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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Froiligrath in seinen Briefen.

sprengt haben, mit welchen die Allongeperücken des siöols as I^ouis XIV. Sprache
und Geschmack ihrer Nation gebunden hatten, bin ich mächtig von dem Genius
gallischer Poesie ergriffen und namentlich von Hugos unvergleichlicher Lyrik hin¬
gerissen worden." Ein andermal schreibt er: "Ich muß diese Nacht noch ein
Paket für Scmerländer zurechtmachen, und bin daher so rhapsodisch -- über¬
haupt macht mich der Hugo halb verrückt, d. h. nicht das Übersetzen, sondern
der Inhalt der Oden an und für sich. Man glaubt in einigen die Apokalypse
zu lesen -- eine entsetzliche Phantasie hat der Kerl, und wenn ihn Tieck auch
in seiner Reise ins Blaue gewissermaßen in den Bann thut, so bleibt er doch
ein Hnuptpoet." Freilich beklagt er später diesen Einfluß, indem er 1836 an
Schwab schreibt: "Sie machen mir wieder einen verdienten Vorwurf wegen
Manier; das ist, weiß Gott, niemandes Schuld, als Hugos! Als ich Ihnen
vor 1^/z Jahren die Sandlieder schickte und das Gedicht Einem Ziehenden und
den Wassergeusen, da war ich auf gutem Wege, mich aus dem rhetorischen Wust
herauszuarbeiten; durch die Übersetzung des Hugo bin ich wieder hineinge¬
kommen."

Schwab, wie Chmuisso, die Freiligrath in ihrem Musenalmanach und im
Cottaschen Morgenblatt zuerst einem weiteren Publikum vorführten und ihm
als treue, wohlmeinende Ratgeber im Beginne seiner öffentlichen Dichterlaufbahn
zur Seite standen, warnten ihn beide vor Manier, vor der beständigen Wahl
allzu schauerlicher und phantastischer Stoffe, vor Spielereien der Form. Mit
einer für einen jungen Dichter unerhörten Bescheidenheit nimmt er diese War¬
nungen und Vorwürfe auf. Schwab antwortet er: "Wie gegründet Ihr Tadel
in Betreff der angeregten beiden Punkte ist, fühle ich nnr zu sehr. Die fatalen
Bouts-rimvs! Ich bin eigentlich nur dnrch das Vermeidenwollen des alltäglichen
Geklingels hundert- und aber hundertmal wiederholter Reime dazu gekommen,
sehe aber jetzt wohl ein, wie leicht es ist, auf diese Weise aus einem Extrem
ins andre zu geraten. Ach, ich möchte zuweilen verzweifeln, wenn ich die in
edler Schlichtheit dastehenden Meisterwerke der Chorführer der neueren Lyrik
mit meinem schwülstigen Zeuge vergleiche! Jeue Endreime, wie auch meinen
schlechtcäsurigen Alexandriner zu vermeiden, wird mir zwar, da sie etwas Äußer¬
liches und Willkürliches sind, keine besondern Schwierigkeiten machen; mehr da¬
gegen werde ich mich schon zusammennehmen müssen, um auch in der Wahl
des Stoffes Ihrer freundlichen Warnung Folge zu leisten. Gott mag wissen,
wie ich friedfertiger Mensch dazu komme, so viel Blut zu vergießen! Nicht Wahl
-- eher Wahlverwandtschaft ist es, was mich, und mit mir die meisten Dichter
des deutschen Nordens, das Düstere und Gräßliche ergreifen läßt und mich der
Gefahr aussetzt, eine dereinstige Sammlung meiner Gedichte eher zu einem
Schlachtfelde oder einem anatomischen Theater, als, nach dem Vorgange der
Sänger des Südens, zu einem sonnigen, dust- und farbenreiche" Blumengarten
zu mache". Was ich thun kann, um nicht zu einseitig in der einmal einge-


Grcnzboten I. 1882. 76
Froiligrath in seinen Briefen.

sprengt haben, mit welchen die Allongeperücken des siöols as I^ouis XIV. Sprache
und Geschmack ihrer Nation gebunden hatten, bin ich mächtig von dem Genius
gallischer Poesie ergriffen und namentlich von Hugos unvergleichlicher Lyrik hin¬
gerissen worden." Ein andermal schreibt er: „Ich muß diese Nacht noch ein
Paket für Scmerländer zurechtmachen, und bin daher so rhapsodisch — über¬
haupt macht mich der Hugo halb verrückt, d. h. nicht das Übersetzen, sondern
der Inhalt der Oden an und für sich. Man glaubt in einigen die Apokalypse
zu lesen — eine entsetzliche Phantasie hat der Kerl, und wenn ihn Tieck auch
in seiner Reise ins Blaue gewissermaßen in den Bann thut, so bleibt er doch
ein Hnuptpoet." Freilich beklagt er später diesen Einfluß, indem er 1836 an
Schwab schreibt: „Sie machen mir wieder einen verdienten Vorwurf wegen
Manier; das ist, weiß Gott, niemandes Schuld, als Hugos! Als ich Ihnen
vor 1^/z Jahren die Sandlieder schickte und das Gedicht Einem Ziehenden und
den Wassergeusen, da war ich auf gutem Wege, mich aus dem rhetorischen Wust
herauszuarbeiten; durch die Übersetzung des Hugo bin ich wieder hineinge¬
kommen."

Schwab, wie Chmuisso, die Freiligrath in ihrem Musenalmanach und im
Cottaschen Morgenblatt zuerst einem weiteren Publikum vorführten und ihm
als treue, wohlmeinende Ratgeber im Beginne seiner öffentlichen Dichterlaufbahn
zur Seite standen, warnten ihn beide vor Manier, vor der beständigen Wahl
allzu schauerlicher und phantastischer Stoffe, vor Spielereien der Form. Mit
einer für einen jungen Dichter unerhörten Bescheidenheit nimmt er diese War¬
nungen und Vorwürfe auf. Schwab antwortet er: „Wie gegründet Ihr Tadel
in Betreff der angeregten beiden Punkte ist, fühle ich nnr zu sehr. Die fatalen
Bouts-rimvs! Ich bin eigentlich nur dnrch das Vermeidenwollen des alltäglichen
Geklingels hundert- und aber hundertmal wiederholter Reime dazu gekommen,
sehe aber jetzt wohl ein, wie leicht es ist, auf diese Weise aus einem Extrem
ins andre zu geraten. Ach, ich möchte zuweilen verzweifeln, wenn ich die in
edler Schlichtheit dastehenden Meisterwerke der Chorführer der neueren Lyrik
mit meinem schwülstigen Zeuge vergleiche! Jeue Endreime, wie auch meinen
schlechtcäsurigen Alexandriner zu vermeiden, wird mir zwar, da sie etwas Äußer¬
liches und Willkürliches sind, keine besondern Schwierigkeiten machen; mehr da¬
gegen werde ich mich schon zusammennehmen müssen, um auch in der Wahl
des Stoffes Ihrer freundlichen Warnung Folge zu leisten. Gott mag wissen,
wie ich friedfertiger Mensch dazu komme, so viel Blut zu vergießen! Nicht Wahl
— eher Wahlverwandtschaft ist es, was mich, und mit mir die meisten Dichter
des deutschen Nordens, das Düstere und Gräßliche ergreifen läßt und mich der
Gefahr aussetzt, eine dereinstige Sammlung meiner Gedichte eher zu einem
Schlachtfelde oder einem anatomischen Theater, als, nach dem Vorgange der
Sänger des Südens, zu einem sonnigen, dust- und farbenreiche« Blumengarten
zu mache». Was ich thun kann, um nicht zu einseitig in der einmal einge-


Grcnzboten I. 1882. 76
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/609>, abgerufen am 26.06.2024.