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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Zur Verwaltungsreform in Preußen.

nachgebildet sein müßten; eine Maßregel, bei welcher die Kommunen allerdings
ganz sicher vom Regen in die Traufe kämen.

Nicht zu billigen ist ferner, daß die Gesetzgebung unter gewissen Modali¬
täten einen Zwang zur Annahme unbesoldeter Ehrenämter durch die Möglichkeit
stärkerer Heranziehung zu den Steuern auszuüben versucht. Wo die Selbst¬
verwaltung ohne einen solchen Druck nicht durchführbar ist, da gehört sie nicht
hin. Soweit bekannt, sind die fraglichen Bestimmungen für die Praxis auch
vollständig überflüssig gewesen. Und das ist das beste, was sie sein konnten.
Nutzen konnten sie unter keinen Umständen stiften. Denn mit widerwilligen Be¬
amten läßt sich überhaupt nicht wirtschaften.

Ein mißliches Verhältnis bleibt es endlich, daß das Besteuerungsrecht der
Kommunen auch in den sogenannten Kreisordnungsgesetzen lediglich auf das
System der Zuschlage zu den direkten Staatsfteuern basirt ist. Dies ist indessen
ein Übelstand, der eben so lange ertragen werde" muß, bis die Durchführung
der geplanten Staatssteuerreform es gestattet, auch der Regelung des Kommunal¬
steuerwesens näher zu treten.

Alle die vorstehend hervorgehobenen Ausstellungen sind nur Kleinigkeiten
im Vergleich zu den positiven Leistungen, welche die Reformgesetzgcbnng aufzu¬
weisen hat. Das Problem, in den Kreisen und Provinzen Kommunalverbände
höherer Ordnung über den Ortsgemeinden zu schaffen, ist bekanntlich in so
glänzender Weise gelöst, daß es Wasser ins Meer tragen hieße, wenn man
darüber noch ein Wort verlieren wollte. Einzelheiten lassen sich natürlich auch
hier bemängeln. So hat man zwar sehr wohl erkannt, daß Kollegialbehörden,
die noch dazu nicht einmal ständig tagen, sondern nur periodisch zusammentreten,
wie z. B. der Kreisausschuß, ungeeignet sind, eine laufende Verwaltung zu führen.
Dagegen ist es schwerlich als besonders glückliches Aushilfsmittel gegen die
hieraus entstehenden Schwierigkeiten anzusehen, wenn man dem Landrat das
Recht eingeräumt hat, in schleunigen Fällen namens des Kreisausfchusses Ver¬
fügungen zu erlassen, nachher aber gegen seine Entscheidung den Rekurs an das
Kollegium zuläßt. Der Landrat läuft da immer Gefahr, in einer für seine Autorität
nicht gerade vorteilhaften Weise vom Kollegium desavouirt zu werden. Wenn er also
ängstlicher Natur ist, wird er sich zehnmal bedenken, ehe er einmal zugreift, selbst
wo es notwendig wäre. Richtiger wäre es wohl, daß das Kollegium an die
einmal getroffene Entscheidung gebunden wäre, sobald es die Schleunigkeit des
Falles anerkennt, eventuell nur das Recht hätte, die Entscheidung der höheren
Instanz zu verlangen. Dergleichen Fälle könnte man noch mehr aufzählen.
Alles ändert aber nichts an dem Resultat, daß speziell die Kreisordnung eine
gesetzgeberische That, eine organisatorische Schöpfung ersten Ranges ist und bleibt.
Die Kombination von Staats- und Gemeindeamt, namentlich im Landrat und
Kreisausschuß, ist eine überaus glückliche Verkörperung der oben entwickelten
Prinzipien über die Anwendbarkeit des Systems der Selbstverwaltung. Das-


Zur Verwaltungsreform in Preußen.

nachgebildet sein müßten; eine Maßregel, bei welcher die Kommunen allerdings
ganz sicher vom Regen in die Traufe kämen.

Nicht zu billigen ist ferner, daß die Gesetzgebung unter gewissen Modali¬
täten einen Zwang zur Annahme unbesoldeter Ehrenämter durch die Möglichkeit
stärkerer Heranziehung zu den Steuern auszuüben versucht. Wo die Selbst¬
verwaltung ohne einen solchen Druck nicht durchführbar ist, da gehört sie nicht
hin. Soweit bekannt, sind die fraglichen Bestimmungen für die Praxis auch
vollständig überflüssig gewesen. Und das ist das beste, was sie sein konnten.
Nutzen konnten sie unter keinen Umständen stiften. Denn mit widerwilligen Be¬
amten läßt sich überhaupt nicht wirtschaften.

Ein mißliches Verhältnis bleibt es endlich, daß das Besteuerungsrecht der
Kommunen auch in den sogenannten Kreisordnungsgesetzen lediglich auf das
System der Zuschlage zu den direkten Staatsfteuern basirt ist. Dies ist indessen
ein Übelstand, der eben so lange ertragen werde» muß, bis die Durchführung
der geplanten Staatssteuerreform es gestattet, auch der Regelung des Kommunal¬
steuerwesens näher zu treten.

Alle die vorstehend hervorgehobenen Ausstellungen sind nur Kleinigkeiten
im Vergleich zu den positiven Leistungen, welche die Reformgesetzgcbnng aufzu¬
weisen hat. Das Problem, in den Kreisen und Provinzen Kommunalverbände
höherer Ordnung über den Ortsgemeinden zu schaffen, ist bekanntlich in so
glänzender Weise gelöst, daß es Wasser ins Meer tragen hieße, wenn man
darüber noch ein Wort verlieren wollte. Einzelheiten lassen sich natürlich auch
hier bemängeln. So hat man zwar sehr wohl erkannt, daß Kollegialbehörden,
die noch dazu nicht einmal ständig tagen, sondern nur periodisch zusammentreten,
wie z. B. der Kreisausschuß, ungeeignet sind, eine laufende Verwaltung zu führen.
Dagegen ist es schwerlich als besonders glückliches Aushilfsmittel gegen die
hieraus entstehenden Schwierigkeiten anzusehen, wenn man dem Landrat das
Recht eingeräumt hat, in schleunigen Fällen namens des Kreisausfchusses Ver¬
fügungen zu erlassen, nachher aber gegen seine Entscheidung den Rekurs an das
Kollegium zuläßt. Der Landrat läuft da immer Gefahr, in einer für seine Autorität
nicht gerade vorteilhaften Weise vom Kollegium desavouirt zu werden. Wenn er also
ängstlicher Natur ist, wird er sich zehnmal bedenken, ehe er einmal zugreift, selbst
wo es notwendig wäre. Richtiger wäre es wohl, daß das Kollegium an die
einmal getroffene Entscheidung gebunden wäre, sobald es die Schleunigkeit des
Falles anerkennt, eventuell nur das Recht hätte, die Entscheidung der höheren
Instanz zu verlangen. Dergleichen Fälle könnte man noch mehr aufzählen.
Alles ändert aber nichts an dem Resultat, daß speziell die Kreisordnung eine
gesetzgeberische That, eine organisatorische Schöpfung ersten Ranges ist und bleibt.
Die Kombination von Staats- und Gemeindeamt, namentlich im Landrat und
Kreisausschuß, ist eine überaus glückliche Verkörperung der oben entwickelten
Prinzipien über die Anwendbarkeit des Systems der Selbstverwaltung. Das-


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[0598] Zur Verwaltungsreform in Preußen. nachgebildet sein müßten; eine Maßregel, bei welcher die Kommunen allerdings ganz sicher vom Regen in die Traufe kämen. Nicht zu billigen ist ferner, daß die Gesetzgebung unter gewissen Modali¬ täten einen Zwang zur Annahme unbesoldeter Ehrenämter durch die Möglichkeit stärkerer Heranziehung zu den Steuern auszuüben versucht. Wo die Selbst¬ verwaltung ohne einen solchen Druck nicht durchführbar ist, da gehört sie nicht hin. Soweit bekannt, sind die fraglichen Bestimmungen für die Praxis auch vollständig überflüssig gewesen. Und das ist das beste, was sie sein konnten. Nutzen konnten sie unter keinen Umständen stiften. Denn mit widerwilligen Be¬ amten läßt sich überhaupt nicht wirtschaften. Ein mißliches Verhältnis bleibt es endlich, daß das Besteuerungsrecht der Kommunen auch in den sogenannten Kreisordnungsgesetzen lediglich auf das System der Zuschlage zu den direkten Staatsfteuern basirt ist. Dies ist indessen ein Übelstand, der eben so lange ertragen werde» muß, bis die Durchführung der geplanten Staatssteuerreform es gestattet, auch der Regelung des Kommunal¬ steuerwesens näher zu treten. Alle die vorstehend hervorgehobenen Ausstellungen sind nur Kleinigkeiten im Vergleich zu den positiven Leistungen, welche die Reformgesetzgcbnng aufzu¬ weisen hat. Das Problem, in den Kreisen und Provinzen Kommunalverbände höherer Ordnung über den Ortsgemeinden zu schaffen, ist bekanntlich in so glänzender Weise gelöst, daß es Wasser ins Meer tragen hieße, wenn man darüber noch ein Wort verlieren wollte. Einzelheiten lassen sich natürlich auch hier bemängeln. So hat man zwar sehr wohl erkannt, daß Kollegialbehörden, die noch dazu nicht einmal ständig tagen, sondern nur periodisch zusammentreten, wie z. B. der Kreisausschuß, ungeeignet sind, eine laufende Verwaltung zu führen. Dagegen ist es schwerlich als besonders glückliches Aushilfsmittel gegen die hieraus entstehenden Schwierigkeiten anzusehen, wenn man dem Landrat das Recht eingeräumt hat, in schleunigen Fällen namens des Kreisausfchusses Ver¬ fügungen zu erlassen, nachher aber gegen seine Entscheidung den Rekurs an das Kollegium zuläßt. Der Landrat läuft da immer Gefahr, in einer für seine Autorität nicht gerade vorteilhaften Weise vom Kollegium desavouirt zu werden. Wenn er also ängstlicher Natur ist, wird er sich zehnmal bedenken, ehe er einmal zugreift, selbst wo es notwendig wäre. Richtiger wäre es wohl, daß das Kollegium an die einmal getroffene Entscheidung gebunden wäre, sobald es die Schleunigkeit des Falles anerkennt, eventuell nur das Recht hätte, die Entscheidung der höheren Instanz zu verlangen. Dergleichen Fälle könnte man noch mehr aufzählen. Alles ändert aber nichts an dem Resultat, daß speziell die Kreisordnung eine gesetzgeberische That, eine organisatorische Schöpfung ersten Ranges ist und bleibt. Die Kombination von Staats- und Gemeindeamt, namentlich im Landrat und Kreisausschuß, ist eine überaus glückliche Verkörperung der oben entwickelten Prinzipien über die Anwendbarkeit des Systems der Selbstverwaltung. Das-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/598>, abgerufen am 26.06.2024.