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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Lin neues Königreich,

Verhalten, Verzeihung zu gewähren, Trotz seiner tiefen Demütigung aber konnte
er, so muß man schließen, nicht vergessen, daß sein russischer Feldherr Tschernajeff
ihn während des Krieges, und zwar in sehr dunkler Stunde, vierzehn Tage nach
der ersten großen Niederlage der serbisch-russischen Armee bei Alexinatz als Milan I.
zum König von Serbien hatte ausrufen lassen. Als der Kampf zwischen Ru߬
land und der Pforte ausbrach, hielt sich Serbien behutsam von demselben fern,
bis es nach dem Falle Plewnas, als alle Gefahr vorüber zu sein schien, sich den
siegreich gebliebenen Bedrängern des Padischa resolut anschloß und sich aufmachte,
sich ein gutes Stück von der Länderbeute zu sichern. Diese Politik erwies sich
als eine lohnende. Der Berliner Kongreß beschenkte die Serben nicht bloß mit
der vollen Unabhängigkeit, sondern belohnte ihr Zurücktreten von ihren Ver¬
pflichtungen gegen die Türkei auch mit einem ansehnlichen Landzuwachs, welcher
der Türkei aus dem Leibe geschnitten wurde. Man sieht, es war keine besonders
rühmliche Haltung, die Serbien zum Wachsen verhalf.

Seit diesem Erwerb hat Fürst Milan Obrenowitsch IV. niemals damit
hinter dem Berge gehalten, daß er entschlossen sei, bei der ersten günstigen Gelegen¬
heit den Königstitel anzunehmen. Die Besuche, die er im vorigen Jahre den
Höfen in Wien, Berlin und Petersburg abstattete, galten diesem Zwecke, obwohl
man es in Abrede stellte. Die französische und die englische Regierung erhoben,
ebenfalls sondirt, wie es scheint, keine Einwendungen gegen den großen Titel
des kleinen Fürsten, und das Glück, welches denselben während seiner inter¬
essanten Laufbahn vielfach begünstigt hatte, schuf ihm in dem benachbarten Ru¬
mänien auch einen Präcedenzfall für die beabsichtigte Selbsterhöhung. Zwar
hatte der Hohenzoller Karl sich im Kriege an die Spitze seines Heeres gestellt,
auf dem Blutfelde vor Plewna tapfer für seine Sache gekämpft und für die
Königskrone ritterlich sein Leben eingesetzt, und Milan Obrenowitsch hatte nichts
der Art geleistet. Indeß, die Unabhängigkeit Serbiens und Rumäniens war
von Europa anerkannt, und da abstrakt moralische Erwägungen bei der Ent¬
scheidung großer internationaler Fragen nur selten die Entscheidung bestimmen,
so war kaum zu erwarten, daß die Großmächte, als die Königsfrage in Belgrad
und Bukarest auftauchte, einen Unterschied zwischen den beiden Kandidaten machen
und dem einen versagen würden, was sie dem andern bereitwillig gewährt hatten.
Während der Reise des Fürsten Milan war es nur zu Andeutungen gekommen,
und so lange Nistitsch, der entschieden russisch gesinnte Politiker, in Belgrad
am Ruder stand, mußten Österreich-Ungarn und Deutschland Bedenken tragen,
den Wünschen der serbischen Regierung zu willfahren. Als aber Pirotschanatz
Ministerpräsident wurde, geriet die Angelegenheit besser in Zug. Im Herbste
des vorigen Jahres eröffnete derselbe zunächst vertrauliche Unterhandlungen in
Wien und Berlin. Die deutsche Regierung machte ihr Verhalten von demjenigen
Österreich-Ungarns abhängig. Im Namen des letztren erklärte Kalnvcky, nach¬
dem er die Überzeugung gewonnen, daß Serbien sich von der bisher verfolgten


Lin neues Königreich,

Verhalten, Verzeihung zu gewähren, Trotz seiner tiefen Demütigung aber konnte
er, so muß man schließen, nicht vergessen, daß sein russischer Feldherr Tschernajeff
ihn während des Krieges, und zwar in sehr dunkler Stunde, vierzehn Tage nach
der ersten großen Niederlage der serbisch-russischen Armee bei Alexinatz als Milan I.
zum König von Serbien hatte ausrufen lassen. Als der Kampf zwischen Ru߬
land und der Pforte ausbrach, hielt sich Serbien behutsam von demselben fern,
bis es nach dem Falle Plewnas, als alle Gefahr vorüber zu sein schien, sich den
siegreich gebliebenen Bedrängern des Padischa resolut anschloß und sich aufmachte,
sich ein gutes Stück von der Länderbeute zu sichern. Diese Politik erwies sich
als eine lohnende. Der Berliner Kongreß beschenkte die Serben nicht bloß mit
der vollen Unabhängigkeit, sondern belohnte ihr Zurücktreten von ihren Ver¬
pflichtungen gegen die Türkei auch mit einem ansehnlichen Landzuwachs, welcher
der Türkei aus dem Leibe geschnitten wurde. Man sieht, es war keine besonders
rühmliche Haltung, die Serbien zum Wachsen verhalf.

Seit diesem Erwerb hat Fürst Milan Obrenowitsch IV. niemals damit
hinter dem Berge gehalten, daß er entschlossen sei, bei der ersten günstigen Gelegen¬
heit den Königstitel anzunehmen. Die Besuche, die er im vorigen Jahre den
Höfen in Wien, Berlin und Petersburg abstattete, galten diesem Zwecke, obwohl
man es in Abrede stellte. Die französische und die englische Regierung erhoben,
ebenfalls sondirt, wie es scheint, keine Einwendungen gegen den großen Titel
des kleinen Fürsten, und das Glück, welches denselben während seiner inter¬
essanten Laufbahn vielfach begünstigt hatte, schuf ihm in dem benachbarten Ru¬
mänien auch einen Präcedenzfall für die beabsichtigte Selbsterhöhung. Zwar
hatte der Hohenzoller Karl sich im Kriege an die Spitze seines Heeres gestellt,
auf dem Blutfelde vor Plewna tapfer für seine Sache gekämpft und für die
Königskrone ritterlich sein Leben eingesetzt, und Milan Obrenowitsch hatte nichts
der Art geleistet. Indeß, die Unabhängigkeit Serbiens und Rumäniens war
von Europa anerkannt, und da abstrakt moralische Erwägungen bei der Ent¬
scheidung großer internationaler Fragen nur selten die Entscheidung bestimmen,
so war kaum zu erwarten, daß die Großmächte, als die Königsfrage in Belgrad
und Bukarest auftauchte, einen Unterschied zwischen den beiden Kandidaten machen
und dem einen versagen würden, was sie dem andern bereitwillig gewährt hatten.
Während der Reise des Fürsten Milan war es nur zu Andeutungen gekommen,
und so lange Nistitsch, der entschieden russisch gesinnte Politiker, in Belgrad
am Ruder stand, mußten Österreich-Ungarn und Deutschland Bedenken tragen,
den Wünschen der serbischen Regierung zu willfahren. Als aber Pirotschanatz
Ministerpräsident wurde, geriet die Angelegenheit besser in Zug. Im Herbste
des vorigen Jahres eröffnete derselbe zunächst vertrauliche Unterhandlungen in
Wien und Berlin. Die deutsche Regierung machte ihr Verhalten von demjenigen
Österreich-Ungarns abhängig. Im Namen des letztren erklärte Kalnvcky, nach¬
dem er die Überzeugung gewonnen, daß Serbien sich von der bisher verfolgten


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[0586] Lin neues Königreich, Verhalten, Verzeihung zu gewähren, Trotz seiner tiefen Demütigung aber konnte er, so muß man schließen, nicht vergessen, daß sein russischer Feldherr Tschernajeff ihn während des Krieges, und zwar in sehr dunkler Stunde, vierzehn Tage nach der ersten großen Niederlage der serbisch-russischen Armee bei Alexinatz als Milan I. zum König von Serbien hatte ausrufen lassen. Als der Kampf zwischen Ru߬ land und der Pforte ausbrach, hielt sich Serbien behutsam von demselben fern, bis es nach dem Falle Plewnas, als alle Gefahr vorüber zu sein schien, sich den siegreich gebliebenen Bedrängern des Padischa resolut anschloß und sich aufmachte, sich ein gutes Stück von der Länderbeute zu sichern. Diese Politik erwies sich als eine lohnende. Der Berliner Kongreß beschenkte die Serben nicht bloß mit der vollen Unabhängigkeit, sondern belohnte ihr Zurücktreten von ihren Ver¬ pflichtungen gegen die Türkei auch mit einem ansehnlichen Landzuwachs, welcher der Türkei aus dem Leibe geschnitten wurde. Man sieht, es war keine besonders rühmliche Haltung, die Serbien zum Wachsen verhalf. Seit diesem Erwerb hat Fürst Milan Obrenowitsch IV. niemals damit hinter dem Berge gehalten, daß er entschlossen sei, bei der ersten günstigen Gelegen¬ heit den Königstitel anzunehmen. Die Besuche, die er im vorigen Jahre den Höfen in Wien, Berlin und Petersburg abstattete, galten diesem Zwecke, obwohl man es in Abrede stellte. Die französische und die englische Regierung erhoben, ebenfalls sondirt, wie es scheint, keine Einwendungen gegen den großen Titel des kleinen Fürsten, und das Glück, welches denselben während seiner inter¬ essanten Laufbahn vielfach begünstigt hatte, schuf ihm in dem benachbarten Ru¬ mänien auch einen Präcedenzfall für die beabsichtigte Selbsterhöhung. Zwar hatte der Hohenzoller Karl sich im Kriege an die Spitze seines Heeres gestellt, auf dem Blutfelde vor Plewna tapfer für seine Sache gekämpft und für die Königskrone ritterlich sein Leben eingesetzt, und Milan Obrenowitsch hatte nichts der Art geleistet. Indeß, die Unabhängigkeit Serbiens und Rumäniens war von Europa anerkannt, und da abstrakt moralische Erwägungen bei der Ent¬ scheidung großer internationaler Fragen nur selten die Entscheidung bestimmen, so war kaum zu erwarten, daß die Großmächte, als die Königsfrage in Belgrad und Bukarest auftauchte, einen Unterschied zwischen den beiden Kandidaten machen und dem einen versagen würden, was sie dem andern bereitwillig gewährt hatten. Während der Reise des Fürsten Milan war es nur zu Andeutungen gekommen, und so lange Nistitsch, der entschieden russisch gesinnte Politiker, in Belgrad am Ruder stand, mußten Österreich-Ungarn und Deutschland Bedenken tragen, den Wünschen der serbischen Regierung zu willfahren. Als aber Pirotschanatz Ministerpräsident wurde, geriet die Angelegenheit besser in Zug. Im Herbste des vorigen Jahres eröffnete derselbe zunächst vertrauliche Unterhandlungen in Wien und Berlin. Die deutsche Regierung machte ihr Verhalten von demjenigen Österreich-Ungarns abhängig. Im Namen des letztren erklärte Kalnvcky, nach¬ dem er die Überzeugung gewonnen, daß Serbien sich von der bisher verfolgten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/586>, abgerufen am 26.06.2024.