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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Ein neues Königreich.

in 6. März ist zu den Potentaten, die mit "Majestät" zu tituliren
sind, ein neuer hinzugekommen, und es hat sich bestätigt, was wir
vor einigen Monaten voraussagten. Am gedachten Tage trat
Serbien in die Reihe der europäischen Königreiche ein. Die
Operation, welche diese Standeserhöhung bewirkte, war angeblich
Erfüllung eines dringenden Wunsches des serbischen Volkes, "Mein teures Volk,"
sagt die betreffende Proklamation, "mit dem heutigen Tage habe ich nach dein
einhelligen Willen deiner Vertreter, dem Willen, welcher der getreue und lautere
Ausdruck deines Willens, deiner Seele, deiner Gedanken, deiner Bestrebungen ist,
in Serbien das Königtum wiederhergestellt." Auch die Einwilligung der Gro߬
mächte hat nicht gefehlt, denen das neue Königreich nicht bloß seine Unabhängigkeit,
sondern geradezu seine Existenz zu danken hat. Vor etwas mehr als fünf Jahren
sah es recht schlimm damit aus. König Milan, damals nur Hospodar, hatte
auf russische Anstiftung hin den Huldiguugscid gegen seinen Suzerän, den Sultan,
gebrochen und sich in einen Krieg mit der Pforte gewagt, der ihm bei einem
Haar seinen Fürstenstuhl gekostet hätte. Trotzdem daß Rußland ihn reichlich
mit Freiwilligen und Geld unterstützte, ihm auch einen nicht ungeschickten General
lieferte, unterlag er in dem Feldzuge gegen die erprobten Kriegsleute des Halb¬
mondes auf klägliche Weise. Er selbst hatte sich an der Leitung der Operationen
nicht beteiligt, sondern war nach dem bewährten Grundsätze, daß Vorsicht der
bessere Teil der Tapferkeit ist, daheim geblieben, und als sein Heer bei Djunis
zerschmettert worden, beeilte er sich, seinen beleidigten Oberherrn in Stambul
um Gnade zu bitten. Rußland legte bei den andern Mächten so erfolgreich
Fürsprache für ihn ein, daß diese den Sultan bestimmen halfen, ihm auf die
Annahme hin, er bereue seine Unüberlegtheit und werde sich fürderhin klüger


Grmzbotni I. 1832. 73


Ein neues Königreich.

in 6. März ist zu den Potentaten, die mit „Majestät" zu tituliren
sind, ein neuer hinzugekommen, und es hat sich bestätigt, was wir
vor einigen Monaten voraussagten. Am gedachten Tage trat
Serbien in die Reihe der europäischen Königreiche ein. Die
Operation, welche diese Standeserhöhung bewirkte, war angeblich
Erfüllung eines dringenden Wunsches des serbischen Volkes, „Mein teures Volk,"
sagt die betreffende Proklamation, „mit dem heutigen Tage habe ich nach dein
einhelligen Willen deiner Vertreter, dem Willen, welcher der getreue und lautere
Ausdruck deines Willens, deiner Seele, deiner Gedanken, deiner Bestrebungen ist,
in Serbien das Königtum wiederhergestellt." Auch die Einwilligung der Gro߬
mächte hat nicht gefehlt, denen das neue Königreich nicht bloß seine Unabhängigkeit,
sondern geradezu seine Existenz zu danken hat. Vor etwas mehr als fünf Jahren
sah es recht schlimm damit aus. König Milan, damals nur Hospodar, hatte
auf russische Anstiftung hin den Huldiguugscid gegen seinen Suzerän, den Sultan,
gebrochen und sich in einen Krieg mit der Pforte gewagt, der ihm bei einem
Haar seinen Fürstenstuhl gekostet hätte. Trotzdem daß Rußland ihn reichlich
mit Freiwilligen und Geld unterstützte, ihm auch einen nicht ungeschickten General
lieferte, unterlag er in dem Feldzuge gegen die erprobten Kriegsleute des Halb¬
mondes auf klägliche Weise. Er selbst hatte sich an der Leitung der Operationen
nicht beteiligt, sondern war nach dem bewährten Grundsätze, daß Vorsicht der
bessere Teil der Tapferkeit ist, daheim geblieben, und als sein Heer bei Djunis
zerschmettert worden, beeilte er sich, seinen beleidigten Oberherrn in Stambul
um Gnade zu bitten. Rußland legte bei den andern Mächten so erfolgreich
Fürsprache für ihn ein, daß diese den Sultan bestimmen halfen, ihm auf die
Annahme hin, er bereue seine Unüberlegtheit und werde sich fürderhin klüger


Grmzbotni I. 1832. 73
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[0585] [Abbildung] Ein neues Königreich. in 6. März ist zu den Potentaten, die mit „Majestät" zu tituliren sind, ein neuer hinzugekommen, und es hat sich bestätigt, was wir vor einigen Monaten voraussagten. Am gedachten Tage trat Serbien in die Reihe der europäischen Königreiche ein. Die Operation, welche diese Standeserhöhung bewirkte, war angeblich Erfüllung eines dringenden Wunsches des serbischen Volkes, „Mein teures Volk," sagt die betreffende Proklamation, „mit dem heutigen Tage habe ich nach dein einhelligen Willen deiner Vertreter, dem Willen, welcher der getreue und lautere Ausdruck deines Willens, deiner Seele, deiner Gedanken, deiner Bestrebungen ist, in Serbien das Königtum wiederhergestellt." Auch die Einwilligung der Gro߬ mächte hat nicht gefehlt, denen das neue Königreich nicht bloß seine Unabhängigkeit, sondern geradezu seine Existenz zu danken hat. Vor etwas mehr als fünf Jahren sah es recht schlimm damit aus. König Milan, damals nur Hospodar, hatte auf russische Anstiftung hin den Huldiguugscid gegen seinen Suzerän, den Sultan, gebrochen und sich in einen Krieg mit der Pforte gewagt, der ihm bei einem Haar seinen Fürstenstuhl gekostet hätte. Trotzdem daß Rußland ihn reichlich mit Freiwilligen und Geld unterstützte, ihm auch einen nicht ungeschickten General lieferte, unterlag er in dem Feldzuge gegen die erprobten Kriegsleute des Halb¬ mondes auf klägliche Weise. Er selbst hatte sich an der Leitung der Operationen nicht beteiligt, sondern war nach dem bewährten Grundsätze, daß Vorsicht der bessere Teil der Tapferkeit ist, daheim geblieben, und als sein Heer bei Djunis zerschmettert worden, beeilte er sich, seinen beleidigten Oberherrn in Stambul um Gnade zu bitten. Rußland legte bei den andern Mächten so erfolgreich Fürsprache für ihn ein, daß diese den Sultan bestimmen halfen, ihm auf die Annahme hin, er bereue seine Unüberlegtheit und werde sich fürderhin klüger Grmzbotni I. 1832. 73

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/585>, abgerufen am 26.06.2024.