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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Neue Ulassikercmsgaben,

deutschen Bundes schützende Privilegien" ihre Flügel über die Cvttaschc Ver¬
lagshandlung breiteten, den unbequemen Luxus eines sachkundigen Herausgebers;
die Klassikertextc wurden damals einfach in den Druckereien fertig gemacht. Sie
waren freilich auch darnach. Man sehe sich nur so etwas an wie den "privi-
legirten" Cottaschen Goethetext aus den Jahren 1853--68, oder die 1858--60
in der Cottaschen "Vvlksbibliothek" erschienene Ausgabe der Voßscheu Ilias- und
Odysseeübcrsetzung, die von den unglaublichsten sinneutstelleuden Druckfehlern
geradezu wimmelt. Und nun erwäge man zu alledem, daß der Geldwert, wie
alle Gehalte und Arbeitslöhne und viele Lebensmittelpreise beweisen, sich seit
1853 um die Hälfte verringert hat, und dann vergleiche man den Preis der
damaligen Cottaschen Klassikerausgabc mit dem der heutigen! Wenn die Ver¬
lagshandlung ein solches Buch wie den vorliegenden Band der Goethischen Ge¬
dichte für eine Mark liefern kann und dabei doch anch noch ein Geschäft zu
machen gedenkt, fo war die Lieferung, die 1853 "vier Neugroschen" kostete,
mit 15 Pfennigen vollständig bezahlt. War sie es nicht, waren die 40 Pfennige
ein angemessener Preis, dann müßte der vorliegende Band der neuen Ausgabe
mindestens zwei und eine halbe Mark kosten. Der Verfasser dieser Zeilen, der
in den fünfziger Jahren noch auf der Schulbank saß, hat damals -- natürlich
aus dem Geldbeutel seines guten Vaters -- sämmtliche 618 Lieferungen mit
gehalten und, da man noch nicht so gewitzigt war, vom "Knndenrabatt"
etwas zu wissen, auf Heller und Pfennig den Ladenpreis, also in Summa
69 Thaler dafür bezahlt. Wir schenkten damals unserm Deutschlehrer, der in
der obersten Klasse des Gymnasiums den deutschen Unterricht erteilte, aber
natürlich nicht entfernt imstande war, aus eignen Mitteln sich Goethes Werke
anzuschaffen, zum Geburtstage ein in Halbfrauz gebundenes Exemplar der vier-
zigbändigen Ausgabe, und wir bezahlten es -- ich weiß es noch so genau, als
wäre es gestern geschehen -- mit 26 Thalern!

Nach dem Erloschen des Cottaschen Privilegs (1868) entstand in der Her¬
stellung von Klassikerausgaben sofort ein reger Wetteifer. Aber das einzig Ver¬
ständige, was hätte geschehen können und sollen, geschah nicht. Alle Welt er¬
wartete damals etwas ähnliches wie das, was die Cvttasche Buchhandlung mit
ihrer neuen "Bibliothek" jetzt. 1882, endlich beginnt. Aber alle Welt wartete
vergebens. Im Cottaschen Verlage selbst erschien zwar die von Goedeke besorgte
mustergültige und höchst anständig ausgestattete Schillerausgabe. Aber wer
konnte sie bezahlen? Hempel in Berlin brachte seine große Klassikerbibliothek,
in der namentlich die Goethe- und die Lessingausgabe grundlegend für alle
weitere Goethe- und Lcssingforschung geworden sind. Aber mußte sich das
deutsche Volk nicht schämen, Ausgaben von so hervorragendem wissenschaftlichen
Werte in so jämmerlicher Ausstattung ans Licht treten zu sehen? Die Grotesche
Verlagshandlung in Berlin warf binnen wenigen Jahren eine Reihe "illustrirter"
Klassikerausgabcn auf den Markt, und Hallberger folgte mit seiner großen


Neue Ulassikercmsgaben,

deutschen Bundes schützende Privilegien" ihre Flügel über die Cvttaschc Ver¬
lagshandlung breiteten, den unbequemen Luxus eines sachkundigen Herausgebers;
die Klassikertextc wurden damals einfach in den Druckereien fertig gemacht. Sie
waren freilich auch darnach. Man sehe sich nur so etwas an wie den „privi-
legirten" Cottaschen Goethetext aus den Jahren 1853—68, oder die 1858—60
in der Cottaschen „Vvlksbibliothek" erschienene Ausgabe der Voßscheu Ilias- und
Odysseeübcrsetzung, die von den unglaublichsten sinneutstelleuden Druckfehlern
geradezu wimmelt. Und nun erwäge man zu alledem, daß der Geldwert, wie
alle Gehalte und Arbeitslöhne und viele Lebensmittelpreise beweisen, sich seit
1853 um die Hälfte verringert hat, und dann vergleiche man den Preis der
damaligen Cottaschen Klassikerausgabc mit dem der heutigen! Wenn die Ver¬
lagshandlung ein solches Buch wie den vorliegenden Band der Goethischen Ge¬
dichte für eine Mark liefern kann und dabei doch anch noch ein Geschäft zu
machen gedenkt, fo war die Lieferung, die 1853 „vier Neugroschen" kostete,
mit 15 Pfennigen vollständig bezahlt. War sie es nicht, waren die 40 Pfennige
ein angemessener Preis, dann müßte der vorliegende Band der neuen Ausgabe
mindestens zwei und eine halbe Mark kosten. Der Verfasser dieser Zeilen, der
in den fünfziger Jahren noch auf der Schulbank saß, hat damals — natürlich
aus dem Geldbeutel seines guten Vaters — sämmtliche 618 Lieferungen mit
gehalten und, da man noch nicht so gewitzigt war, vom „Knndenrabatt"
etwas zu wissen, auf Heller und Pfennig den Ladenpreis, also in Summa
69 Thaler dafür bezahlt. Wir schenkten damals unserm Deutschlehrer, der in
der obersten Klasse des Gymnasiums den deutschen Unterricht erteilte, aber
natürlich nicht entfernt imstande war, aus eignen Mitteln sich Goethes Werke
anzuschaffen, zum Geburtstage ein in Halbfrauz gebundenes Exemplar der vier-
zigbändigen Ausgabe, und wir bezahlten es — ich weiß es noch so genau, als
wäre es gestern geschehen — mit 26 Thalern!

Nach dem Erloschen des Cottaschen Privilegs (1868) entstand in der Her¬
stellung von Klassikerausgaben sofort ein reger Wetteifer. Aber das einzig Ver¬
ständige, was hätte geschehen können und sollen, geschah nicht. Alle Welt er¬
wartete damals etwas ähnliches wie das, was die Cvttasche Buchhandlung mit
ihrer neuen „Bibliothek" jetzt. 1882, endlich beginnt. Aber alle Welt wartete
vergebens. Im Cottaschen Verlage selbst erschien zwar die von Goedeke besorgte
mustergültige und höchst anständig ausgestattete Schillerausgabe. Aber wer
konnte sie bezahlen? Hempel in Berlin brachte seine große Klassikerbibliothek,
in der namentlich die Goethe- und die Lessingausgabe grundlegend für alle
weitere Goethe- und Lcssingforschung geworden sind. Aber mußte sich das
deutsche Volk nicht schämen, Ausgaben von so hervorragendem wissenschaftlichen
Werte in so jämmerlicher Ausstattung ans Licht treten zu sehen? Die Grotesche
Verlagshandlung in Berlin warf binnen wenigen Jahren eine Reihe „illustrirter"
Klassikerausgabcn auf den Markt, und Hallberger folgte mit seiner großen


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[0564] Neue Ulassikercmsgaben, deutschen Bundes schützende Privilegien" ihre Flügel über die Cvttaschc Ver¬ lagshandlung breiteten, den unbequemen Luxus eines sachkundigen Herausgebers; die Klassikertextc wurden damals einfach in den Druckereien fertig gemacht. Sie waren freilich auch darnach. Man sehe sich nur so etwas an wie den „privi- legirten" Cottaschen Goethetext aus den Jahren 1853—68, oder die 1858—60 in der Cottaschen „Vvlksbibliothek" erschienene Ausgabe der Voßscheu Ilias- und Odysseeübcrsetzung, die von den unglaublichsten sinneutstelleuden Druckfehlern geradezu wimmelt. Und nun erwäge man zu alledem, daß der Geldwert, wie alle Gehalte und Arbeitslöhne und viele Lebensmittelpreise beweisen, sich seit 1853 um die Hälfte verringert hat, und dann vergleiche man den Preis der damaligen Cottaschen Klassikerausgabc mit dem der heutigen! Wenn die Ver¬ lagshandlung ein solches Buch wie den vorliegenden Band der Goethischen Ge¬ dichte für eine Mark liefern kann und dabei doch anch noch ein Geschäft zu machen gedenkt, fo war die Lieferung, die 1853 „vier Neugroschen" kostete, mit 15 Pfennigen vollständig bezahlt. War sie es nicht, waren die 40 Pfennige ein angemessener Preis, dann müßte der vorliegende Band der neuen Ausgabe mindestens zwei und eine halbe Mark kosten. Der Verfasser dieser Zeilen, der in den fünfziger Jahren noch auf der Schulbank saß, hat damals — natürlich aus dem Geldbeutel seines guten Vaters — sämmtliche 618 Lieferungen mit gehalten und, da man noch nicht so gewitzigt war, vom „Knndenrabatt" etwas zu wissen, auf Heller und Pfennig den Ladenpreis, also in Summa 69 Thaler dafür bezahlt. Wir schenkten damals unserm Deutschlehrer, der in der obersten Klasse des Gymnasiums den deutschen Unterricht erteilte, aber natürlich nicht entfernt imstande war, aus eignen Mitteln sich Goethes Werke anzuschaffen, zum Geburtstage ein in Halbfrauz gebundenes Exemplar der vier- zigbändigen Ausgabe, und wir bezahlten es — ich weiß es noch so genau, als wäre es gestern geschehen — mit 26 Thalern! Nach dem Erloschen des Cottaschen Privilegs (1868) entstand in der Her¬ stellung von Klassikerausgaben sofort ein reger Wetteifer. Aber das einzig Ver¬ ständige, was hätte geschehen können und sollen, geschah nicht. Alle Welt er¬ wartete damals etwas ähnliches wie das, was die Cvttasche Buchhandlung mit ihrer neuen „Bibliothek" jetzt. 1882, endlich beginnt. Aber alle Welt wartete vergebens. Im Cottaschen Verlage selbst erschien zwar die von Goedeke besorgte mustergültige und höchst anständig ausgestattete Schillerausgabe. Aber wer konnte sie bezahlen? Hempel in Berlin brachte seine große Klassikerbibliothek, in der namentlich die Goethe- und die Lessingausgabe grundlegend für alle weitere Goethe- und Lcssingforschung geworden sind. Aber mußte sich das deutsche Volk nicht schämen, Ausgaben von so hervorragendem wissenschaftlichen Werte in so jämmerlicher Ausstattung ans Licht treten zu sehen? Die Grotesche Verlagshandlung in Berlin warf binnen wenigen Jahren eine Reihe „illustrirter" Klassikerausgabcn auf den Markt, und Hallberger folgte mit seiner großen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/564>, abgerufen am 26.06.2024.