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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die FculschntI,.' in der antiken Amistgcschichw w.ihicud des letzten, Jahr^'bills.

dann diesen Gedanken weiter ausgeführt. Er erkennt in der That in den Met-
open der Westseite, in den Giebelskulptureu der Ostseite und in der Nike die
Hand desselben Meisters; er findet, trotz des nicht verkennbarer Fortschrittes,
welchen der Künstler in der zwischen den Giebelgruppen und der Nike liegenden
Zeit gemacht, gewisse stilistische Eigentümlichkeiten in beiden Werke" wieder und
führt all die Mängel, welche wir oben an den Skulpturen der Giebel hervorhoben,
auf die Eigentümlichkeiten dieses wesentlich malerisch kompvnirendcn und überall
die durch Bemalung gehobene Distanzwirkung in Betracht ziehenden Knnststilcs
zurück. Bei der unleugbaren Verwandtschaft aber, welche die Skulpturen des
Westgiebcls mit denen des Ostgiebels aufweisen, ist Brunn von selbst dazu ge¬
nötigt, diesen nvrdgriechischen Stil auch im Westgiebcl wiederzufinden; und er
thut das, indem er darauf fußt, daß Alkamcnes nach einigen Nachrichten aus
Lemnos stammte, wenn er auch Athener von Abkunft war; noch jung, aber doch
schon als vollständiger Künstler, sei er von seiner nordgriechischen Heimat mit
Paionios nach Olympia gegangen und habe dort etwa zwischen 440 --436 die
Skulpturen des Westgiebels gefertigt; an eine frühere Zeit dürfe man nicht wohl
denken, da er nachweislich noch 402 v. Chr. am Leben und thätig war. Die
Metopen der Ostseite endlich aber bleiben, im Gegensatz zu allen andern Werken
am Tempel, ein Produkt einheimischer, pelopvnnesischer Kunstübung.

Selbst wenn wir die stilistischen Eigentümlichkeiten von Kunstwerken eben
so sicher erkennen "ut beurteilen könnten, wie die von Schriftwerken oder wie
dialektische Besonderheiten an Inschriften, würde BrunnS Hhpvthese ans lebhafte
Bedenken stoßen. Um wie viel mehr, da der Irrtum in stilistischen Fragen
bei Kunstwerken bei weitem leichter möglich ist, als bei Literaturdenkmälern.
Den besten Beweis hierfür liefert Brunn selbst: ein weiblicher Torso, welcher
bei Beginn der Ausgrabungen als nicht zu den Giebelgruppen gehörig betrachtet
und Hestia genannt wurde, wird von Brunn als Werk pcloponnesischer Kunst
bezeichnet; ja er stellt die "Gleichung" ans: die Hesperide der Atlasmetope ver¬
halte sich zu diesem Torso wie die Nymphe der Stymphalosmetvpe zu dem
knieenden Stallknecht des Ostgicbels. Nun haben aber die Ausgrabungen in
ihrem Verlauf "nwiderleglich dargethan, daß jene sogenannte Hestia in der That
auch zum Ostgiebel gehört und Hippvdameia vorstellt, und diese eine Thatsache
wirft natürlich die ganze Gleichung über den Hnnfen.

Gegenüber der Brunnschen Auffassung, wonach alle die oben geschilderten
Eigentümlichkeiten der olympischen Giebelsknlpturen als charakteristisch für einen
bestimmten Stil zu fassen wären, hat die Mehrzahl derjenigen, die ihre Meinung
darüber abgegeben, sich dahin entschieden, daß man viel eher die Abwesenheit
eines bestimmten Stiles zu erkennen habe. Vor allen Dingen ist hingewiesen
worden ans die bereits betonte starke Differenz zwischen der Komposition der
Gruppen und ihrer Ausführung, und im Hinblick hierauf ist die gleich zu An¬
fang laut gewordene Ansicht heute wohl am verbreitetsten, daß die beiden von


Die FculschntI,.' in der antiken Amistgcschichw w.ihicud des letzten, Jahr^'bills.

dann diesen Gedanken weiter ausgeführt. Er erkennt in der That in den Met-
open der Westseite, in den Giebelskulptureu der Ostseite und in der Nike die
Hand desselben Meisters; er findet, trotz des nicht verkennbarer Fortschrittes,
welchen der Künstler in der zwischen den Giebelgruppen und der Nike liegenden
Zeit gemacht, gewisse stilistische Eigentümlichkeiten in beiden Werke» wieder und
führt all die Mängel, welche wir oben an den Skulpturen der Giebel hervorhoben,
auf die Eigentümlichkeiten dieses wesentlich malerisch kompvnirendcn und überall
die durch Bemalung gehobene Distanzwirkung in Betracht ziehenden Knnststilcs
zurück. Bei der unleugbaren Verwandtschaft aber, welche die Skulpturen des
Westgiebcls mit denen des Ostgiebels aufweisen, ist Brunn von selbst dazu ge¬
nötigt, diesen nvrdgriechischen Stil auch im Westgiebcl wiederzufinden; und er
thut das, indem er darauf fußt, daß Alkamcnes nach einigen Nachrichten aus
Lemnos stammte, wenn er auch Athener von Abkunft war; noch jung, aber doch
schon als vollständiger Künstler, sei er von seiner nordgriechischen Heimat mit
Paionios nach Olympia gegangen und habe dort etwa zwischen 440 —436 die
Skulpturen des Westgiebels gefertigt; an eine frühere Zeit dürfe man nicht wohl
denken, da er nachweislich noch 402 v. Chr. am Leben und thätig war. Die
Metopen der Ostseite endlich aber bleiben, im Gegensatz zu allen andern Werken
am Tempel, ein Produkt einheimischer, pelopvnnesischer Kunstübung.

Selbst wenn wir die stilistischen Eigentümlichkeiten von Kunstwerken eben
so sicher erkennen »ut beurteilen könnten, wie die von Schriftwerken oder wie
dialektische Besonderheiten an Inschriften, würde BrunnS Hhpvthese ans lebhafte
Bedenken stoßen. Um wie viel mehr, da der Irrtum in stilistischen Fragen
bei Kunstwerken bei weitem leichter möglich ist, als bei Literaturdenkmälern.
Den besten Beweis hierfür liefert Brunn selbst: ein weiblicher Torso, welcher
bei Beginn der Ausgrabungen als nicht zu den Giebelgruppen gehörig betrachtet
und Hestia genannt wurde, wird von Brunn als Werk pcloponnesischer Kunst
bezeichnet; ja er stellt die „Gleichung" ans: die Hesperide der Atlasmetope ver¬
halte sich zu diesem Torso wie die Nymphe der Stymphalosmetvpe zu dem
knieenden Stallknecht des Ostgicbels. Nun haben aber die Ausgrabungen in
ihrem Verlauf »nwiderleglich dargethan, daß jene sogenannte Hestia in der That
auch zum Ostgiebel gehört und Hippvdameia vorstellt, und diese eine Thatsache
wirft natürlich die ganze Gleichung über den Hnnfen.

Gegenüber der Brunnschen Auffassung, wonach alle die oben geschilderten
Eigentümlichkeiten der olympischen Giebelsknlpturen als charakteristisch für einen
bestimmten Stil zu fassen wären, hat die Mehrzahl derjenigen, die ihre Meinung
darüber abgegeben, sich dahin entschieden, daß man viel eher die Abwesenheit
eines bestimmten Stiles zu erkennen habe. Vor allen Dingen ist hingewiesen
worden ans die bereits betonte starke Differenz zwischen der Komposition der
Gruppen und ihrer Ausführung, und im Hinblick hierauf ist die gleich zu An¬
fang laut gewordene Ansicht heute wohl am verbreitetsten, daß die beiden von


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[0557] Die FculschntI,.' in der antiken Amistgcschichw w.ihicud des letzten, Jahr^'bills. dann diesen Gedanken weiter ausgeführt. Er erkennt in der That in den Met- open der Westseite, in den Giebelskulptureu der Ostseite und in der Nike die Hand desselben Meisters; er findet, trotz des nicht verkennbarer Fortschrittes, welchen der Künstler in der zwischen den Giebelgruppen und der Nike liegenden Zeit gemacht, gewisse stilistische Eigentümlichkeiten in beiden Werke» wieder und führt all die Mängel, welche wir oben an den Skulpturen der Giebel hervorhoben, auf die Eigentümlichkeiten dieses wesentlich malerisch kompvnirendcn und überall die durch Bemalung gehobene Distanzwirkung in Betracht ziehenden Knnststilcs zurück. Bei der unleugbaren Verwandtschaft aber, welche die Skulpturen des Westgiebcls mit denen des Ostgiebels aufweisen, ist Brunn von selbst dazu ge¬ nötigt, diesen nvrdgriechischen Stil auch im Westgiebcl wiederzufinden; und er thut das, indem er darauf fußt, daß Alkamcnes nach einigen Nachrichten aus Lemnos stammte, wenn er auch Athener von Abkunft war; noch jung, aber doch schon als vollständiger Künstler, sei er von seiner nordgriechischen Heimat mit Paionios nach Olympia gegangen und habe dort etwa zwischen 440 —436 die Skulpturen des Westgiebels gefertigt; an eine frühere Zeit dürfe man nicht wohl denken, da er nachweislich noch 402 v. Chr. am Leben und thätig war. Die Metopen der Ostseite endlich aber bleiben, im Gegensatz zu allen andern Werken am Tempel, ein Produkt einheimischer, pelopvnnesischer Kunstübung. Selbst wenn wir die stilistischen Eigentümlichkeiten von Kunstwerken eben so sicher erkennen »ut beurteilen könnten, wie die von Schriftwerken oder wie dialektische Besonderheiten an Inschriften, würde BrunnS Hhpvthese ans lebhafte Bedenken stoßen. Um wie viel mehr, da der Irrtum in stilistischen Fragen bei Kunstwerken bei weitem leichter möglich ist, als bei Literaturdenkmälern. Den besten Beweis hierfür liefert Brunn selbst: ein weiblicher Torso, welcher bei Beginn der Ausgrabungen als nicht zu den Giebelgruppen gehörig betrachtet und Hestia genannt wurde, wird von Brunn als Werk pcloponnesischer Kunst bezeichnet; ja er stellt die „Gleichung" ans: die Hesperide der Atlasmetope ver¬ halte sich zu diesem Torso wie die Nymphe der Stymphalosmetvpe zu dem knieenden Stallknecht des Ostgicbels. Nun haben aber die Ausgrabungen in ihrem Verlauf »nwiderleglich dargethan, daß jene sogenannte Hestia in der That auch zum Ostgiebel gehört und Hippvdameia vorstellt, und diese eine Thatsache wirft natürlich die ganze Gleichung über den Hnnfen. Gegenüber der Brunnschen Auffassung, wonach alle die oben geschilderten Eigentümlichkeiten der olympischen Giebelsknlpturen als charakteristisch für einen bestimmten Stil zu fassen wären, hat die Mehrzahl derjenigen, die ihre Meinung darüber abgegeben, sich dahin entschieden, daß man viel eher die Abwesenheit eines bestimmten Stiles zu erkennen habe. Vor allen Dingen ist hingewiesen worden ans die bereits betonte starke Differenz zwischen der Komposition der Gruppen und ihrer Ausführung, und im Hinblick hierauf ist die gleich zu An¬ fang laut gewordene Ansicht heute wohl am verbreitetsten, daß die beiden von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/557>, abgerufen am 26.06.2024.