Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Fortschritte in der antiken Knnstgeschichw während des letzten Jcihriehnts,

Pausanias genannten Mei-ster mit der Ausführung selbst nichts zu thun hatten,
daß vielmehr von ihnen nur die Entwürfe, sei es in kleineren Modellen, sei es
vielleicht gar nur in bloßen Zeichnungen herrührten, während die Ausführung
der Werke selbst in ,den Händen einer einheimischen, eleischen Steinmetzenzunft
lag. Diese Annahme erklärt vieles, was an beiden Giebelgruppen auffällt,
namentlich die Gleichartigkeit in der Behandlung überhaupt. Manches bleibt
freilich anch so noch unaufgeklärt, besonders die großen Verschiedenheiten in den
Köpfen und das anfallende Hereinragen eines starken realistischen Zuges "eben
durchaus archaischen Formen. Man hat zwar auch da damit helfen wollen,
daß man sagte, es hätten sich unter den einheimischen Arbeitern anch einige
Fremde befunden; aber das ist doch nur ein Notbehelf, denn wo haben wir in
jener Zeit sonst Spuren einer so realistischen BeHandlungsweise, wie sie die
Köpfe der beiden alten Weiber im Westgiebcl zeigen? wo einen Körper, wie den
des sitzenden Greises im Ostgiebel? Diese Verschiedenheit in manchen Details
bei sonst gleicher Ausführung bleibt einstweilen noch ein Rätsel.

Nicht minder schwierig ist die Frage nach der Entstehungszeit der Skulp¬
turen. Während dieselbe von der einen Seite bald nach Vollendung des
Tempelbaues angesetzt wird, die Werke alsdann noch vor den Partheuonskulp-
tnren entstanden sein müßten, will Overbeck, namentlich aus der Komposition
des Westgiebels, die Entstehung beider Gruppen in nachparthenonischer Zeit
erweisen; ja es fehlt auch nicht an solchen, welche die Nachricht des Pausanias,
wonach Paionios und Alkamenes die Verfertiger der Giebelgruppen waren, ganz
über Bord werfen und die Skulpturen gleichzeitig mit der Vollendung des
Tempels, also zwischen 360--350 entstehen lassen, bei welcher Datirnng aller¬
dings die Beteiligung des Alkamenes, der noch um 402 thätig ist, unmöglich,
die des Paionios zum mindesten bedenklich wäre. Ich meinesteils gestehe, bis zu
letzterer Ansicht, welche man dadurch zu rechtfertigen versucht, daß Pausanias die
von Paionios laut dem inschriftlichen Zeugnis (am Postament der Nike) gefertigten
Akroterien des Tempels mit den Giebelskulpturen verwechselt habe, mich vor¬
läufig noch nicht aufschwingen zu können, daß mir vielmehr die Ansicht am plau-
sibelsten erscheint, wonach Paionios und Alkamenes -- beide allerdings noch bevor
sie dnrch die Schule des Phidias gegangen (und daß dies bei Paionios später
wenigstens uoch der Fall war, das muß angesichts der Nike immerhin doch als mög¬
lich bezeichnet werden) -- die Entwürfe zu den Skulpturen gemacht, vielleicht zu der
Zeit, da ein beträchtlicher Teil vom Skulpturenschmuck des Parthenon schon
vollendet war, da die Metopen des letzteren ja vielfach noch eine etwas strenge
Richtung verraten, die den Kentaurenthpen von Olympia nicht zu fern steht.
Denn wenn ich auch daran festhalten muß, daß die beiden Künstler damals noch
nichts von phidiasischem Geiste in sich aufgenommen hatten, so möchte ich doch
die Möglichkeit keineswegs abgeschlossen wissen, daß sie nicht an den Arbeiten
des Parthenon irgendwie mit beteiligt waren: es ist sehr denkbar, daß die Eleer,


Die Fortschritte in der antiken Knnstgeschichw während des letzten Jcihriehnts,

Pausanias genannten Mei-ster mit der Ausführung selbst nichts zu thun hatten,
daß vielmehr von ihnen nur die Entwürfe, sei es in kleineren Modellen, sei es
vielleicht gar nur in bloßen Zeichnungen herrührten, während die Ausführung
der Werke selbst in ,den Händen einer einheimischen, eleischen Steinmetzenzunft
lag. Diese Annahme erklärt vieles, was an beiden Giebelgruppen auffällt,
namentlich die Gleichartigkeit in der Behandlung überhaupt. Manches bleibt
freilich anch so noch unaufgeklärt, besonders die großen Verschiedenheiten in den
Köpfen und das anfallende Hereinragen eines starken realistischen Zuges »eben
durchaus archaischen Formen. Man hat zwar auch da damit helfen wollen,
daß man sagte, es hätten sich unter den einheimischen Arbeitern anch einige
Fremde befunden; aber das ist doch nur ein Notbehelf, denn wo haben wir in
jener Zeit sonst Spuren einer so realistischen BeHandlungsweise, wie sie die
Köpfe der beiden alten Weiber im Westgiebcl zeigen? wo einen Körper, wie den
des sitzenden Greises im Ostgiebel? Diese Verschiedenheit in manchen Details
bei sonst gleicher Ausführung bleibt einstweilen noch ein Rätsel.

Nicht minder schwierig ist die Frage nach der Entstehungszeit der Skulp¬
turen. Während dieselbe von der einen Seite bald nach Vollendung des
Tempelbaues angesetzt wird, die Werke alsdann noch vor den Partheuonskulp-
tnren entstanden sein müßten, will Overbeck, namentlich aus der Komposition
des Westgiebels, die Entstehung beider Gruppen in nachparthenonischer Zeit
erweisen; ja es fehlt auch nicht an solchen, welche die Nachricht des Pausanias,
wonach Paionios und Alkamenes die Verfertiger der Giebelgruppen waren, ganz
über Bord werfen und die Skulpturen gleichzeitig mit der Vollendung des
Tempels, also zwischen 360—350 entstehen lassen, bei welcher Datirnng aller¬
dings die Beteiligung des Alkamenes, der noch um 402 thätig ist, unmöglich,
die des Paionios zum mindesten bedenklich wäre. Ich meinesteils gestehe, bis zu
letzterer Ansicht, welche man dadurch zu rechtfertigen versucht, daß Pausanias die
von Paionios laut dem inschriftlichen Zeugnis (am Postament der Nike) gefertigten
Akroterien des Tempels mit den Giebelskulpturen verwechselt habe, mich vor¬
läufig noch nicht aufschwingen zu können, daß mir vielmehr die Ansicht am plau-
sibelsten erscheint, wonach Paionios und Alkamenes — beide allerdings noch bevor
sie dnrch die Schule des Phidias gegangen (und daß dies bei Paionios später
wenigstens uoch der Fall war, das muß angesichts der Nike immerhin doch als mög¬
lich bezeichnet werden) — die Entwürfe zu den Skulpturen gemacht, vielleicht zu der
Zeit, da ein beträchtlicher Teil vom Skulpturenschmuck des Parthenon schon
vollendet war, da die Metopen des letzteren ja vielfach noch eine etwas strenge
Richtung verraten, die den Kentaurenthpen von Olympia nicht zu fern steht.
Denn wenn ich auch daran festhalten muß, daß die beiden Künstler damals noch
nichts von phidiasischem Geiste in sich aufgenommen hatten, so möchte ich doch
die Möglichkeit keineswegs abgeschlossen wissen, daß sie nicht an den Arbeiten
des Parthenon irgendwie mit beteiligt waren: es ist sehr denkbar, daß die Eleer,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0558" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86679"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Fortschritte in der antiken Knnstgeschichw während des letzten Jcihriehnts,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2272" prev="#ID_2271"> Pausanias genannten Mei-ster mit der Ausführung selbst nichts zu thun hatten,<lb/>
daß vielmehr von ihnen nur die Entwürfe, sei es in kleineren Modellen, sei es<lb/>
vielleicht gar nur in bloßen Zeichnungen herrührten, während die Ausführung<lb/>
der Werke selbst in ,den Händen einer einheimischen, eleischen Steinmetzenzunft<lb/>
lag. Diese Annahme erklärt vieles, was an beiden Giebelgruppen auffällt,<lb/>
namentlich die Gleichartigkeit in der Behandlung überhaupt. Manches bleibt<lb/>
freilich anch so noch unaufgeklärt, besonders die großen Verschiedenheiten in den<lb/>
Köpfen und das anfallende Hereinragen eines starken realistischen Zuges »eben<lb/>
durchaus archaischen Formen. Man hat zwar auch da damit helfen wollen,<lb/>
daß man sagte, es hätten sich unter den einheimischen Arbeitern anch einige<lb/>
Fremde befunden; aber das ist doch nur ein Notbehelf, denn wo haben wir in<lb/>
jener Zeit sonst Spuren einer so realistischen BeHandlungsweise, wie sie die<lb/>
Köpfe der beiden alten Weiber im Westgiebcl zeigen? wo einen Körper, wie den<lb/>
des sitzenden Greises im Ostgiebel? Diese Verschiedenheit in manchen Details<lb/>
bei sonst gleicher Ausführung bleibt einstweilen noch ein Rätsel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2273" next="#ID_2274"> Nicht minder schwierig ist die Frage nach der Entstehungszeit der Skulp¬<lb/>
turen. Während dieselbe von der einen Seite bald nach Vollendung des<lb/>
Tempelbaues angesetzt wird, die Werke alsdann noch vor den Partheuonskulp-<lb/>
tnren entstanden sein müßten, will Overbeck, namentlich aus der Komposition<lb/>
des Westgiebels, die Entstehung beider Gruppen in nachparthenonischer Zeit<lb/>
erweisen; ja es fehlt auch nicht an solchen, welche die Nachricht des Pausanias,<lb/>
wonach Paionios und Alkamenes die Verfertiger der Giebelgruppen waren, ganz<lb/>
über Bord werfen und die Skulpturen gleichzeitig mit der Vollendung des<lb/>
Tempels, also zwischen 360&#x2014;350 entstehen lassen, bei welcher Datirnng aller¬<lb/>
dings die Beteiligung des Alkamenes, der noch um 402 thätig ist, unmöglich,<lb/>
die des Paionios zum mindesten bedenklich wäre. Ich meinesteils gestehe, bis zu<lb/>
letzterer Ansicht, welche man dadurch zu rechtfertigen versucht, daß Pausanias die<lb/>
von Paionios laut dem inschriftlichen Zeugnis (am Postament der Nike) gefertigten<lb/>
Akroterien des Tempels mit den Giebelskulpturen verwechselt habe, mich vor¬<lb/>
läufig noch nicht aufschwingen zu können, daß mir vielmehr die Ansicht am plau-<lb/>
sibelsten erscheint, wonach Paionios und Alkamenes &#x2014; beide allerdings noch bevor<lb/>
sie dnrch die Schule des Phidias gegangen (und daß dies bei Paionios später<lb/>
wenigstens uoch der Fall war, das muß angesichts der Nike immerhin doch als mög¬<lb/>
lich bezeichnet werden) &#x2014; die Entwürfe zu den Skulpturen gemacht, vielleicht zu der<lb/>
Zeit, da ein beträchtlicher Teil vom Skulpturenschmuck des Parthenon schon<lb/>
vollendet war, da die Metopen des letzteren ja vielfach noch eine etwas strenge<lb/>
Richtung verraten, die den Kentaurenthpen von Olympia nicht zu fern steht.<lb/>
Denn wenn ich auch daran festhalten muß, daß die beiden Künstler damals noch<lb/>
nichts von phidiasischem Geiste in sich aufgenommen hatten, so möchte ich doch<lb/>
die Möglichkeit keineswegs abgeschlossen wissen, daß sie nicht an den Arbeiten<lb/>
des Parthenon irgendwie mit beteiligt waren: es ist sehr denkbar, daß die Eleer,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0558] Die Fortschritte in der antiken Knnstgeschichw während des letzten Jcihriehnts, Pausanias genannten Mei-ster mit der Ausführung selbst nichts zu thun hatten, daß vielmehr von ihnen nur die Entwürfe, sei es in kleineren Modellen, sei es vielleicht gar nur in bloßen Zeichnungen herrührten, während die Ausführung der Werke selbst in ,den Händen einer einheimischen, eleischen Steinmetzenzunft lag. Diese Annahme erklärt vieles, was an beiden Giebelgruppen auffällt, namentlich die Gleichartigkeit in der Behandlung überhaupt. Manches bleibt freilich anch so noch unaufgeklärt, besonders die großen Verschiedenheiten in den Köpfen und das anfallende Hereinragen eines starken realistischen Zuges »eben durchaus archaischen Formen. Man hat zwar auch da damit helfen wollen, daß man sagte, es hätten sich unter den einheimischen Arbeitern anch einige Fremde befunden; aber das ist doch nur ein Notbehelf, denn wo haben wir in jener Zeit sonst Spuren einer so realistischen BeHandlungsweise, wie sie die Köpfe der beiden alten Weiber im Westgiebcl zeigen? wo einen Körper, wie den des sitzenden Greises im Ostgiebel? Diese Verschiedenheit in manchen Details bei sonst gleicher Ausführung bleibt einstweilen noch ein Rätsel. Nicht minder schwierig ist die Frage nach der Entstehungszeit der Skulp¬ turen. Während dieselbe von der einen Seite bald nach Vollendung des Tempelbaues angesetzt wird, die Werke alsdann noch vor den Partheuonskulp- tnren entstanden sein müßten, will Overbeck, namentlich aus der Komposition des Westgiebels, die Entstehung beider Gruppen in nachparthenonischer Zeit erweisen; ja es fehlt auch nicht an solchen, welche die Nachricht des Pausanias, wonach Paionios und Alkamenes die Verfertiger der Giebelgruppen waren, ganz über Bord werfen und die Skulpturen gleichzeitig mit der Vollendung des Tempels, also zwischen 360—350 entstehen lassen, bei welcher Datirnng aller¬ dings die Beteiligung des Alkamenes, der noch um 402 thätig ist, unmöglich, die des Paionios zum mindesten bedenklich wäre. Ich meinesteils gestehe, bis zu letzterer Ansicht, welche man dadurch zu rechtfertigen versucht, daß Pausanias die von Paionios laut dem inschriftlichen Zeugnis (am Postament der Nike) gefertigten Akroterien des Tempels mit den Giebelskulpturen verwechselt habe, mich vor¬ läufig noch nicht aufschwingen zu können, daß mir vielmehr die Ansicht am plau- sibelsten erscheint, wonach Paionios und Alkamenes — beide allerdings noch bevor sie dnrch die Schule des Phidias gegangen (und daß dies bei Paionios später wenigstens uoch der Fall war, das muß angesichts der Nike immerhin doch als mög¬ lich bezeichnet werden) — die Entwürfe zu den Skulpturen gemacht, vielleicht zu der Zeit, da ein beträchtlicher Teil vom Skulpturenschmuck des Parthenon schon vollendet war, da die Metopen des letzteren ja vielfach noch eine etwas strenge Richtung verraten, die den Kentaurenthpen von Olympia nicht zu fern steht. Denn wenn ich auch daran festhalten muß, daß die beiden Künstler damals noch nichts von phidiasischem Geiste in sich aufgenommen hatten, so möchte ich doch die Möglichkeit keineswegs abgeschlossen wissen, daß sie nicht an den Arbeiten des Parthenon irgendwie mit beteiligt waren: es ist sehr denkbar, daß die Eleer,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/558
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/558>, abgerufen am 26.06.2024.