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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Duverdv contra Avia.

Zola aber ist weit entfernt, sich zu entschuldigen; ein realistischer Romanschrift¬
steller, meint er, darf nicht eine Person mit dem ersten besten Namen taufen,
sondern der Name muß für die Person bezeichnend, also dem Berufskreise der¬
selben entnommen sein; ein realistischer Romanschriftsteller hat das Recht, irgend
einen Namen, auch den ehrenwertesten, ganz nach seinen Zwecken zu verarbeiten,
nötigenfalls ihn zu besudeln. Ob Zola immer nach diesem Grundsatze verfährt,
wagen wir im Hinblick auf seinen Schottischen Prinzen und seine Nana zu be¬
zweifeln. Aber lassen wir seine Aufrichtigkeit oder Unaufrichtigkeit dahingestellt:
im vorliegenden Falle hat er zu diesem Rezept gegriffen. Er brauchte einen
Namen für den Rat an einem Pariser Gerichtshof, welchen er als einen abge¬
feimten Schuft darstellt; er schlug das Pariser Adreßbuch auf, entnahm ihm den
Namen eines in Paris stadtbekannten Advokaten und übertrug diesen ans jenen
Rat. Um noch realistischer zu sein, verlegte er die Wohnung des Rats in die¬
selbe Straße, in welcher der Advokat früher wohnte, und in deren unmittel¬
barer Nähe er noch jetzt wohnt. Wer nicht das Glück hat, den Advokaten
persönlich zu kennen, zweifelt nicht daran, daß jeuer zu dem Bilde gesessen hat,
welches Zola von dem Rate entwirft. Wer seinen Charakter kennt, schlägt die
Hände über-dem Kopfe zusammen und fragt, wie es möglich sei, daß ein
Romanschriftsteller, also ein Poet, ein Künstler, von den Grundsätzen seiner
Kunst ans zu einem solchen Mißgriff gelangen, mit den Grundsätzen seiner Kunst
einen solchen Mißbrauch rechtfertigen konnte. Oder soll es keine Grenze für die
literarischen Rücksichtslosigkeiten geben? Ich erinnere mich einer Stelle aus
Goethes "Dichtung und Wahrheit/' in welcher der Olympier seine Donnerkeile
gegen einen Freund schleudert, welcher eine boshafte Etymologie seines Namens
sich in scherzender Weise erlaubt hatte. Herder hatte ein Billet, worin er Goethe
um eine Ausgabe von Ciceros Briefen bat, mit den Worten geschlossen:


Der von Göttern du stammst, von Gothen oder vom Kothe,
Goethe, sende sie mir.

Darüber entbrennt Goethe in Zorn; er vergleicht den Namen mit einem Kleide,
welches zum Trüger gehört, und dessen Verletzung dem Träger zur Unehre
gereicht.

Ich biete dem Leser eine juristische Deduktion, und ich muß um die Erlaubnis
bitten, ein wenig das juristische Handwerkszeug gebrauchen zu dürfen. Es ist nicht
schlimm gemeint; besitzt doch der Nichtjurist in seinem natürlichen Rechtsgefühl
nicht bloß eine gewisse Unabhängigkeit des Denkens, die dem geschulten Kenner
der Gesetze fehlt, sondern auch einen Fonds von Nechtsdingen, der ihn zu
der gemeinsamen Arbeit mit dem Juristen wohl befähigt. Was ihm ermangelt,
das ist die juristische Erfahrung, die Kenntnis von tausend Fällen, welche
früher sich ereignet und bereits ihre Erledigung gefunden haben, die klare Vor¬
stellung, das volle Bewußtsein von den Grundsätzen, welche in Anwendung zu
bringen sind.


Duverdv contra Avia.

Zola aber ist weit entfernt, sich zu entschuldigen; ein realistischer Romanschrift¬
steller, meint er, darf nicht eine Person mit dem ersten besten Namen taufen,
sondern der Name muß für die Person bezeichnend, also dem Berufskreise der¬
selben entnommen sein; ein realistischer Romanschriftsteller hat das Recht, irgend
einen Namen, auch den ehrenwertesten, ganz nach seinen Zwecken zu verarbeiten,
nötigenfalls ihn zu besudeln. Ob Zola immer nach diesem Grundsatze verfährt,
wagen wir im Hinblick auf seinen Schottischen Prinzen und seine Nana zu be¬
zweifeln. Aber lassen wir seine Aufrichtigkeit oder Unaufrichtigkeit dahingestellt:
im vorliegenden Falle hat er zu diesem Rezept gegriffen. Er brauchte einen
Namen für den Rat an einem Pariser Gerichtshof, welchen er als einen abge¬
feimten Schuft darstellt; er schlug das Pariser Adreßbuch auf, entnahm ihm den
Namen eines in Paris stadtbekannten Advokaten und übertrug diesen ans jenen
Rat. Um noch realistischer zu sein, verlegte er die Wohnung des Rats in die¬
selbe Straße, in welcher der Advokat früher wohnte, und in deren unmittel¬
barer Nähe er noch jetzt wohnt. Wer nicht das Glück hat, den Advokaten
persönlich zu kennen, zweifelt nicht daran, daß jeuer zu dem Bilde gesessen hat,
welches Zola von dem Rate entwirft. Wer seinen Charakter kennt, schlägt die
Hände über-dem Kopfe zusammen und fragt, wie es möglich sei, daß ein
Romanschriftsteller, also ein Poet, ein Künstler, von den Grundsätzen seiner
Kunst ans zu einem solchen Mißgriff gelangen, mit den Grundsätzen seiner Kunst
einen solchen Mißbrauch rechtfertigen konnte. Oder soll es keine Grenze für die
literarischen Rücksichtslosigkeiten geben? Ich erinnere mich einer Stelle aus
Goethes „Dichtung und Wahrheit/' in welcher der Olympier seine Donnerkeile
gegen einen Freund schleudert, welcher eine boshafte Etymologie seines Namens
sich in scherzender Weise erlaubt hatte. Herder hatte ein Billet, worin er Goethe
um eine Ausgabe von Ciceros Briefen bat, mit den Worten geschlossen:


Der von Göttern du stammst, von Gothen oder vom Kothe,
Goethe, sende sie mir.

Darüber entbrennt Goethe in Zorn; er vergleicht den Namen mit einem Kleide,
welches zum Trüger gehört, und dessen Verletzung dem Träger zur Unehre
gereicht.

Ich biete dem Leser eine juristische Deduktion, und ich muß um die Erlaubnis
bitten, ein wenig das juristische Handwerkszeug gebrauchen zu dürfen. Es ist nicht
schlimm gemeint; besitzt doch der Nichtjurist in seinem natürlichen Rechtsgefühl
nicht bloß eine gewisse Unabhängigkeit des Denkens, die dem geschulten Kenner
der Gesetze fehlt, sondern auch einen Fonds von Nechtsdingen, der ihn zu
der gemeinsamen Arbeit mit dem Juristen wohl befähigt. Was ihm ermangelt,
das ist die juristische Erfahrung, die Kenntnis von tausend Fällen, welche
früher sich ereignet und bereits ihre Erledigung gefunden haben, die klare Vor¬
stellung, das volle Bewußtsein von den Grundsätzen, welche in Anwendung zu
bringen sind.


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[0567] Duverdv contra Avia. Zola aber ist weit entfernt, sich zu entschuldigen; ein realistischer Romanschrift¬ steller, meint er, darf nicht eine Person mit dem ersten besten Namen taufen, sondern der Name muß für die Person bezeichnend, also dem Berufskreise der¬ selben entnommen sein; ein realistischer Romanschriftsteller hat das Recht, irgend einen Namen, auch den ehrenwertesten, ganz nach seinen Zwecken zu verarbeiten, nötigenfalls ihn zu besudeln. Ob Zola immer nach diesem Grundsatze verfährt, wagen wir im Hinblick auf seinen Schottischen Prinzen und seine Nana zu be¬ zweifeln. Aber lassen wir seine Aufrichtigkeit oder Unaufrichtigkeit dahingestellt: im vorliegenden Falle hat er zu diesem Rezept gegriffen. Er brauchte einen Namen für den Rat an einem Pariser Gerichtshof, welchen er als einen abge¬ feimten Schuft darstellt; er schlug das Pariser Adreßbuch auf, entnahm ihm den Namen eines in Paris stadtbekannten Advokaten und übertrug diesen ans jenen Rat. Um noch realistischer zu sein, verlegte er die Wohnung des Rats in die¬ selbe Straße, in welcher der Advokat früher wohnte, und in deren unmittel¬ barer Nähe er noch jetzt wohnt. Wer nicht das Glück hat, den Advokaten persönlich zu kennen, zweifelt nicht daran, daß jeuer zu dem Bilde gesessen hat, welches Zola von dem Rate entwirft. Wer seinen Charakter kennt, schlägt die Hände über-dem Kopfe zusammen und fragt, wie es möglich sei, daß ein Romanschriftsteller, also ein Poet, ein Künstler, von den Grundsätzen seiner Kunst ans zu einem solchen Mißgriff gelangen, mit den Grundsätzen seiner Kunst einen solchen Mißbrauch rechtfertigen konnte. Oder soll es keine Grenze für die literarischen Rücksichtslosigkeiten geben? Ich erinnere mich einer Stelle aus Goethes „Dichtung und Wahrheit/' in welcher der Olympier seine Donnerkeile gegen einen Freund schleudert, welcher eine boshafte Etymologie seines Namens sich in scherzender Weise erlaubt hatte. Herder hatte ein Billet, worin er Goethe um eine Ausgabe von Ciceros Briefen bat, mit den Worten geschlossen: Der von Göttern du stammst, von Gothen oder vom Kothe, Goethe, sende sie mir. Darüber entbrennt Goethe in Zorn; er vergleicht den Namen mit einem Kleide, welches zum Trüger gehört, und dessen Verletzung dem Träger zur Unehre gereicht. Ich biete dem Leser eine juristische Deduktion, und ich muß um die Erlaubnis bitten, ein wenig das juristische Handwerkszeug gebrauchen zu dürfen. Es ist nicht schlimm gemeint; besitzt doch der Nichtjurist in seinem natürlichen Rechtsgefühl nicht bloß eine gewisse Unabhängigkeit des Denkens, die dem geschulten Kenner der Gesetze fehlt, sondern auch einen Fonds von Nechtsdingen, der ihn zu der gemeinsamen Arbeit mit dem Juristen wohl befähigt. Was ihm ermangelt, das ist die juristische Erfahrung, die Kenntnis von tausend Fällen, welche früher sich ereignet und bereits ihre Erledigung gefunden haben, die klare Vor¬ stellung, das volle Bewußtsein von den Grundsätzen, welche in Anwendung zu bringen sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/567>, abgerufen am 26.06.2024.