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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Dlwerdy cnncra Zolii.

Dnverdys ausführte, daß kein Mann van Ehre es zugeben könne, daß sein
Name im "Assommvir" zwischen Ländler, Coupccm und Gervaise genannt werde,
so hat er sich ungenau ausgedrückt. Niemand dürfte Widerspruch erheben,
wenn unter seinem Namen jemand jenen Leuten die Sittlichkeit predigte und den Rück¬
weg in die bürgerliche Gesellschaft zeigte. Offenbar ging die Meinung des Ver¬
treters Dnverdys dahin, daß mit dem Namen eines ehrenhaften Mannes nicht ein
Teilnehmer der ekelhaftesten Gemeinheiten bezeichnet werden dürfe. Darin liegt ein
Eingriff in seine Persönlichkeit, eine Mißachtung seiner Persönlichkeit; er ist zwar
keine Beleidigung und keine Verleumdung, aber er ist ärger als ein freches Schimpf¬
wort, und er wiegt fast gleich schwer wie die Verleumdung, wie die Anschuldigung,
daß jene Gemeinheiten von dem wirklichen Namensträger begangen worden seien.

Vor solchen und ähnlichen Eingriffen in die Persönlichkeit ist freilich bei
den Juristen unsrer Tage wenig oder gar nicht die Rede. Anscheinend ein schönes
Zeugnis für den sittlichen Stand unsrer Gesellschaft, weil daraus hervorgeht,
daß solche Eingriffe nicht vorkommen. Aber es ist nicht bloß die Aufgabe der
Rechtswissenschaft, für deu Tag und die augenblicklichen Bedürfnisse des Lebens
zu schaffen. Auch die juristischen Erzeugnisse der Vergangenheit soll sie auf¬
sammeln und verwahren, bis der rechte Augenblick kommt, in welchem der auf¬
gestapelte juristische Schatz seine Verwendung finden kann.

Es ist in neuerer Zeit in der Tagespresse so oft vom römischen Recht
die Rede gewesen, daß ich mich nicht des weitem darüber auszulassen brauche,
daß unter allen Völkern das römische die vollendetste Rechtswissenschaft und
die entwickeltsten Rechtsbegriffe besessen hat. Eben in dem römischen Rechte nun
wird der Begriff der Injurie in einem doppelten Sinne genommen. Einmal in
dem Sinne der heutigen Ehrvcrletzung. Sodann aber in dem Sinne des oben
von mir erörterten Eingriffs in die fremde Persönlichkeit. Eines solchen Ein¬
griffs macht sich z. B. derjenige schuldig, der ein Testament, welches ein Freund
ihm in Verwahrung gegeben hat, in der Absicht, diesen zu verletzen, anderen
vorliest; ferner, wer wider besseres Wissen einen freien Menschen als seinen
Sklaven ausgiebt; ferner, wer einen andern daran hindert, im Meere der Fischerei
nachzugehen oder auf einem öffentlichen Platze sich aufzuhalten, kurz, wer einen
andern an dem Gebrauch der sogenannten gemeinen oder öffentlichen Dinge ver¬
hindert. Vielleicht kann man auch diejenigen Fälle hierher zählen, welche sonst
wohl als Verletzungen der ökonomischen Ehre ausgegeben werden (z. B. wenn
jemand, um den Hauptschuldner zu kränken, dessen Bürgen um Zahlung angeht,
während der Hauptschulducr zur Zahlung bereit ist, oder wenn jemand wider
besseres Wissen jemanden als seinen Schuldner zur Zahlung auffordert); denn
für die sogenannte ökonomische Ehre haben bloß die wirtschaftlich thätigen Klassen
der Bevölkerung Sinn "ud Empfindung.

Hierher gehört mich die Verschuldung Zolas. Er selber hat bekannt, daß
er nicht zufällig seinem Schufte den Namen Dnverdy gegeben; er hat ihn ab-


Dlwerdy cnncra Zolii.

Dnverdys ausführte, daß kein Mann van Ehre es zugeben könne, daß sein
Name im „Assommvir" zwischen Ländler, Coupccm und Gervaise genannt werde,
so hat er sich ungenau ausgedrückt. Niemand dürfte Widerspruch erheben,
wenn unter seinem Namen jemand jenen Leuten die Sittlichkeit predigte und den Rück¬
weg in die bürgerliche Gesellschaft zeigte. Offenbar ging die Meinung des Ver¬
treters Dnverdys dahin, daß mit dem Namen eines ehrenhaften Mannes nicht ein
Teilnehmer der ekelhaftesten Gemeinheiten bezeichnet werden dürfe. Darin liegt ein
Eingriff in seine Persönlichkeit, eine Mißachtung seiner Persönlichkeit; er ist zwar
keine Beleidigung und keine Verleumdung, aber er ist ärger als ein freches Schimpf¬
wort, und er wiegt fast gleich schwer wie die Verleumdung, wie die Anschuldigung,
daß jene Gemeinheiten von dem wirklichen Namensträger begangen worden seien.

Vor solchen und ähnlichen Eingriffen in die Persönlichkeit ist freilich bei
den Juristen unsrer Tage wenig oder gar nicht die Rede. Anscheinend ein schönes
Zeugnis für den sittlichen Stand unsrer Gesellschaft, weil daraus hervorgeht,
daß solche Eingriffe nicht vorkommen. Aber es ist nicht bloß die Aufgabe der
Rechtswissenschaft, für deu Tag und die augenblicklichen Bedürfnisse des Lebens
zu schaffen. Auch die juristischen Erzeugnisse der Vergangenheit soll sie auf¬
sammeln und verwahren, bis der rechte Augenblick kommt, in welchem der auf¬
gestapelte juristische Schatz seine Verwendung finden kann.

Es ist in neuerer Zeit in der Tagespresse so oft vom römischen Recht
die Rede gewesen, daß ich mich nicht des weitem darüber auszulassen brauche,
daß unter allen Völkern das römische die vollendetste Rechtswissenschaft und
die entwickeltsten Rechtsbegriffe besessen hat. Eben in dem römischen Rechte nun
wird der Begriff der Injurie in einem doppelten Sinne genommen. Einmal in
dem Sinne der heutigen Ehrvcrletzung. Sodann aber in dem Sinne des oben
von mir erörterten Eingriffs in die fremde Persönlichkeit. Eines solchen Ein¬
griffs macht sich z. B. derjenige schuldig, der ein Testament, welches ein Freund
ihm in Verwahrung gegeben hat, in der Absicht, diesen zu verletzen, anderen
vorliest; ferner, wer wider besseres Wissen einen freien Menschen als seinen
Sklaven ausgiebt; ferner, wer einen andern daran hindert, im Meere der Fischerei
nachzugehen oder auf einem öffentlichen Platze sich aufzuhalten, kurz, wer einen
andern an dem Gebrauch der sogenannten gemeinen oder öffentlichen Dinge ver¬
hindert. Vielleicht kann man auch diejenigen Fälle hierher zählen, welche sonst
wohl als Verletzungen der ökonomischen Ehre ausgegeben werden (z. B. wenn
jemand, um den Hauptschuldner zu kränken, dessen Bürgen um Zahlung angeht,
während der Hauptschulducr zur Zahlung bereit ist, oder wenn jemand wider
besseres Wissen jemanden als seinen Schuldner zur Zahlung auffordert); denn
für die sogenannte ökonomische Ehre haben bloß die wirtschaftlich thätigen Klassen
der Bevölkerung Sinn »ud Empfindung.

Hierher gehört mich die Verschuldung Zolas. Er selber hat bekannt, daß
er nicht zufällig seinem Schufte den Namen Dnverdy gegeben; er hat ihn ab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/570>, abgerufen am 26.06.2024.