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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bcckchen und Thyrsosträgor.

Der junge Freiherr ward durch diese Erklärungen nicht sonderlich beruhigt
und erheitert, dazu bemerkte er recht wohl ein aufgeregtes Wesen der Comtesse,
das sich unter ihrer erzwungenen Ruhe nicht ganz verstecken konnte.

Hätte ihm seine Braut ganz genau erzählen wollen, was soeben vorgefallen
war und sie verhindert hatte zur Villa Lovendal zu kommen, so würde er freilich
noch weit mehr beunruhigt worden sein.

Es war in der That richtig, daß der Graf von Hüningen im Begriff ge¬
standen hatte, mit seiner Tochter in den bereit stehenden Wagen zu steigen, aber
nicht mehrere Besuche, sondern mir der Besuch des Grafen von Falkenfels hatte
beide davon zurückgehalten. Der Graf hatte eine geschäftliche Angelegenheit mit
dem Grafen von Hüningen zu besprechen gehabt, war dabei auch mit der Comtesse in
das Gespräch gekommen und hatte es schließlich mit ihr zwei Stunden lang allein
fortgeführt,

Sie konnten beide einander nicht begegnen, ohne daß ein heimliches Zittern
und eine süße Sehnsucht ihre Herzen bewegte, Sie hatten ehedem gedacht, Gatte
und Gattin werden zu können, aber das Schicksal hatte ihre Loose getrennt. In
der Familie Falkenfels wie in der Familie Hüningen hatte die Jahrhunderte
lang dauernde Sitte des Staats- und Kriegsdienstes den ursprünglichen Grund¬
besitz allmählich erschöpft, und es war auch niemals ein besondrer Vermögens-
crwerb dnrch Heirat hinzugekommen. Der Graf von Falkenfcls war eben nicht
ganz arm, sondern hatte noch genug Vermögen, nur mit Anstand fernerhin Offizier
sein zu können, der Graf von Hüningen besaß noch ein großes Gut mit alter¬
tümlichen Schloß, aber er steckte tief in Schulden, Er war aus der Kavallerie
in den diplomatischen Dienst übergetreten und hatte stets mehr die Pflicht der
Repräsentation als seineu Geldbeutel im Ange gehabt. Als Gesandter hatte er
fast das doppelte seiner Einnahme verausgabt, und seine Söhne, drei Kavallerie-
offiziere, hatten mit dem Vater viele Ähnlichkeit,

Der Graf war jetzt alt und nicht mehr im Dienst. Er war Witwer, lebte
mit seiner Tochter allein und pflegte bestimmte Monate in Berlin, den Rest des
Jahres in seinem alten Schlosse zuzubringen.

An diesem Schlosse und dem alten Eichenwalde, den alten Feldern seiner
Väter hing er mit dem größten Stolze, mit zärtlicher Liebe und mit rührender
Pietät, Er konnte bis in das vierzehnte Jahrhundert zurück seinen Stammbaum
verfolgen und nachweisen, daß alle seine Ahnen in diesem Schlosse gewohnt und
ihr Pferd über diese Felder und durch diesen Wald gelenkt hatten.

Diesen Grund und Boden, diese altersgrauen Mauern konnte er unter keinen
Umständen aufgeben, und als er das drohende Gespenst eines von der Not er¬
zwungenen Verkaufs vor Augen sah, zog er das Opfer der Reinheit des Bluts
und das Opfer der Tochter vor.

Auf einem der Feste in der Residenz hatte der junge Freiherr von Lovendal
die schöne Blondine kennen gelernt, und seine Neigung für sie war so deutlich


Bcckchen und Thyrsosträgor.

Der junge Freiherr ward durch diese Erklärungen nicht sonderlich beruhigt
und erheitert, dazu bemerkte er recht wohl ein aufgeregtes Wesen der Comtesse,
das sich unter ihrer erzwungenen Ruhe nicht ganz verstecken konnte.

Hätte ihm seine Braut ganz genau erzählen wollen, was soeben vorgefallen
war und sie verhindert hatte zur Villa Lovendal zu kommen, so würde er freilich
noch weit mehr beunruhigt worden sein.

Es war in der That richtig, daß der Graf von Hüningen im Begriff ge¬
standen hatte, mit seiner Tochter in den bereit stehenden Wagen zu steigen, aber
nicht mehrere Besuche, sondern mir der Besuch des Grafen von Falkenfels hatte
beide davon zurückgehalten. Der Graf hatte eine geschäftliche Angelegenheit mit
dem Grafen von Hüningen zu besprechen gehabt, war dabei auch mit der Comtesse in
das Gespräch gekommen und hatte es schließlich mit ihr zwei Stunden lang allein
fortgeführt,

Sie konnten beide einander nicht begegnen, ohne daß ein heimliches Zittern
und eine süße Sehnsucht ihre Herzen bewegte, Sie hatten ehedem gedacht, Gatte
und Gattin werden zu können, aber das Schicksal hatte ihre Loose getrennt. In
der Familie Falkenfels wie in der Familie Hüningen hatte die Jahrhunderte
lang dauernde Sitte des Staats- und Kriegsdienstes den ursprünglichen Grund¬
besitz allmählich erschöpft, und es war auch niemals ein besondrer Vermögens-
crwerb dnrch Heirat hinzugekommen. Der Graf von Falkenfcls war eben nicht
ganz arm, sondern hatte noch genug Vermögen, nur mit Anstand fernerhin Offizier
sein zu können, der Graf von Hüningen besaß noch ein großes Gut mit alter¬
tümlichen Schloß, aber er steckte tief in Schulden, Er war aus der Kavallerie
in den diplomatischen Dienst übergetreten und hatte stets mehr die Pflicht der
Repräsentation als seineu Geldbeutel im Ange gehabt. Als Gesandter hatte er
fast das doppelte seiner Einnahme verausgabt, und seine Söhne, drei Kavallerie-
offiziere, hatten mit dem Vater viele Ähnlichkeit,

Der Graf war jetzt alt und nicht mehr im Dienst. Er war Witwer, lebte
mit seiner Tochter allein und pflegte bestimmte Monate in Berlin, den Rest des
Jahres in seinem alten Schlosse zuzubringen.

An diesem Schlosse und dem alten Eichenwalde, den alten Feldern seiner
Väter hing er mit dem größten Stolze, mit zärtlicher Liebe und mit rührender
Pietät, Er konnte bis in das vierzehnte Jahrhundert zurück seinen Stammbaum
verfolgen und nachweisen, daß alle seine Ahnen in diesem Schlosse gewohnt und
ihr Pferd über diese Felder und durch diesen Wald gelenkt hatten.

Diesen Grund und Boden, diese altersgrauen Mauern konnte er unter keinen
Umständen aufgeben, und als er das drohende Gespenst eines von der Not er¬
zwungenen Verkaufs vor Augen sah, zog er das Opfer der Reinheit des Bluts
und das Opfer der Tochter vor.

Auf einem der Feste in der Residenz hatte der junge Freiherr von Lovendal
die schöne Blondine kennen gelernt, und seine Neigung für sie war so deutlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/579>, abgerufen am 26.06.2024.