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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

Phrasentum ist mir viel zu erbärmlich, als daß ich mit ihm gemeinsam irgend
etwas unternehmen möchte.

Das ist wieder einmal der ganze Stubengelehrte und Bücherwurm, der alles
außer seinem Fvliantenstaub verachtet! rief Clara mit bitterm Lachen. Wie
kannst du so hochmütig sein! Was verlachst du Männer, die erreicht haben,
was du niemals erreichen wirst! Als deine Schwester Rachel sich mit Balduin
verlobte, war er so unbedeutend wie du, ein einfacher Referendar. Und, wie
du sagst, jetzt ist er Reichstags-Abgeordneter und Präsident eines Aufsichtsrats,
du bist noch immer, was du damals warst, du beschäftigst dich mit Philo¬
sophie und sogar mit Phrenologie.

Sogar mit Phrenologie? Was willst du damit sagen?

Damit will ich sagen, daß du nichts erreichen wirst. Die Phrenologie
wird niemals etwas machen.

Mich däucht doch, liebe Clara, du selbst hättest mir des öftern gesagt, daß
du von der Wahrheit der Phrenologie überzeugt wärest, weil du die Erfahrung
gemacht hättest, daß bei allen deinen Bekannten die Beobachtungen zuträfen, die
du an ihren Köpfen gemacht hättest.

Frau Clara warf ihm einen mitleidigen Blick zu.

Aber liebster Ephraim, sagte sie, das ist ja eben der Grund, warum die
Leute nichts davon wissen wollen. Schon die Philosophie ist unpopulär, die
Phrenologie aber ist es noch viel mehr. Und auf diese beiden Fächer mußtest
du dich gerade werfen! Glaubst du denn, es sei angenehm für die Menschen,
daß es eine Wissenschaft gibt, mittels deren man ihnen ihre Charaktere von
außen ablesen kann, während sie ihr ganzes Leben lang sich bemühen, für tugend¬
haft und edel zu gelten?

Du bist aber eine entsetzliche Pcssimistin, Clara, während du noch vorhin
so optimistische Ansichten äußertest und meintest, es würde in der Welt alles
nach seinem Werte gewürdigt. Nein, ich denke höher von den Menschen. Wenn
auch die große Menge nichts von dieser wichtigen Sache wissen will, so werden
sich doch unter den Aerzten und Naturforschern Männer finden, die ihre Be¬
deutung einsehen. Laß mich nur erst mein Werk fertig haben, worin ich ihnen
beweise, daß alle ihre Gehirn- und Gcistesstudien ohne Erfolg bleiben müssen,
so lange sie nur ein einziges Gehirn kennen anstatt die Gehirne in ihrer Ver¬
schiedenheit zu beobachten.

Frau Clara schüttelte den Kopf. Dies unglückselige Werk! sagte sie. Es
wird dir den letzten Rest von Achtung unter den Gelehrten rauben. Daß du
die Welt theoretisch so gut und praktisch so gar nicht kennst! Ich sehe dich
noch in deiner Unterhaltung mit dem Ministeriell-Direktor des Cultus-Mini¬
steriums, von dein ich wußte, daß er dir eine Professur anbieten wollte; da
wußtest du Unglücksmensch auf die Phrenologie kommen und sagen, ein starker
Hinterkopf deute ans Stärke der tierischen Triebe. Der Mann hatte selbst den


Grenzboten I. 1382. 7
Bakchen und Thyrsosträger.

Phrasentum ist mir viel zu erbärmlich, als daß ich mit ihm gemeinsam irgend
etwas unternehmen möchte.

Das ist wieder einmal der ganze Stubengelehrte und Bücherwurm, der alles
außer seinem Fvliantenstaub verachtet! rief Clara mit bitterm Lachen. Wie
kannst du so hochmütig sein! Was verlachst du Männer, die erreicht haben,
was du niemals erreichen wirst! Als deine Schwester Rachel sich mit Balduin
verlobte, war er so unbedeutend wie du, ein einfacher Referendar. Und, wie
du sagst, jetzt ist er Reichstags-Abgeordneter und Präsident eines Aufsichtsrats,
du bist noch immer, was du damals warst, du beschäftigst dich mit Philo¬
sophie und sogar mit Phrenologie.

Sogar mit Phrenologie? Was willst du damit sagen?

Damit will ich sagen, daß du nichts erreichen wirst. Die Phrenologie
wird niemals etwas machen.

Mich däucht doch, liebe Clara, du selbst hättest mir des öftern gesagt, daß
du von der Wahrheit der Phrenologie überzeugt wärest, weil du die Erfahrung
gemacht hättest, daß bei allen deinen Bekannten die Beobachtungen zuträfen, die
du an ihren Köpfen gemacht hättest.

Frau Clara warf ihm einen mitleidigen Blick zu.

Aber liebster Ephraim, sagte sie, das ist ja eben der Grund, warum die
Leute nichts davon wissen wollen. Schon die Philosophie ist unpopulär, die
Phrenologie aber ist es noch viel mehr. Und auf diese beiden Fächer mußtest
du dich gerade werfen! Glaubst du denn, es sei angenehm für die Menschen,
daß es eine Wissenschaft gibt, mittels deren man ihnen ihre Charaktere von
außen ablesen kann, während sie ihr ganzes Leben lang sich bemühen, für tugend¬
haft und edel zu gelten?

Du bist aber eine entsetzliche Pcssimistin, Clara, während du noch vorhin
so optimistische Ansichten äußertest und meintest, es würde in der Welt alles
nach seinem Werte gewürdigt. Nein, ich denke höher von den Menschen. Wenn
auch die große Menge nichts von dieser wichtigen Sache wissen will, so werden
sich doch unter den Aerzten und Naturforschern Männer finden, die ihre Be¬
deutung einsehen. Laß mich nur erst mein Werk fertig haben, worin ich ihnen
beweise, daß alle ihre Gehirn- und Gcistesstudien ohne Erfolg bleiben müssen,
so lange sie nur ein einziges Gehirn kennen anstatt die Gehirne in ihrer Ver¬
schiedenheit zu beobachten.

Frau Clara schüttelte den Kopf. Dies unglückselige Werk! sagte sie. Es
wird dir den letzten Rest von Achtung unter den Gelehrten rauben. Daß du
die Welt theoretisch so gut und praktisch so gar nicht kennst! Ich sehe dich
noch in deiner Unterhaltung mit dem Ministeriell-Direktor des Cultus-Mini¬
steriums, von dein ich wußte, daß er dir eine Professur anbieten wollte; da
wußtest du Unglücksmensch auf die Phrenologie kommen und sagen, ein starker
Hinterkopf deute ans Stärke der tierischen Triebe. Der Mann hatte selbst den


Grenzboten I. 1382. 7
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/57>, abgerufen am 01.07.2024.