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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Diwerdy comte-a Aolci.

hat der Buchhandel zehn Jahre damit vergeudet, das deutsche Volk mit "Pracht-
Werken" und "kulturgeschichtlichen Romanen" zu überschwemmen; und nun dieses
entsetzliche Gewässer sich verläuft, paßt die Cottasche Buchhandlung, die am deutschen
Volke schon so viel, viel Geld verdient hat, richtig den Zeitpunkt ab, nun ihrer¬
seits doch noch Gewinn und womöglich auch noch Ehre einzuheimsen bei einem
Unternehmen, das gar nicht in ihre Hände hätte zurückfallen dürfen.

Das einzige, was unser verletztes Gerechtigkeitsgefühl dabei einigermaßen
zu versöhnen imstande ist, das ist ein Blick auf das Titelblatt des vorliegenden
ersten Bandes von Goethes Werken, Wer Augen hat zu sehen, der sehe! Was
steht am Fuße dieses Titelblattes gedruckt? "Stuttgart, I, G, Cottasche Buch¬
handlung. Gebrüder Kröner, Verlagshandlung." Welche Ironie des Schicksals,
daß die stolze Firma, die jahrzehntelang das Monopol ihrer "großen Autoren"
ausgebeutet hat, jetzt die Werke Schillers und Goethes, wie neulich jemand
witzig bemerkte, "mit Krönerschem Vorspann" in die Welt schickt!




Duverdy contra Zola.

ein Preßprozeß, der den Staatsanwalt zu einer glänzenden
Rede begeistert, in welcher er vom Gericht den Schutz für die
öffentliche Sittlichkeit, für die Grundlagen von Staat und Gesell¬
schaft fordert. Auch kein Nachdrucksprozeß, in welchem einem
literarischen Freibeuter der Begriff des geistigen Eigentums in
energischer Weise klar gemacht werden soll. Auch keine Privatklage, in welcher
ein verleumderisches Pasquill in seiner Lügenhaftigkeit aufgezeigt wird. Nein,
ein einfacher Civilprozeß, zu dem Zwecke angestellt, um das Recht auf den
Na inen seinem Träger zu erhalten.

Emil Zola war es vorbehalten, wie die französische Literatur um den
realistischen oder naturalistischen Roman zu bereichern, so der gesammten Rechts¬
wissenschaft eine neue Art vou Prozeß zuzuführen. Sein Realismus begnügt
sich nicht damit, Zustände, Handlungen, Anschauungen, Empfindungen gerade
so und ganz genau so darzustellen, wie sie sind, nichts zu verschweigen noch zu
verhülle", nichts der Phantasie oder dem Nachdenken des Lesers zu überlassen.
Sein Realismus erstreckt sich bis auf die Namen seiner Personagen; er will
sie nicht erfinden, sondern entnimmt sie direkt der Pariser Welt, die ihn um¬
giebt, Alexander Dumas begann seinen Roman von der Kameliendame mit dem
Bekenntnis, er sei zu jung, um zu erfinden; was er erzähle, sei Selbsterlebtes.


Diwerdy comte-a Aolci.

hat der Buchhandel zehn Jahre damit vergeudet, das deutsche Volk mit „Pracht-
Werken" und „kulturgeschichtlichen Romanen" zu überschwemmen; und nun dieses
entsetzliche Gewässer sich verläuft, paßt die Cottasche Buchhandlung, die am deutschen
Volke schon so viel, viel Geld verdient hat, richtig den Zeitpunkt ab, nun ihrer¬
seits doch noch Gewinn und womöglich auch noch Ehre einzuheimsen bei einem
Unternehmen, das gar nicht in ihre Hände hätte zurückfallen dürfen.

Das einzige, was unser verletztes Gerechtigkeitsgefühl dabei einigermaßen
zu versöhnen imstande ist, das ist ein Blick auf das Titelblatt des vorliegenden
ersten Bandes von Goethes Werken, Wer Augen hat zu sehen, der sehe! Was
steht am Fuße dieses Titelblattes gedruckt? „Stuttgart, I, G, Cottasche Buch¬
handlung. Gebrüder Kröner, Verlagshandlung." Welche Ironie des Schicksals,
daß die stolze Firma, die jahrzehntelang das Monopol ihrer „großen Autoren"
ausgebeutet hat, jetzt die Werke Schillers und Goethes, wie neulich jemand
witzig bemerkte, „mit Krönerschem Vorspann" in die Welt schickt!




Duverdy contra Zola.

ein Preßprozeß, der den Staatsanwalt zu einer glänzenden
Rede begeistert, in welcher er vom Gericht den Schutz für die
öffentliche Sittlichkeit, für die Grundlagen von Staat und Gesell¬
schaft fordert. Auch kein Nachdrucksprozeß, in welchem einem
literarischen Freibeuter der Begriff des geistigen Eigentums in
energischer Weise klar gemacht werden soll. Auch keine Privatklage, in welcher
ein verleumderisches Pasquill in seiner Lügenhaftigkeit aufgezeigt wird. Nein,
ein einfacher Civilprozeß, zu dem Zwecke angestellt, um das Recht auf den
Na inen seinem Träger zu erhalten.

Emil Zola war es vorbehalten, wie die französische Literatur um den
realistischen oder naturalistischen Roman zu bereichern, so der gesammten Rechts¬
wissenschaft eine neue Art vou Prozeß zuzuführen. Sein Realismus begnügt
sich nicht damit, Zustände, Handlungen, Anschauungen, Empfindungen gerade
so und ganz genau so darzustellen, wie sie sind, nichts zu verschweigen noch zu
verhülle», nichts der Phantasie oder dem Nachdenken des Lesers zu überlassen.
Sein Realismus erstreckt sich bis auf die Namen seiner Personagen; er will
sie nicht erfinden, sondern entnimmt sie direkt der Pariser Welt, die ihn um¬
giebt, Alexander Dumas begann seinen Roman von der Kameliendame mit dem
Bekenntnis, er sei zu jung, um zu erfinden; was er erzähle, sei Selbsterlebtes.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/566>, abgerufen am 26.06.2024.