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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

dicksten Hinterkopf, den ich je gesehen habe. Du aber dachtest natürlich gar nicht
daran.

Der Alte lachte.

Und du bildest dir ein, fuhr Frau Clara fort, die Aerzte und Natur¬
forscher werden sich freuen, wenn du ihnen nachweisest, daß sie in ihren wichtigsten
Untersuchungen auf dem falschen Wege sind? Hast du denn nur gar nichts
gelernt aus dem Streite, den Scheve mit den Männern der Wissenschaft hatte?
Scheve war viel praktischer als du, und auch er hat nichts erreicht als Hohn.
Ich bitte dich flehentlich, Ephraim, laß ab von deinem Suchen nach der Wahrheit!
Es macht uns alle unglücklich. Sieh Irrwischs an. Deine Schwester lebt in
den glänzendsten Verhältnissen, sie hat einen der gesuchtesten Salons der Stadt,
für sie und ihre Kinder gibt es nichts unerreichbares von allem Schönen, was
die Welt bietet.

Das ist ja eine glückliche Familie.

Du meinst das ironisch, aber ich finde, daß es in der That so ist. Irrwischs
sind glücklich. Sie sind ganz andre Leute als wir.

Wenn Sie nur andre Schädel hätten! sagte der alte Gelehrte nach¬
denklich.

Ach, bah! rief Clara, Unsinn! Bei so viel Geld kommts ans den Schädel
nicht mehr an. Und, offen gestanden, ich finde es nicht hübsch von dir, daß
du immer etwas auf sie bringen willst. Und überhaupt finde ich es lächerlich,
wenn jemand aus einer dunkeln Ecke heraus wie eine Eule die Welt verachtet.
Ich verachte sie nicht. Mir ist es nicht gegeben. Ich gestehe, daß ich gern
vornehm und reich wäre. Ich bin auch der Meinung, daß deine Philosophie
im Grunde nur ein armseliges Trvstmittclchen ist, gut für Leute, die es zu nichts
gebracht haben, aber verächtlich für einen energischen Geist.

Aber uun, sagte der Gelehrte, sich erhebend, ist es doch wohl Zeit, spazieren
zu gehen. Die schöne Zeit verrinnt, schon sinkt die Sonne.

Willst du mich denn wahnsinnig machen? rief sie. Das ist so deine Manier!
Erst bringst du mich in die höchste Aufregung, und dann gehst du fort, und
ich muß alles in mir selber auskochen! So erwiedere doch nur etwas, so widerleg
mich doch nur, wenn ich Unrecht habe! Schlage mich, wenn du willst, tritt
mich mit Füßen, nur geh nicht fort, es macht mich rasend!

Aber der Alte hatte schon den breitkrämpigen Strohhut auf seinen kahlen
Schädel gestülpt, das Zimmer verlassen, und bald darauf sah sie, an das Fenster
stürzend, seine große eckige Gestalt schweren Schrittes in der Straße gehen.

Sie ergriff ein Glas voll Wasser, das ihr zur Hand stand und goß ihm
den Inhalt von oben über den Kopf.

Antworte! rief sie kreischend hinab.

Der Alte schüttelte sich und schwenkte seinen nassen Hut. Meine Clara ist
hente nicht bei Laune, murmelte er, und schritt gelassen weiter.


Bakchen und Thyrsosträger.

dicksten Hinterkopf, den ich je gesehen habe. Du aber dachtest natürlich gar nicht
daran.

Der Alte lachte.

Und du bildest dir ein, fuhr Frau Clara fort, die Aerzte und Natur¬
forscher werden sich freuen, wenn du ihnen nachweisest, daß sie in ihren wichtigsten
Untersuchungen auf dem falschen Wege sind? Hast du denn nur gar nichts
gelernt aus dem Streite, den Scheve mit den Männern der Wissenschaft hatte?
Scheve war viel praktischer als du, und auch er hat nichts erreicht als Hohn.
Ich bitte dich flehentlich, Ephraim, laß ab von deinem Suchen nach der Wahrheit!
Es macht uns alle unglücklich. Sieh Irrwischs an. Deine Schwester lebt in
den glänzendsten Verhältnissen, sie hat einen der gesuchtesten Salons der Stadt,
für sie und ihre Kinder gibt es nichts unerreichbares von allem Schönen, was
die Welt bietet.

Das ist ja eine glückliche Familie.

Du meinst das ironisch, aber ich finde, daß es in der That so ist. Irrwischs
sind glücklich. Sie sind ganz andre Leute als wir.

Wenn Sie nur andre Schädel hätten! sagte der alte Gelehrte nach¬
denklich.

Ach, bah! rief Clara, Unsinn! Bei so viel Geld kommts ans den Schädel
nicht mehr an. Und, offen gestanden, ich finde es nicht hübsch von dir, daß
du immer etwas auf sie bringen willst. Und überhaupt finde ich es lächerlich,
wenn jemand aus einer dunkeln Ecke heraus wie eine Eule die Welt verachtet.
Ich verachte sie nicht. Mir ist es nicht gegeben. Ich gestehe, daß ich gern
vornehm und reich wäre. Ich bin auch der Meinung, daß deine Philosophie
im Grunde nur ein armseliges Trvstmittclchen ist, gut für Leute, die es zu nichts
gebracht haben, aber verächtlich für einen energischen Geist.

Aber uun, sagte der Gelehrte, sich erhebend, ist es doch wohl Zeit, spazieren
zu gehen. Die schöne Zeit verrinnt, schon sinkt die Sonne.

Willst du mich denn wahnsinnig machen? rief sie. Das ist so deine Manier!
Erst bringst du mich in die höchste Aufregung, und dann gehst du fort, und
ich muß alles in mir selber auskochen! So erwiedere doch nur etwas, so widerleg
mich doch nur, wenn ich Unrecht habe! Schlage mich, wenn du willst, tritt
mich mit Füßen, nur geh nicht fort, es macht mich rasend!

Aber der Alte hatte schon den breitkrämpigen Strohhut auf seinen kahlen
Schädel gestülpt, das Zimmer verlassen, und bald darauf sah sie, an das Fenster
stürzend, seine große eckige Gestalt schweren Schrittes in der Straße gehen.

Sie ergriff ein Glas voll Wasser, das ihr zur Hand stand und goß ihm
den Inhalt von oben über den Kopf.

Antworte! rief sie kreischend hinab.

Der Alte schüttelte sich und schwenkte seinen nassen Hut. Meine Clara ist
hente nicht bei Laune, murmelte er, und schritt gelassen weiter.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/58>, abgerufen am 01.07.2024.