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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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sind, an Grabbes Braut schrobt er dazu: "Ich weiß zwar uicht, ob das, was
ich Ihnen biete, Ihren Beifall erhalten wird, wünsche aber von Herzen, daß es
besser seyn möge, als so manches, wils ich schon habe drucken lassen, und dessen
ich mich fast schäme, umsomehr, da ich denken muß, daß viele, besonders solche,
die mich früher kannten, mich deßwegen für albern und närrisch halten müssen."

Dieser Brief ist schon aus Amsterdam datirt, wohin Freiligrath im Jahre
1832 übersiedelte, um in ein Wechselgeschäft einzutreten. Hier am Meere, in
dein geschäftigen Treiben der großen Stadt, in dem regen, den Austausch mit
den fernsten Zonen vermittelnden Handelsverkehr des Seehafens entwickelte sich
jene tropisch glutvolle, farbenprächtige, ihre Stoffe weit herholende Freiligrathsche
Poesie, die sich von den hergebrachten Reimereien so kräftig abhob und bei ihrem
ersten Bekanntwerden wahrhaft berauschend wirkte. Hier tauchten jene fremd¬
artigen ausländischen Bilder vor seinem geistigen Auge auf, denen er notgedrungen
poetische Gestalt verleihen mußte. "Warum ich meist - Orientalia besinge? --
Ich weiß es wahrhaftig nicht -- Lxiriws üg.t ubi vult, hat Hugo dem vierten
Buche der Oden als Motto vorgesetzt."

Man hat Freiligraths Poesie nicht mit Unrecht eine deskriptive genannt,
und der Dichter selber hat sie so empfunden: "Ich bin mehr Maler als Dichter,
schreibt er, schildere in meinen Liedern mehr, als daß ich Gefühl und Reflexion
entwickeln und erwecken sollte, und eben darum werde ich immer wenigstens ein¬
seitig bleiben." Und ähnlich: "Immermann hebt an meinen Versuchen besonders
das Plastische hervor, und ich glaube selbst, daß ich, wenn ich das Technische
der Malerei verstünde und von Jugend ans die erforderliche Fingerfertigkeit mir
angeeignet hätte, ein besserer Maler als Dichter sein könnte." Den dichterischen
Zustand aber, in dem er seine eigenartigen Gestalten tonzipirt und gebiert, schil¬
dert er so: "Ich kann nur dichten in tiefer stiller Nacht. Dann fahr' ich aus
schweren Träumen, wie Lenore, lege die heiße Stirn in das zerwühlte Kissen,
Mann und Roß sausen im Dunkeln an mir vorüber, und mit zerschlagenen
Gliedern steh' ich morgens auf." Und an einer andern Stelle: "Sie reden von
innerer Unruhe -- nicht wahr, da läuft man herum wie besessen? kann nicht
schlafen, und drückt die brennende Stirn an die Kissen, bis Verse herausfliegen?
Ach ja, es ist ein miserabler Zustand, aber doch ein echt dichterischer! Beim
Versemachen muß man immer halb toll sein -- ich meine Shakespeares uno
tre-n?^ -- das giebt die besten Gedichte!"

Die so herausfliegenden schwungvollen Verse würden den Einfluß Viktor
Hugos, mit dem Freiligrath sich in Amsterdam viel zu beschäftigen begann und
dessen Oäes et ^ovsivs äivWss er im Auftrage des Buchhändlers Sauerländer
übersetzte, nicht verkennen lassen, auch wenn er ihn nicht selbst zugestünde: "Die
Franzosen haben mich von jeher kalt gelassen, und erst, seitdem Feuerköpfe wie
Viktor Hugo, Alphons de Lamartine, Beranger, Balzac, Jules Janin, Alfred
de Vigny, Eugene Sue (Verfasser von Atar Gull) und andre die Fesseln ge-


sind, an Grabbes Braut schrobt er dazu: „Ich weiß zwar uicht, ob das, was
ich Ihnen biete, Ihren Beifall erhalten wird, wünsche aber von Herzen, daß es
besser seyn möge, als so manches, wils ich schon habe drucken lassen, und dessen
ich mich fast schäme, umsomehr, da ich denken muß, daß viele, besonders solche,
die mich früher kannten, mich deßwegen für albern und närrisch halten müssen."

Dieser Brief ist schon aus Amsterdam datirt, wohin Freiligrath im Jahre
1832 übersiedelte, um in ein Wechselgeschäft einzutreten. Hier am Meere, in
dein geschäftigen Treiben der großen Stadt, in dem regen, den Austausch mit
den fernsten Zonen vermittelnden Handelsverkehr des Seehafens entwickelte sich
jene tropisch glutvolle, farbenprächtige, ihre Stoffe weit herholende Freiligrathsche
Poesie, die sich von den hergebrachten Reimereien so kräftig abhob und bei ihrem
ersten Bekanntwerden wahrhaft berauschend wirkte. Hier tauchten jene fremd¬
artigen ausländischen Bilder vor seinem geistigen Auge auf, denen er notgedrungen
poetische Gestalt verleihen mußte. „Warum ich meist - Orientalia besinge? —
Ich weiß es wahrhaftig nicht — Lxiriws üg.t ubi vult, hat Hugo dem vierten
Buche der Oden als Motto vorgesetzt."

Man hat Freiligraths Poesie nicht mit Unrecht eine deskriptive genannt,
und der Dichter selber hat sie so empfunden: „Ich bin mehr Maler als Dichter,
schreibt er, schildere in meinen Liedern mehr, als daß ich Gefühl und Reflexion
entwickeln und erwecken sollte, und eben darum werde ich immer wenigstens ein¬
seitig bleiben." Und ähnlich: „Immermann hebt an meinen Versuchen besonders
das Plastische hervor, und ich glaube selbst, daß ich, wenn ich das Technische
der Malerei verstünde und von Jugend ans die erforderliche Fingerfertigkeit mir
angeeignet hätte, ein besserer Maler als Dichter sein könnte." Den dichterischen
Zustand aber, in dem er seine eigenartigen Gestalten tonzipirt und gebiert, schil¬
dert er so: „Ich kann nur dichten in tiefer stiller Nacht. Dann fahr' ich aus
schweren Träumen, wie Lenore, lege die heiße Stirn in das zerwühlte Kissen,
Mann und Roß sausen im Dunkeln an mir vorüber, und mit zerschlagenen
Gliedern steh' ich morgens auf." Und an einer andern Stelle: „Sie reden von
innerer Unruhe — nicht wahr, da läuft man herum wie besessen? kann nicht
schlafen, und drückt die brennende Stirn an die Kissen, bis Verse herausfliegen?
Ach ja, es ist ein miserabler Zustand, aber doch ein echt dichterischer! Beim
Versemachen muß man immer halb toll sein — ich meine Shakespeares uno
tre-n?^ — das giebt die besten Gedichte!"

Die so herausfliegenden schwungvollen Verse würden den Einfluß Viktor
Hugos, mit dem Freiligrath sich in Amsterdam viel zu beschäftigen begann und
dessen Oäes et ^ovsivs äivWss er im Auftrage des Buchhändlers Sauerländer
übersetzte, nicht verkennen lassen, auch wenn er ihn nicht selbst zugestünde: „Die
Franzosen haben mich von jeher kalt gelassen, und erst, seitdem Feuerköpfe wie
Viktor Hugo, Alphons de Lamartine, Beranger, Balzac, Jules Janin, Alfred
de Vigny, Eugene Sue (Verfasser von Atar Gull) und andre die Fesseln ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/608>, abgerufen am 26.06.2024.