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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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D>e Folischritte i" der erteile" Unnstgeschichte während des letzten Jast'.jehnis,

das Werk einer so frühen Periode zuzuweisen, wie dies von manchen Seiten
geschehen ist, namentlich von Brunn, der die Entstehung der Nike noch vor die
Parthenvnskulpturcu setzte. Leider ist die Inschrift, welche noch erhalten ist und
berichtet, daß Messeuicr und Naupakticr die Statue dem olympischen Zeus vom
Zehnten feindlicher Kriegsleute geweiht hätten, sowie daß Paionivs von Meute
sie gefertigt, welcher auch den Firstschmuck für den Tempel hergestellt habe, nicht
deutlich genug, als daß man daraus mit absoluter Sicherheit die Kriegsthat,
welche Veranlassung zur Weisung dieser Figur war, konstatiren könnte. Schon
die Alten wußten, wie Pausanias meidet, nicht mehr, für welchen Sieg die Nike
dedizirt worden war; die neueren Erklärer haben sehr verschieden darüber ge¬
urteilt, so daß die Datirung der Stutue auf ganz unsicheren Boden steht. Immerhin
ist von Schubring (in der Archäologischen Zeitung für 1877, S. 59 ff.) mit
sehr triftigen Gründen dargelegt worden, daß unter allen historischen Ereignissen,
von denen wir Kunde haben, und die hier in Betracht kommen konnten, einzig
die Niederlage der Spartaner auf der Insel Sphalteria im Jahre 424 passend
erscheint, und daß demnach die Anfertigung der Statue in den Jahren 424 bis
420 in hohem Grade wahrscheinlich ist. Nach unsrer Überzeugung stimmt diese
Datirnng mit dein Charakter der Figur vollkommen überein, denn trotz der be¬
rührten Ungleichheiten in der Ausführung, trotzdem daß von stilistischer Über-
einstimmung mit den Skulpturen des Parthenon keine Rede sein kann, ist doch
ein Werk von solcher Freiheit der Arbeit, von solcher Kühnheit der Anlage, vor
Phidias und seinen Schöpfungen vornehmlich am Parthenon nicht denkbar.

können wir eS nur aber chronologisch und stilistisch mit dieser Annahme
vereinigen, daß derselbe Meister, welcher die Nike geschaffen, anch der Meister
der Figuren vom Ostgiebel zu Olympia sein soll? Offen gestanden: hätten wir
diese Figuren erhalten ohne jede Kenntnis ihrer Provenienz und daneben die
Nike des PaivnioS ohne Kenntnis ihres Verfertigers und Fundortes, kein Mensch
würde jemals auf deu Gedanken gekommen sein, daß beide Werte einem und
demselben Meister angehören sollten, oder wer es zu behaupten gewagt hätte,
wäre einfach ausgelacht worden. Nun haben wir aber ans der einen Seite die
unwidcrleglichc Thatsache, auf der andern die bis dahin unbezweifelte Notiz deS
Pausanius, und so hilft es nichts- man muß sich mit diesen beide" Umständen
auseinandersetzen.

In der ihm eigentümlichen, genialen, aber ich möchte sagen ungestümen Weise
hat Brunn dies Problem zu lösen gesucht. Schon in dem erste" der genannten
Aufsätze, über Paivuivs, hatte er, "ut zwar "och oh"e Kenntnis der vlhmpischen
Bildwerke, mit Hilfe einiger in Nvrdgriecheuland gefundenen Denkmäler ans
archaischer Zeit zu erweisen gesucht, daß Paionivs von Meute nicht als Schüler
des PhidiaL, sondern als einer uordgriechischen Kunstrichtung angehörig zu be¬
trachten sei, als deren Haupteigentümlichkeit Brunn das Prinzip des Malerischen
hinstellte. In seinen Abhandlungen über die Skulpturen von Olympia hat er


D>e Folischritte i» der erteile» Unnstgeschichte während des letzten Jast'.jehnis,

das Werk einer so frühen Periode zuzuweisen, wie dies von manchen Seiten
geschehen ist, namentlich von Brunn, der die Entstehung der Nike noch vor die
Parthenvnskulpturcu setzte. Leider ist die Inschrift, welche noch erhalten ist und
berichtet, daß Messeuicr und Naupakticr die Statue dem olympischen Zeus vom
Zehnten feindlicher Kriegsleute geweiht hätten, sowie daß Paionivs von Meute
sie gefertigt, welcher auch den Firstschmuck für den Tempel hergestellt habe, nicht
deutlich genug, als daß man daraus mit absoluter Sicherheit die Kriegsthat,
welche Veranlassung zur Weisung dieser Figur war, konstatiren könnte. Schon
die Alten wußten, wie Pausanias meidet, nicht mehr, für welchen Sieg die Nike
dedizirt worden war; die neueren Erklärer haben sehr verschieden darüber ge¬
urteilt, so daß die Datirung der Stutue auf ganz unsicheren Boden steht. Immerhin
ist von Schubring (in der Archäologischen Zeitung für 1877, S. 59 ff.) mit
sehr triftigen Gründen dargelegt worden, daß unter allen historischen Ereignissen,
von denen wir Kunde haben, und die hier in Betracht kommen konnten, einzig
die Niederlage der Spartaner auf der Insel Sphalteria im Jahre 424 passend
erscheint, und daß demnach die Anfertigung der Statue in den Jahren 424 bis
420 in hohem Grade wahrscheinlich ist. Nach unsrer Überzeugung stimmt diese
Datirnng mit dein Charakter der Figur vollkommen überein, denn trotz der be¬
rührten Ungleichheiten in der Ausführung, trotzdem daß von stilistischer Über-
einstimmung mit den Skulpturen des Parthenon keine Rede sein kann, ist doch
ein Werk von solcher Freiheit der Arbeit, von solcher Kühnheit der Anlage, vor
Phidias und seinen Schöpfungen vornehmlich am Parthenon nicht denkbar.

können wir eS nur aber chronologisch und stilistisch mit dieser Annahme
vereinigen, daß derselbe Meister, welcher die Nike geschaffen, anch der Meister
der Figuren vom Ostgiebel zu Olympia sein soll? Offen gestanden: hätten wir
diese Figuren erhalten ohne jede Kenntnis ihrer Provenienz und daneben die
Nike des PaivnioS ohne Kenntnis ihres Verfertigers und Fundortes, kein Mensch
würde jemals auf deu Gedanken gekommen sein, daß beide Werte einem und
demselben Meister angehören sollten, oder wer es zu behaupten gewagt hätte,
wäre einfach ausgelacht worden. Nun haben wir aber ans der einen Seite die
unwidcrleglichc Thatsache, auf der andern die bis dahin unbezweifelte Notiz deS
Pausanius, und so hilft es nichts- man muß sich mit diesen beide» Umständen
auseinandersetzen.

In der ihm eigentümlichen, genialen, aber ich möchte sagen ungestümen Weise
hat Brunn dies Problem zu lösen gesucht. Schon in dem erste» der genannten
Aufsätze, über Paivuivs, hatte er, »ut zwar »och oh»e Kenntnis der vlhmpischen
Bildwerke, mit Hilfe einiger in Nvrdgriecheuland gefundenen Denkmäler ans
archaischer Zeit zu erweisen gesucht, daß Paionivs von Meute nicht als Schüler
des PhidiaL, sondern als einer uordgriechischen Kunstrichtung angehörig zu be¬
trachten sei, als deren Haupteigentümlichkeit Brunn das Prinzip des Malerischen
hinstellte. In seinen Abhandlungen über die Skulpturen von Olympia hat er


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[0556] D>e Folischritte i» der erteile» Unnstgeschichte während des letzten Jast'.jehnis, das Werk einer so frühen Periode zuzuweisen, wie dies von manchen Seiten geschehen ist, namentlich von Brunn, der die Entstehung der Nike noch vor die Parthenvnskulpturcu setzte. Leider ist die Inschrift, welche noch erhalten ist und berichtet, daß Messeuicr und Naupakticr die Statue dem olympischen Zeus vom Zehnten feindlicher Kriegsleute geweiht hätten, sowie daß Paionivs von Meute sie gefertigt, welcher auch den Firstschmuck für den Tempel hergestellt habe, nicht deutlich genug, als daß man daraus mit absoluter Sicherheit die Kriegsthat, welche Veranlassung zur Weisung dieser Figur war, konstatiren könnte. Schon die Alten wußten, wie Pausanias meidet, nicht mehr, für welchen Sieg die Nike dedizirt worden war; die neueren Erklärer haben sehr verschieden darüber ge¬ urteilt, so daß die Datirung der Stutue auf ganz unsicheren Boden steht. Immerhin ist von Schubring (in der Archäologischen Zeitung für 1877, S. 59 ff.) mit sehr triftigen Gründen dargelegt worden, daß unter allen historischen Ereignissen, von denen wir Kunde haben, und die hier in Betracht kommen konnten, einzig die Niederlage der Spartaner auf der Insel Sphalteria im Jahre 424 passend erscheint, und daß demnach die Anfertigung der Statue in den Jahren 424 bis 420 in hohem Grade wahrscheinlich ist. Nach unsrer Überzeugung stimmt diese Datirnng mit dein Charakter der Figur vollkommen überein, denn trotz der be¬ rührten Ungleichheiten in der Ausführung, trotzdem daß von stilistischer Über- einstimmung mit den Skulpturen des Parthenon keine Rede sein kann, ist doch ein Werk von solcher Freiheit der Arbeit, von solcher Kühnheit der Anlage, vor Phidias und seinen Schöpfungen vornehmlich am Parthenon nicht denkbar. können wir eS nur aber chronologisch und stilistisch mit dieser Annahme vereinigen, daß derselbe Meister, welcher die Nike geschaffen, anch der Meister der Figuren vom Ostgiebel zu Olympia sein soll? Offen gestanden: hätten wir diese Figuren erhalten ohne jede Kenntnis ihrer Provenienz und daneben die Nike des PaivnioS ohne Kenntnis ihres Verfertigers und Fundortes, kein Mensch würde jemals auf deu Gedanken gekommen sein, daß beide Werte einem und demselben Meister angehören sollten, oder wer es zu behaupten gewagt hätte, wäre einfach ausgelacht worden. Nun haben wir aber ans der einen Seite die unwidcrleglichc Thatsache, auf der andern die bis dahin unbezweifelte Notiz deS Pausanius, und so hilft es nichts- man muß sich mit diesen beide» Umständen auseinandersetzen. In der ihm eigentümlichen, genialen, aber ich möchte sagen ungestümen Weise hat Brunn dies Problem zu lösen gesucht. Schon in dem erste» der genannten Aufsätze, über Paivuivs, hatte er, »ut zwar »och oh»e Kenntnis der vlhmpischen Bildwerke, mit Hilfe einiger in Nvrdgriecheuland gefundenen Denkmäler ans archaischer Zeit zu erweisen gesucht, daß Paionivs von Meute nicht als Schüler des PhidiaL, sondern als einer uordgriechischen Kunstrichtung angehörig zu be¬ trachten sei, als deren Haupteigentümlichkeit Brunn das Prinzip des Malerischen hinstellte. In seinen Abhandlungen über die Skulpturen von Olympia hat er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/556>, abgerufen am 26.06.2024.