Klappern von Philinens Pantoffeln,
Miguons Eiertanz und zwischendurch, wie Blitze meinem Schädel entzückend,
eigne Lieder, die dann meist gleich an Ort und Stelle ans zerrissenen Rechnungen
oder Briefen niedergeschrieben wurden."

Ans die Dauer aber wird dem in der fremden Stadt gänzlich vereinsamten,
von Sehnsucht nach der Heimat verzehrten, an einen verhaßten Beruf geketteten
Dichter dieser Zustand doch unerträglich. An Schwab schreibt er: "Glücklich


Freiligrath in seinen Briefen.

im Jahre 1841 über die Echtheit seines so schlicht auftretenden Besuchers leb¬
hafte Bedenken empfindet, die er erst fahren läßt, nachdem er sich gedrungen
gefühlt hat, dessen poetische Ader zu erproben.

Dieser anspruchslose junge Dichter sucht sich anfangs auch mit dem ihm
aufgezwungenen prosaischen Broterwerb, so gut es geht, abzufinden. An seinen
Schulfreund Ludwig Merckel schreibt er: „Meine Arbeit besteht in Korrespon¬
denz, Buchführer, Fakturenaufnehmen :c. — lauter trockne Dinge freilich; —
indeß, Ludwig, welcher Mensch möchte sich wohl rühmen können, ganz so zu
leben, wie er es wohl wünschte, und einzig solchen Beschäftigungen obzuliegen,
welche seinen Neigungen durchaus entsprechen? Ich glaube, keiner! Und warum
wollte man sich die Arbeit, die einem nun mal angewiesen ist und welcher man
durch Übung und Gewohnheit, wenn eben anch nicht durch ausgezeichnetes Talent,
gewachsen ist, durch beständiges Murren und Hinüberwünschen in einen andern
Zustand verbittern? Ich glaube wenigstens, daß dies eine große Thorheit ist,
und suche meiner. Arbeit dnrch Ordnung, Accuratesse !c. die angenehmste Seite
abzugewinnen. Dies gelingt mir anch trefflich, und ich muß dir aufrichtig ge¬
stehen, daß mich eine schön geschriebene und genau gerechnete Seite in meinen
dicken Faktur- und Kontokorrentbüchern ebenso amüsirt, als meine beste Reimerei."
Ein andermal tröstet er sich mit den Worten: „Sie haben freilich recht, daß
der Merkur nicht recht zum Apoll und den Musen paßt. Es ist und bleibt
eine Assoziativ», wo es immer kleine Reibungen giebt; ich tröste mich aber damit,
daß fast alle Poeten von Hans Sachs an mehr oder weniger die Poeterei
dazu treiben mußten, und daß es am Ende einerlei ist, ob man die Zeit, die
man den Musen widmet, dem Merkur, oder der Themis, oder sonst einem Gott
oder einer Göttin abzieht."

Wie dies Abziehen zu verstehen ist, lehren uns manche Eingänge von Briefen,
die „zwischen Journal und Hauptbuch" hingeworfen sind, und eine ergötzliche,
ein paar Jahre später entworfene Skizze seines Amsterdamer Comptoirdienstes.
Er sagt von Wilhelm Meister: „Die Ähnlichkeit mancher Situationen meines
eignen Lebens mit den vom alten Wolfgang geschilderten hat mich von jeher
angezogen, und ich erinnere mich noch sehr wohl des Fensterpultes auf meinem
Amsterdamer Comptoir, wo ich, unterm Schirm eines mächtigen Rechnungs-
buches, den Meister im Jahre 1832 zuerst las. Zu meiner Seite ein breiter
Kanal mit Schiffen und Kähnen, um mich herum Summen und Rechnen, vor
mir mein Foliant — und im Kopfe das Klappern von Philinens Pantoffeln,
Miguons Eiertanz und zwischendurch, wie Blitze meinem Schädel entzückend,
eigne Lieder, die dann meist gleich an Ort und Stelle ans zerrissenen Rechnungen
oder Briefen niedergeschrieben wurden."

Ans die Dauer aber wird dem in der fremden Stadt gänzlich vereinsamten,
von Sehnsucht nach der Heimat verzehrten, an einen verhaßten Beruf geketteten
Dichter dieser Zustand doch unerträglich. An Schwab schreibt er: „Glücklich


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[0611] Freiligrath in seinen Briefen. im Jahre 1841 über die Echtheit seines so schlicht auftretenden Besuchers leb¬ hafte Bedenken empfindet, die er erst fahren läßt, nachdem er sich gedrungen gefühlt hat, dessen poetische Ader zu erproben. Dieser anspruchslose junge Dichter sucht sich anfangs auch mit dem ihm aufgezwungenen prosaischen Broterwerb, so gut es geht, abzufinden. An seinen Schulfreund Ludwig Merckel schreibt er: „Meine Arbeit besteht in Korrespon¬ denz, Buchführer, Fakturenaufnehmen :c. — lauter trockne Dinge freilich; — indeß, Ludwig, welcher Mensch möchte sich wohl rühmen können, ganz so zu leben, wie er es wohl wünschte, und einzig solchen Beschäftigungen obzuliegen, welche seinen Neigungen durchaus entsprechen? Ich glaube, keiner! Und warum wollte man sich die Arbeit, die einem nun mal angewiesen ist und welcher man durch Übung und Gewohnheit, wenn eben anch nicht durch ausgezeichnetes Talent, gewachsen ist, durch beständiges Murren und Hinüberwünschen in einen andern Zustand verbittern? Ich glaube wenigstens, daß dies eine große Thorheit ist, und suche meiner. Arbeit dnrch Ordnung, Accuratesse !c. die angenehmste Seite abzugewinnen. Dies gelingt mir anch trefflich, und ich muß dir aufrichtig ge¬ stehen, daß mich eine schön geschriebene und genau gerechnete Seite in meinen dicken Faktur- und Kontokorrentbüchern ebenso amüsirt, als meine beste Reimerei." Ein andermal tröstet er sich mit den Worten: „Sie haben freilich recht, daß der Merkur nicht recht zum Apoll und den Musen paßt. Es ist und bleibt eine Assoziativ», wo es immer kleine Reibungen giebt; ich tröste mich aber damit, daß fast alle Poeten von Hans Sachs an mehr oder weniger die Poeterei dazu treiben mußten, und daß es am Ende einerlei ist, ob man die Zeit, die man den Musen widmet, dem Merkur, oder der Themis, oder sonst einem Gott oder einer Göttin abzieht." Wie dies Abziehen zu verstehen ist, lehren uns manche Eingänge von Briefen, die „zwischen Journal und Hauptbuch" hingeworfen sind, und eine ergötzliche, ein paar Jahre später entworfene Skizze seines Amsterdamer Comptoirdienstes. Er sagt von Wilhelm Meister: „Die Ähnlichkeit mancher Situationen meines eignen Lebens mit den vom alten Wolfgang geschilderten hat mich von jeher angezogen, und ich erinnere mich noch sehr wohl des Fensterpultes auf meinem Amsterdamer Comptoir, wo ich, unterm Schirm eines mächtigen Rechnungs- buches, den Meister im Jahre 1832 zuerst las. Zu meiner Seite ein breiter Kanal mit Schiffen und Kähnen, um mich herum Summen und Rechnen, vor mir mein Foliant — und im Kopfe das Klappern von Philinens Pantoffeln, Miguons Eiertanz und zwischendurch, wie Blitze meinem Schädel entzückend, eigne Lieder, die dann meist gleich an Ort und Stelle ans zerrissenen Rechnungen oder Briefen niedergeschrieben wurden." Ans die Dauer aber wird dem in der fremden Stadt gänzlich vereinsamten, von Sehnsucht nach der Heimat verzehrten, an einen verhaßten Beruf geketteten Dichter dieser Zustand doch unerträglich. An Schwab schreibt er: „Glücklich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/611>, abgerufen am 26.06.2024.