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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte während dos letzten Jahrzehnts,

als sie Skizzen für' den Giebelschmuck ihres Tempels brauchten, sich deshalb
nach Athen wandten, weil dort infolge des Baues des Parthenons jeden¬
falls das regste Kunstleben auf hellenischem Boden war. In diesem Falle würde es
sich auch erkären, daß die Entwürfe nicht von den Künstlern selbst, sondern in Elis
vou ziemlich untergeordneten, größtenteils wohl einheimischen Kräften ausgeführt
wurden, flüchtig und ohne Sorgfalt, vermutlich aus pekuniären Rücksichten, und
möglichst auf Distauzwirkung berechnet! bei heroischen und göttlichen Figuren
in einem dem Archaismus noch ziemlich nahestehenden Stile, bei untergeord-
neteren Persönlichkeiten mit der den Doreru eiguen Tendenz zum naturalistische",
vielleicht auch mit einem nicht ganz unbeabsichtigten humoristischen Zuge, der
ja auch wiederum der dorischen Kunst eigen ist, und mit treuer Anlehnung um
lebendige Modelle. Derselben Schule und Richtung, aber einer etwas früheren
Zeit, nämlich der Bauzeit des Tempels selbst, gehören die Metopen an; ihre
Meister stehen zwar im allgemeinen auf dem gleichen Standpunkte, wie die der
Giebelskulpturcu, arbeiten aber sorgfältiger und halten sich strenger um die
Formen des damals üblichen Stiles. Was endlich die Nike des Paionios an¬
langt, so genügt wohl der beträchtliche Zeitraum, welcher zwischen den Ent¬
würfen für die Giebel zu Olympia und der Anfertigung der Nike liegt, um die
Verschiedenheit dieser Werke und die großen Fortschritte des Paionios zu er¬
klären, zumal wenn er inzwischen Gelegenheit gehabt hatte, die Schöpfungen
des Phidias zu studiren.

Ich bin ausführlicher geworden, als es anfänglich in meiner Absicht lag,
und doch vielleicht nicht ausführlich genug, als daß die zuletzt ausgesprochene
Ansicht begründet erscheinen könnte. Aber hierin bedürfte es in der That einer
noch viel eingehenderen Deduktion, als ich sie hier geben konnte; und abgesehen
davon bin ich auch weit davon entfernt, zu behaupte", daß nicht neue That¬
sachen, namentlich Auffindung von bisher noch fehlenden Analogien zu den
Skulpturen von Olhmpici, meine einstweilen gebildete Überzeugung wieder um¬
stoßen könnten. Hat uns doch nichts so sehr die Hinfälligkeit aller unsrer Hypothesen
gezeigt, als die letzten Jahre mit ihren ungeahnten Entdeckungen. Nur durch
den Irrtum kommen wir zur Wahrheit!




Die Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte während dos letzten Jahrzehnts,

als sie Skizzen für' den Giebelschmuck ihres Tempels brauchten, sich deshalb
nach Athen wandten, weil dort infolge des Baues des Parthenons jeden¬
falls das regste Kunstleben auf hellenischem Boden war. In diesem Falle würde es
sich auch erkären, daß die Entwürfe nicht von den Künstlern selbst, sondern in Elis
vou ziemlich untergeordneten, größtenteils wohl einheimischen Kräften ausgeführt
wurden, flüchtig und ohne Sorgfalt, vermutlich aus pekuniären Rücksichten, und
möglichst auf Distauzwirkung berechnet! bei heroischen und göttlichen Figuren
in einem dem Archaismus noch ziemlich nahestehenden Stile, bei untergeord-
neteren Persönlichkeiten mit der den Doreru eiguen Tendenz zum naturalistische»,
vielleicht auch mit einem nicht ganz unbeabsichtigten humoristischen Zuge, der
ja auch wiederum der dorischen Kunst eigen ist, und mit treuer Anlehnung um
lebendige Modelle. Derselben Schule und Richtung, aber einer etwas früheren
Zeit, nämlich der Bauzeit des Tempels selbst, gehören die Metopen an; ihre
Meister stehen zwar im allgemeinen auf dem gleichen Standpunkte, wie die der
Giebelskulpturcu, arbeiten aber sorgfältiger und halten sich strenger um die
Formen des damals üblichen Stiles. Was endlich die Nike des Paionios an¬
langt, so genügt wohl der beträchtliche Zeitraum, welcher zwischen den Ent¬
würfen für die Giebel zu Olympia und der Anfertigung der Nike liegt, um die
Verschiedenheit dieser Werke und die großen Fortschritte des Paionios zu er¬
klären, zumal wenn er inzwischen Gelegenheit gehabt hatte, die Schöpfungen
des Phidias zu studiren.

Ich bin ausführlicher geworden, als es anfänglich in meiner Absicht lag,
und doch vielleicht nicht ausführlich genug, als daß die zuletzt ausgesprochene
Ansicht begründet erscheinen könnte. Aber hierin bedürfte es in der That einer
noch viel eingehenderen Deduktion, als ich sie hier geben konnte; und abgesehen
davon bin ich auch weit davon entfernt, zu behaupte», daß nicht neue That¬
sachen, namentlich Auffindung von bisher noch fehlenden Analogien zu den
Skulpturen von Olhmpici, meine einstweilen gebildete Überzeugung wieder um¬
stoßen könnten. Hat uns doch nichts so sehr die Hinfälligkeit aller unsrer Hypothesen
gezeigt, als die letzten Jahre mit ihren ungeahnten Entdeckungen. Nur durch
den Irrtum kommen wir zur Wahrheit!




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[0559] Die Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte während dos letzten Jahrzehnts, als sie Skizzen für' den Giebelschmuck ihres Tempels brauchten, sich deshalb nach Athen wandten, weil dort infolge des Baues des Parthenons jeden¬ falls das regste Kunstleben auf hellenischem Boden war. In diesem Falle würde es sich auch erkären, daß die Entwürfe nicht von den Künstlern selbst, sondern in Elis vou ziemlich untergeordneten, größtenteils wohl einheimischen Kräften ausgeführt wurden, flüchtig und ohne Sorgfalt, vermutlich aus pekuniären Rücksichten, und möglichst auf Distauzwirkung berechnet! bei heroischen und göttlichen Figuren in einem dem Archaismus noch ziemlich nahestehenden Stile, bei untergeord- neteren Persönlichkeiten mit der den Doreru eiguen Tendenz zum naturalistische», vielleicht auch mit einem nicht ganz unbeabsichtigten humoristischen Zuge, der ja auch wiederum der dorischen Kunst eigen ist, und mit treuer Anlehnung um lebendige Modelle. Derselben Schule und Richtung, aber einer etwas früheren Zeit, nämlich der Bauzeit des Tempels selbst, gehören die Metopen an; ihre Meister stehen zwar im allgemeinen auf dem gleichen Standpunkte, wie die der Giebelskulpturcu, arbeiten aber sorgfältiger und halten sich strenger um die Formen des damals üblichen Stiles. Was endlich die Nike des Paionios an¬ langt, so genügt wohl der beträchtliche Zeitraum, welcher zwischen den Ent¬ würfen für die Giebel zu Olympia und der Anfertigung der Nike liegt, um die Verschiedenheit dieser Werke und die großen Fortschritte des Paionios zu er¬ klären, zumal wenn er inzwischen Gelegenheit gehabt hatte, die Schöpfungen des Phidias zu studiren. Ich bin ausführlicher geworden, als es anfänglich in meiner Absicht lag, und doch vielleicht nicht ausführlich genug, als daß die zuletzt ausgesprochene Ansicht begründet erscheinen könnte. Aber hierin bedürfte es in der That einer noch viel eingehenderen Deduktion, als ich sie hier geben konnte; und abgesehen davon bin ich auch weit davon entfernt, zu behaupte», daß nicht neue That¬ sachen, namentlich Auffindung von bisher noch fehlenden Analogien zu den Skulpturen von Olhmpici, meine einstweilen gebildete Überzeugung wieder um¬ stoßen könnten. Hat uns doch nichts so sehr die Hinfälligkeit aller unsrer Hypothesen gezeigt, als die letzten Jahre mit ihren ungeahnten Entdeckungen. Nur durch den Irrtum kommen wir zur Wahrheit!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/559>, abgerufen am 26.06.2024.