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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bcckchen und Thyrsostmger.

hervorgetreten, daß der Graf hierin einen Wink der Vorsehung sah und die
Umstände mit der Gewandtheit des alten Diplomaten benutzte. Und war nicht
wirklich die Vorsehung im Spiele, wen" der Sohn seines größten Hypvtheken-
glänbigers seine Tochter liebte?

Hhazinth ging, wenn auch mit blutendem Herzen, so doch stolzen und ent¬
schlossenen Sinnes auf die Pläne ihres Vaters ein. Auch sie liebte das Schloß
und den ererbten Acker und wollte sich als eine echte .Hüningen erweisen, indem
sie der Familie den Stammsitz rettete,

Thränen freilich hatte es gekostet, und so auch heute. Es waren zwischen
ihr und dem Grafen von Falkenfels die ergreifend tönenden Saiten der Erinnerung
an hellere Stunden, an Stunden einer zarten, hohen, reinen Liebe berührt worden,
und ein plötzlicher Sturm der Leidenschaft hatte gedroht, alle künstlichen Gebäude
des Verstandes hinwegzuwehen.

Aber doch waren sie standhaft geblieben, sie und auch der Gras,

Wir wollen vergesse!?, Viktor, sagte sie ihm.

Es ward ihr schwer, so zu sprechen, doch sie that es. Ihm ward es schwer,
es zu hören, aber er überwand sich und hörte geduldig.

Wir müssen vergessen, Viktor, sagte sie. Es nützt zu nichts, ein trügerisches
Bild sich vorznmalen, das von der Wirklichkeit zerstört werden muß. Wir wollen
uns nie wieder anders ansehen als in geschwisterlicher Weise, das sind wir der
Familie schuldig, uns selber und meinem zukünftigen Gemahl. Er ist ein ehren¬
werter Mensch und ich will meine Pflichten gegen ihn treulich erfüllen. Es hat
nicht sollen sein.

Sie senkte ihr Haupt, und große schwere Thränen rollten in ihren Schoß.
Er biß den Schnurrbart, und seine Stirn war finster wie die Mitternacht. Das
trügerische Bild, das sie sich nicht vvrmalen wollten, ließ nicht ab, ihren Sinn
zu umgaukeln, und je mehr sie sich bemühten, es nicht zu sehen, desto schöner
wurden seine Farben.

Mein Freund, fuhr sie fort, ich sehe uns vor einer großen Schwierigkeit.
Schon hatte ich den Entschluß gefaßt, dir zu sagen, wir wollten uns nicht mehr
sehen, aber, ich weiß nicht, hat mich der Mut verlassen oder ist es wirklich die
Stimme der Vorsicht, welche nur min rät, es nicht zu thun -- ich kann dich
nicht bitten, mich zu meiden. Man sagt, die Abwesenden seien gefährlich. Und
glaube mir, Viktor, wenn jemals die Standhaftigkeit uns verlassen sollte, so wird
es nicht bei einer solchen Gelegenheit sein, welche Mut und Opferfreudigkeit ver¬
langt. Denn bei heftigen Angriffen ist unsre erste Bewegung die des Wider¬
standes, und wir werden solange siegreich sein, wie der Feind uns fühlen läßt,
daß wir der Waffen bedürfen. Aber es ist zur Zeit der süßen Ruhe und des
Gefühls der Sicherheit -- dann müssen wir der Überraschungen gewärtig sein.
Und vor allein ist es die anhaltende Fortdauer, welche das Gewicht des Leidens
unerträglich macht. Meine Seele erträgt leichter den heftigen Schmerz als die


Bcckchen und Thyrsostmger.

hervorgetreten, daß der Graf hierin einen Wink der Vorsehung sah und die
Umstände mit der Gewandtheit des alten Diplomaten benutzte. Und war nicht
wirklich die Vorsehung im Spiele, wen» der Sohn seines größten Hypvtheken-
glänbigers seine Tochter liebte?

Hhazinth ging, wenn auch mit blutendem Herzen, so doch stolzen und ent¬
schlossenen Sinnes auf die Pläne ihres Vaters ein. Auch sie liebte das Schloß
und den ererbten Acker und wollte sich als eine echte .Hüningen erweisen, indem
sie der Familie den Stammsitz rettete,

Thränen freilich hatte es gekostet, und so auch heute. Es waren zwischen
ihr und dem Grafen von Falkenfels die ergreifend tönenden Saiten der Erinnerung
an hellere Stunden, an Stunden einer zarten, hohen, reinen Liebe berührt worden,
und ein plötzlicher Sturm der Leidenschaft hatte gedroht, alle künstlichen Gebäude
des Verstandes hinwegzuwehen.

Aber doch waren sie standhaft geblieben, sie und auch der Gras,

Wir wollen vergesse!?, Viktor, sagte sie ihm.

Es ward ihr schwer, so zu sprechen, doch sie that es. Ihm ward es schwer,
es zu hören, aber er überwand sich und hörte geduldig.

Wir müssen vergessen, Viktor, sagte sie. Es nützt zu nichts, ein trügerisches
Bild sich vorznmalen, das von der Wirklichkeit zerstört werden muß. Wir wollen
uns nie wieder anders ansehen als in geschwisterlicher Weise, das sind wir der
Familie schuldig, uns selber und meinem zukünftigen Gemahl. Er ist ein ehren¬
werter Mensch und ich will meine Pflichten gegen ihn treulich erfüllen. Es hat
nicht sollen sein.

Sie senkte ihr Haupt, und große schwere Thränen rollten in ihren Schoß.
Er biß den Schnurrbart, und seine Stirn war finster wie die Mitternacht. Das
trügerische Bild, das sie sich nicht vvrmalen wollten, ließ nicht ab, ihren Sinn
zu umgaukeln, und je mehr sie sich bemühten, es nicht zu sehen, desto schöner
wurden seine Farben.

Mein Freund, fuhr sie fort, ich sehe uns vor einer großen Schwierigkeit.
Schon hatte ich den Entschluß gefaßt, dir zu sagen, wir wollten uns nicht mehr
sehen, aber, ich weiß nicht, hat mich der Mut verlassen oder ist es wirklich die
Stimme der Vorsicht, welche nur min rät, es nicht zu thun — ich kann dich
nicht bitten, mich zu meiden. Man sagt, die Abwesenden seien gefährlich. Und
glaube mir, Viktor, wenn jemals die Standhaftigkeit uns verlassen sollte, so wird
es nicht bei einer solchen Gelegenheit sein, welche Mut und Opferfreudigkeit ver¬
langt. Denn bei heftigen Angriffen ist unsre erste Bewegung die des Wider¬
standes, und wir werden solange siegreich sein, wie der Feind uns fühlen läßt,
daß wir der Waffen bedürfen. Aber es ist zur Zeit der süßen Ruhe und des
Gefühls der Sicherheit — dann müssen wir der Überraschungen gewärtig sein.
Und vor allein ist es die anhaltende Fortdauer, welche das Gewicht des Leidens
unerträglich macht. Meine Seele erträgt leichter den heftigen Schmerz als die


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[0580] Bcckchen und Thyrsostmger. hervorgetreten, daß der Graf hierin einen Wink der Vorsehung sah und die Umstände mit der Gewandtheit des alten Diplomaten benutzte. Und war nicht wirklich die Vorsehung im Spiele, wen» der Sohn seines größten Hypvtheken- glänbigers seine Tochter liebte? Hhazinth ging, wenn auch mit blutendem Herzen, so doch stolzen und ent¬ schlossenen Sinnes auf die Pläne ihres Vaters ein. Auch sie liebte das Schloß und den ererbten Acker und wollte sich als eine echte .Hüningen erweisen, indem sie der Familie den Stammsitz rettete, Thränen freilich hatte es gekostet, und so auch heute. Es waren zwischen ihr und dem Grafen von Falkenfels die ergreifend tönenden Saiten der Erinnerung an hellere Stunden, an Stunden einer zarten, hohen, reinen Liebe berührt worden, und ein plötzlicher Sturm der Leidenschaft hatte gedroht, alle künstlichen Gebäude des Verstandes hinwegzuwehen. Aber doch waren sie standhaft geblieben, sie und auch der Gras, Wir wollen vergesse!?, Viktor, sagte sie ihm. Es ward ihr schwer, so zu sprechen, doch sie that es. Ihm ward es schwer, es zu hören, aber er überwand sich und hörte geduldig. Wir müssen vergessen, Viktor, sagte sie. Es nützt zu nichts, ein trügerisches Bild sich vorznmalen, das von der Wirklichkeit zerstört werden muß. Wir wollen uns nie wieder anders ansehen als in geschwisterlicher Weise, das sind wir der Familie schuldig, uns selber und meinem zukünftigen Gemahl. Er ist ein ehren¬ werter Mensch und ich will meine Pflichten gegen ihn treulich erfüllen. Es hat nicht sollen sein. Sie senkte ihr Haupt, und große schwere Thränen rollten in ihren Schoß. Er biß den Schnurrbart, und seine Stirn war finster wie die Mitternacht. Das trügerische Bild, das sie sich nicht vvrmalen wollten, ließ nicht ab, ihren Sinn zu umgaukeln, und je mehr sie sich bemühten, es nicht zu sehen, desto schöner wurden seine Farben. Mein Freund, fuhr sie fort, ich sehe uns vor einer großen Schwierigkeit. Schon hatte ich den Entschluß gefaßt, dir zu sagen, wir wollten uns nicht mehr sehen, aber, ich weiß nicht, hat mich der Mut verlassen oder ist es wirklich die Stimme der Vorsicht, welche nur min rät, es nicht zu thun — ich kann dich nicht bitten, mich zu meiden. Man sagt, die Abwesenden seien gefährlich. Und glaube mir, Viktor, wenn jemals die Standhaftigkeit uns verlassen sollte, so wird es nicht bei einer solchen Gelegenheit sein, welche Mut und Opferfreudigkeit ver¬ langt. Denn bei heftigen Angriffen ist unsre erste Bewegung die des Wider¬ standes, und wir werden solange siegreich sein, wie der Feind uns fühlen läßt, daß wir der Waffen bedürfen. Aber es ist zur Zeit der süßen Ruhe und des Gefühls der Sicherheit — dann müssen wir der Überraschungen gewärtig sein. Und vor allein ist es die anhaltende Fortdauer, welche das Gewicht des Leidens unerträglich macht. Meine Seele erträgt leichter den heftigen Schmerz als die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/580>, abgerufen am 26.06.2024.