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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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BakchiM und Thyrsosträgor.

unaufhörliche Traurigkeit, Müßte ich deinen Anblick ganz entbehren, so würde
mir dadurch auch der Trost der Freundschaft genommen; und ich würde ganz
trostlos sein, wenn uur die kalte Pflicht, nur die eisige Erfüllung meiner Schuldigkeit
mein Leben auszufüllen bestimmt wäre, Denn würde ich in Wirklichkeit Gefahr
laufen, der Eintönigkeit meiner einsamen Lage zum Opfer zu fallen und mit
solcher Sehnsucht an dich zu denken, daß auch das schlimmste möglich würde.
Da siehst du, mein lieber Freund, den harten Kampf, den wir zu führen haben
werden. Es find keine Heldenthaten, welche das Schicksal von uus verlangt,
sondern ein Widerstand gegen unablässige Pein, und der ist, glaube ich, noch
schwerer.

Der Graf von Fallenfels fühlte wohl den Irrtum solcher Schlüsse, und
er täuschte sich auch darüber nicht, daß für ihn die größte Qual darin liegen
müsse, die Geliebte als Freundin sehen zu sollen, während ein Andrer die Rechte
genösse, welche sein Glück ausgemacht habe" würden. Aber er ließ sich von der
schwachen Logik Hyazinthens gern verlocken, weil auch ihm der Gedanke, sie gar
nicht mehr sehen zu dürfen, schrecklich war.

Meine teure Geliebte, entgegnete er, ich gehorche dir. Würde ich doch
eher mich selbst vergessen, als vergessen, dir zu folgen, durch die ich, bei Gott,
ganz allein existire. Es ist bei mir fast wie ein Instinkt geworden, unser beider¬
seitiges Dasein immer an die Orte zu verpflanzen, die mir schön vorkommen,
und ich kauu mich in Gedanken gar nicht von dir trennen. Ich lebe viel mehr
in deiner Wohnung hier als in meiner eigenen, und gestern Morgen habe ich
wahrhaftig mitten in der Schwadron dir gegenüber auf dem kleinen gestickten
Puff gesessen und war plötzlich ganz erstaunt, als ich das Wiehern meines Gaules
hörte. Wenn ich melancholisch bin, so flüchtet sich mein innerer Mensch hierher
zu dir, um Trost zu suchen, und wenn ich mich nmüsire, so denke ich nur daran,
welchen Eindruck du dabei haben würdest. Ich kann keinen Schritt thun, den
wir nicht zusammen machten, ich kann kein Pferd reiten, ohne dich an meiner
Seite zu sehen. Was könnte es mir helfen, von dir fort z" bleiben!

Ja, lieber Viktor, sagte sie wieder, es ist schwer. Ich habe das alles nur
zu deutlich vorausgesehen, aber ich habe eS nicht ändern können. Die Zeit des
Glücks ist vorübergegangen, und es scheint nur, als sei sie mit der Schnelligkeit
des Blitzes dahingeflogen. Nun beginnt die böse Zeit, und wann sie enden wird,
das weiß nur Gott. Es ist so vieles, was mich unruhig macht und entmutigt,
eine tötliche Apathie bemächtigt sich mehr und mehr meiner Seele. Nicht daß
ich gerade noch neue große Übel mir drohen sähe, aber ich hatte doch bis jetzt
noch eine gewisse Hoffnung gepflegt, und nun sehe ich sie von Tag zu Tag
verdorren. Was hilft es, die Blätter zu besprengen, wenn der Pflanze die
Wurzeln durchschnitten sind! Der Druck der Entfremdung von dir lastet schwer
auf mir. Ich fühle, ich kann nicht ohne dich leben, und das ist es gerade, was
mich am meisten erschreckt. Wenn ich wenigstens noch seufzen oder mein Herz


BakchiM und Thyrsosträgor.

unaufhörliche Traurigkeit, Müßte ich deinen Anblick ganz entbehren, so würde
mir dadurch auch der Trost der Freundschaft genommen; und ich würde ganz
trostlos sein, wenn uur die kalte Pflicht, nur die eisige Erfüllung meiner Schuldigkeit
mein Leben auszufüllen bestimmt wäre, Denn würde ich in Wirklichkeit Gefahr
laufen, der Eintönigkeit meiner einsamen Lage zum Opfer zu fallen und mit
solcher Sehnsucht an dich zu denken, daß auch das schlimmste möglich würde.
Da siehst du, mein lieber Freund, den harten Kampf, den wir zu führen haben
werden. Es find keine Heldenthaten, welche das Schicksal von uus verlangt,
sondern ein Widerstand gegen unablässige Pein, und der ist, glaube ich, noch
schwerer.

Der Graf von Fallenfels fühlte wohl den Irrtum solcher Schlüsse, und
er täuschte sich auch darüber nicht, daß für ihn die größte Qual darin liegen
müsse, die Geliebte als Freundin sehen zu sollen, während ein Andrer die Rechte
genösse, welche sein Glück ausgemacht habe» würden. Aber er ließ sich von der
schwachen Logik Hyazinthens gern verlocken, weil auch ihm der Gedanke, sie gar
nicht mehr sehen zu dürfen, schrecklich war.

Meine teure Geliebte, entgegnete er, ich gehorche dir. Würde ich doch
eher mich selbst vergessen, als vergessen, dir zu folgen, durch die ich, bei Gott,
ganz allein existire. Es ist bei mir fast wie ein Instinkt geworden, unser beider¬
seitiges Dasein immer an die Orte zu verpflanzen, die mir schön vorkommen,
und ich kauu mich in Gedanken gar nicht von dir trennen. Ich lebe viel mehr
in deiner Wohnung hier als in meiner eigenen, und gestern Morgen habe ich
wahrhaftig mitten in der Schwadron dir gegenüber auf dem kleinen gestickten
Puff gesessen und war plötzlich ganz erstaunt, als ich das Wiehern meines Gaules
hörte. Wenn ich melancholisch bin, so flüchtet sich mein innerer Mensch hierher
zu dir, um Trost zu suchen, und wenn ich mich nmüsire, so denke ich nur daran,
welchen Eindruck du dabei haben würdest. Ich kann keinen Schritt thun, den
wir nicht zusammen machten, ich kann kein Pferd reiten, ohne dich an meiner
Seite zu sehen. Was könnte es mir helfen, von dir fort z» bleiben!

Ja, lieber Viktor, sagte sie wieder, es ist schwer. Ich habe das alles nur
zu deutlich vorausgesehen, aber ich habe eS nicht ändern können. Die Zeit des
Glücks ist vorübergegangen, und es scheint nur, als sei sie mit der Schnelligkeit
des Blitzes dahingeflogen. Nun beginnt die böse Zeit, und wann sie enden wird,
das weiß nur Gott. Es ist so vieles, was mich unruhig macht und entmutigt,
eine tötliche Apathie bemächtigt sich mehr und mehr meiner Seele. Nicht daß
ich gerade noch neue große Übel mir drohen sähe, aber ich hatte doch bis jetzt
noch eine gewisse Hoffnung gepflegt, und nun sehe ich sie von Tag zu Tag
verdorren. Was hilft es, die Blätter zu besprengen, wenn der Pflanze die
Wurzeln durchschnitten sind! Der Druck der Entfremdung von dir lastet schwer
auf mir. Ich fühle, ich kann nicht ohne dich leben, und das ist es gerade, was
mich am meisten erschreckt. Wenn ich wenigstens noch seufzen oder mein Herz


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[0581] BakchiM und Thyrsosträgor. unaufhörliche Traurigkeit, Müßte ich deinen Anblick ganz entbehren, so würde mir dadurch auch der Trost der Freundschaft genommen; und ich würde ganz trostlos sein, wenn uur die kalte Pflicht, nur die eisige Erfüllung meiner Schuldigkeit mein Leben auszufüllen bestimmt wäre, Denn würde ich in Wirklichkeit Gefahr laufen, der Eintönigkeit meiner einsamen Lage zum Opfer zu fallen und mit solcher Sehnsucht an dich zu denken, daß auch das schlimmste möglich würde. Da siehst du, mein lieber Freund, den harten Kampf, den wir zu führen haben werden. Es find keine Heldenthaten, welche das Schicksal von uus verlangt, sondern ein Widerstand gegen unablässige Pein, und der ist, glaube ich, noch schwerer. Der Graf von Fallenfels fühlte wohl den Irrtum solcher Schlüsse, und er täuschte sich auch darüber nicht, daß für ihn die größte Qual darin liegen müsse, die Geliebte als Freundin sehen zu sollen, während ein Andrer die Rechte genösse, welche sein Glück ausgemacht habe» würden. Aber er ließ sich von der schwachen Logik Hyazinthens gern verlocken, weil auch ihm der Gedanke, sie gar nicht mehr sehen zu dürfen, schrecklich war. Meine teure Geliebte, entgegnete er, ich gehorche dir. Würde ich doch eher mich selbst vergessen, als vergessen, dir zu folgen, durch die ich, bei Gott, ganz allein existire. Es ist bei mir fast wie ein Instinkt geworden, unser beider¬ seitiges Dasein immer an die Orte zu verpflanzen, die mir schön vorkommen, und ich kauu mich in Gedanken gar nicht von dir trennen. Ich lebe viel mehr in deiner Wohnung hier als in meiner eigenen, und gestern Morgen habe ich wahrhaftig mitten in der Schwadron dir gegenüber auf dem kleinen gestickten Puff gesessen und war plötzlich ganz erstaunt, als ich das Wiehern meines Gaules hörte. Wenn ich melancholisch bin, so flüchtet sich mein innerer Mensch hierher zu dir, um Trost zu suchen, und wenn ich mich nmüsire, so denke ich nur daran, welchen Eindruck du dabei haben würdest. Ich kann keinen Schritt thun, den wir nicht zusammen machten, ich kann kein Pferd reiten, ohne dich an meiner Seite zu sehen. Was könnte es mir helfen, von dir fort z» bleiben! Ja, lieber Viktor, sagte sie wieder, es ist schwer. Ich habe das alles nur zu deutlich vorausgesehen, aber ich habe eS nicht ändern können. Die Zeit des Glücks ist vorübergegangen, und es scheint nur, als sei sie mit der Schnelligkeit des Blitzes dahingeflogen. Nun beginnt die böse Zeit, und wann sie enden wird, das weiß nur Gott. Es ist so vieles, was mich unruhig macht und entmutigt, eine tötliche Apathie bemächtigt sich mehr und mehr meiner Seele. Nicht daß ich gerade noch neue große Übel mir drohen sähe, aber ich hatte doch bis jetzt noch eine gewisse Hoffnung gepflegt, und nun sehe ich sie von Tag zu Tag verdorren. Was hilft es, die Blätter zu besprengen, wenn der Pflanze die Wurzeln durchschnitten sind! Der Druck der Entfremdung von dir lastet schwer auf mir. Ich fühle, ich kann nicht ohne dich leben, und das ist es gerade, was mich am meisten erschreckt. Wenn ich wenigstens noch seufzen oder mein Herz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/581>, abgerufen am 26.06.2024.