Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte während des letzten Jahrzehnts.

von Ch. Newton in den Mz^s on Art g.mal g-rollsolo^ (London, Mac-
millan, 1880.)

Dreierlei ist es, was nur hierbei in Betracht zu ziehen hat. Einmal das,
was uns die Denkmäler selbst sagen, deren Sprache freilich nicht für jede" Be¬
urteiler dieselbe und daher durchaus kein so objektives Moment ist, als man
eigentlich annehmen sollte. Zweitens die Nachricht des Pausanius, daß Paionios
und Alkamenes die Giebelgruppen gefertigt Hütten; wozu dann als notwendig
mit in Betracht zu ziehendes Faktum die Auffindung einer unzweifelhaft be¬
glaubigten Statue des Paionios kommt, der Nike, deren Pausanias gleichfalls
gedenkt. Endlich drittens die Frage nach der Bauzeit des Tempels.

Der letztere Punkt, um vou diesem zuerst zu sprechen, ist neuerdings wieder¬
holt, zum Teil in eignen Abhandlungen (Bursian, of töivporo quo tsinxluin
lovis 01/moins oonäitum sit, al8xnt>g.dio, Jena 1872; Urlichs, "Bemerkungen
über den olympischen Tempel und seine Bildwerke," Würzburg 1879) zur Sprache
gebracht worden. Entgegen früheren Behauptungen, wonach man eine sehr lange
Bauperiode des Tempels annahm, vereinigt sich heute, wie es scheint, die Mehr¬
zahl der Archäologen zu den: namentlich durch neue Untersuchungen des Bau¬
werkes selbst und durch belehrende Analyse seines Untergrundes gefundenen
Resultate, daß der Tempel im Jahre 460 v. Chr. im wesentlichen vollendet war.
Damit ist so gut wie sicher auch gegeben, daß die Metopen ebenfalls um jene
Zeit fertig gewesen sein müssen; denn die in der Regel mit den Triglyphen ver¬
salzten Metopen sind ein mit dem Bauwerk so eng verwachsenes Glied, daß
eine spätere Hinzufügung derselben, nach Vollendung des Baues, nicht gut denkbar
erscheint. Etwas andres ist es mit den Giebelgruppen. Solche konnten sehr
wohl lange nach Vollendung des Tempels noch hinzugefügt werden, und es ist
zweifellos, daß so mancher alte Tempel, welcher ursprünglich auf Giebelschmuck
berechnet war, solchen niemals erhalten hat, weil inzwischen die Mittel für
Herstellung desselben ausgegangen waren oder sonst irgendwelches Hindernis da¬
zwischen kam.

Was ferner die Nike des Paionios anlangt, so ist diese von felsiger Höhe,
um welche die Adler kreisen, herabschwebende Siegesgöttin ein durchaus graziös
erfundenes, lebensvolles Werk, freilich nicht frei von Schwächen und Mängeln,
die namentlich in der Gewandung ein mehreren Stellen hervortreten, aber doch
so kühn in der Erfindung, so frei von aller altertümlichen Gebundenheit, daß
wir sie entschieden zu den besseren Erzeugnissen aus der zweiten Hälfte des
fünften Jahrhunderts zählen müssen. Welchen Ausdruck der Kopf trug, inwie¬
weit er einem vorgeschritteneren Kunststile entsprach, können wir leider nicht
mehr beurteilen, da nur der Hinterkopf wieder aufgefunden worden ist. Soll
man aber aus der hieran erkennbaren Behandlung der Haare einen Rückschluß
machen, so darf man es als wahrscheinlich bezeichnen, daß der Gesichtsausdruck
noch etwas streng war. Deswegen sind wir aber noch keineswegs berechtigt,


Die Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte während des letzten Jahrzehnts.

von Ch. Newton in den Mz^s on Art g.mal g-rollsolo^ (London, Mac-
millan, 1880.)

Dreierlei ist es, was nur hierbei in Betracht zu ziehen hat. Einmal das,
was uns die Denkmäler selbst sagen, deren Sprache freilich nicht für jede» Be¬
urteiler dieselbe und daher durchaus kein so objektives Moment ist, als man
eigentlich annehmen sollte. Zweitens die Nachricht des Pausanius, daß Paionios
und Alkamenes die Giebelgruppen gefertigt Hütten; wozu dann als notwendig
mit in Betracht zu ziehendes Faktum die Auffindung einer unzweifelhaft be¬
glaubigten Statue des Paionios kommt, der Nike, deren Pausanias gleichfalls
gedenkt. Endlich drittens die Frage nach der Bauzeit des Tempels.

Der letztere Punkt, um vou diesem zuerst zu sprechen, ist neuerdings wieder¬
holt, zum Teil in eignen Abhandlungen (Bursian, of töivporo quo tsinxluin
lovis 01/moins oonäitum sit, al8xnt>g.dio, Jena 1872; Urlichs, „Bemerkungen
über den olympischen Tempel und seine Bildwerke," Würzburg 1879) zur Sprache
gebracht worden. Entgegen früheren Behauptungen, wonach man eine sehr lange
Bauperiode des Tempels annahm, vereinigt sich heute, wie es scheint, die Mehr¬
zahl der Archäologen zu den: namentlich durch neue Untersuchungen des Bau¬
werkes selbst und durch belehrende Analyse seines Untergrundes gefundenen
Resultate, daß der Tempel im Jahre 460 v. Chr. im wesentlichen vollendet war.
Damit ist so gut wie sicher auch gegeben, daß die Metopen ebenfalls um jene
Zeit fertig gewesen sein müssen; denn die in der Regel mit den Triglyphen ver¬
salzten Metopen sind ein mit dem Bauwerk so eng verwachsenes Glied, daß
eine spätere Hinzufügung derselben, nach Vollendung des Baues, nicht gut denkbar
erscheint. Etwas andres ist es mit den Giebelgruppen. Solche konnten sehr
wohl lange nach Vollendung des Tempels noch hinzugefügt werden, und es ist
zweifellos, daß so mancher alte Tempel, welcher ursprünglich auf Giebelschmuck
berechnet war, solchen niemals erhalten hat, weil inzwischen die Mittel für
Herstellung desselben ausgegangen waren oder sonst irgendwelches Hindernis da¬
zwischen kam.

Was ferner die Nike des Paionios anlangt, so ist diese von felsiger Höhe,
um welche die Adler kreisen, herabschwebende Siegesgöttin ein durchaus graziös
erfundenes, lebensvolles Werk, freilich nicht frei von Schwächen und Mängeln,
die namentlich in der Gewandung ein mehreren Stellen hervortreten, aber doch
so kühn in der Erfindung, so frei von aller altertümlichen Gebundenheit, daß
wir sie entschieden zu den besseren Erzeugnissen aus der zweiten Hälfte des
fünften Jahrhunderts zählen müssen. Welchen Ausdruck der Kopf trug, inwie¬
weit er einem vorgeschritteneren Kunststile entsprach, können wir leider nicht
mehr beurteilen, da nur der Hinterkopf wieder aufgefunden worden ist. Soll
man aber aus der hieran erkennbaren Behandlung der Haare einen Rückschluß
machen, so darf man es als wahrscheinlich bezeichnen, daß der Gesichtsausdruck
noch etwas streng war. Deswegen sind wir aber noch keineswegs berechtigt,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0555" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86676"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte während des letzten Jahrzehnts.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2262" prev="#ID_2261"> von Ch. Newton in den Mz^s on Art g.mal g-rollsolo^ (London, Mac-<lb/>
millan, 1880.)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2263"> Dreierlei ist es, was nur hierbei in Betracht zu ziehen hat. Einmal das,<lb/>
was uns die Denkmäler selbst sagen, deren Sprache freilich nicht für jede» Be¬<lb/>
urteiler dieselbe und daher durchaus kein so objektives Moment ist, als man<lb/>
eigentlich annehmen sollte. Zweitens die Nachricht des Pausanius, daß Paionios<lb/>
und Alkamenes die Giebelgruppen gefertigt Hütten; wozu dann als notwendig<lb/>
mit in Betracht zu ziehendes Faktum die Auffindung einer unzweifelhaft be¬<lb/>
glaubigten Statue des Paionios kommt, der Nike, deren Pausanias gleichfalls<lb/>
gedenkt.  Endlich drittens die Frage nach der Bauzeit des Tempels.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2264"> Der letztere Punkt, um vou diesem zuerst zu sprechen, ist neuerdings wieder¬<lb/>
holt, zum Teil in eignen Abhandlungen (Bursian, of töivporo quo tsinxluin<lb/>
lovis 01/moins oonäitum sit, al8xnt&gt;g.dio, Jena 1872; Urlichs, &#x201E;Bemerkungen<lb/>
über den olympischen Tempel und seine Bildwerke," Würzburg 1879) zur Sprache<lb/>
gebracht worden. Entgegen früheren Behauptungen, wonach man eine sehr lange<lb/>
Bauperiode des Tempels annahm, vereinigt sich heute, wie es scheint, die Mehr¬<lb/>
zahl der Archäologen zu den: namentlich durch neue Untersuchungen des Bau¬<lb/>
werkes selbst und durch belehrende Analyse seines Untergrundes gefundenen<lb/>
Resultate, daß der Tempel im Jahre 460 v. Chr. im wesentlichen vollendet war.<lb/>
Damit ist so gut wie sicher auch gegeben, daß die Metopen ebenfalls um jene<lb/>
Zeit fertig gewesen sein müssen; denn die in der Regel mit den Triglyphen ver¬<lb/>
salzten Metopen sind ein mit dem Bauwerk so eng verwachsenes Glied, daß<lb/>
eine spätere Hinzufügung derselben, nach Vollendung des Baues, nicht gut denkbar<lb/>
erscheint. Etwas andres ist es mit den Giebelgruppen. Solche konnten sehr<lb/>
wohl lange nach Vollendung des Tempels noch hinzugefügt werden, und es ist<lb/>
zweifellos, daß so mancher alte Tempel, welcher ursprünglich auf Giebelschmuck<lb/>
berechnet war, solchen niemals erhalten hat, weil inzwischen die Mittel für<lb/>
Herstellung desselben ausgegangen waren oder sonst irgendwelches Hindernis da¬<lb/>
zwischen kam.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2265" next="#ID_2266"> Was ferner die Nike des Paionios anlangt, so ist diese von felsiger Höhe,<lb/>
um welche die Adler kreisen, herabschwebende Siegesgöttin ein durchaus graziös<lb/>
erfundenes, lebensvolles Werk, freilich nicht frei von Schwächen und Mängeln,<lb/>
die namentlich in der Gewandung ein mehreren Stellen hervortreten, aber doch<lb/>
so kühn in der Erfindung, so frei von aller altertümlichen Gebundenheit, daß<lb/>
wir sie entschieden zu den besseren Erzeugnissen aus der zweiten Hälfte des<lb/>
fünften Jahrhunderts zählen müssen. Welchen Ausdruck der Kopf trug, inwie¬<lb/>
weit er einem vorgeschritteneren Kunststile entsprach, können wir leider nicht<lb/>
mehr beurteilen, da nur der Hinterkopf wieder aufgefunden worden ist. Soll<lb/>
man aber aus der hieran erkennbaren Behandlung der Haare einen Rückschluß<lb/>
machen, so darf man es als wahrscheinlich bezeichnen, daß der Gesichtsausdruck<lb/>
noch etwas streng war. Deswegen sind wir aber noch keineswegs berechtigt,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0555] Die Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte während des letzten Jahrzehnts. von Ch. Newton in den Mz^s on Art g.mal g-rollsolo^ (London, Mac- millan, 1880.) Dreierlei ist es, was nur hierbei in Betracht zu ziehen hat. Einmal das, was uns die Denkmäler selbst sagen, deren Sprache freilich nicht für jede» Be¬ urteiler dieselbe und daher durchaus kein so objektives Moment ist, als man eigentlich annehmen sollte. Zweitens die Nachricht des Pausanius, daß Paionios und Alkamenes die Giebelgruppen gefertigt Hütten; wozu dann als notwendig mit in Betracht zu ziehendes Faktum die Auffindung einer unzweifelhaft be¬ glaubigten Statue des Paionios kommt, der Nike, deren Pausanias gleichfalls gedenkt. Endlich drittens die Frage nach der Bauzeit des Tempels. Der letztere Punkt, um vou diesem zuerst zu sprechen, ist neuerdings wieder¬ holt, zum Teil in eignen Abhandlungen (Bursian, of töivporo quo tsinxluin lovis 01/moins oonäitum sit, al8xnt>g.dio, Jena 1872; Urlichs, „Bemerkungen über den olympischen Tempel und seine Bildwerke," Würzburg 1879) zur Sprache gebracht worden. Entgegen früheren Behauptungen, wonach man eine sehr lange Bauperiode des Tempels annahm, vereinigt sich heute, wie es scheint, die Mehr¬ zahl der Archäologen zu den: namentlich durch neue Untersuchungen des Bau¬ werkes selbst und durch belehrende Analyse seines Untergrundes gefundenen Resultate, daß der Tempel im Jahre 460 v. Chr. im wesentlichen vollendet war. Damit ist so gut wie sicher auch gegeben, daß die Metopen ebenfalls um jene Zeit fertig gewesen sein müssen; denn die in der Regel mit den Triglyphen ver¬ salzten Metopen sind ein mit dem Bauwerk so eng verwachsenes Glied, daß eine spätere Hinzufügung derselben, nach Vollendung des Baues, nicht gut denkbar erscheint. Etwas andres ist es mit den Giebelgruppen. Solche konnten sehr wohl lange nach Vollendung des Tempels noch hinzugefügt werden, und es ist zweifellos, daß so mancher alte Tempel, welcher ursprünglich auf Giebelschmuck berechnet war, solchen niemals erhalten hat, weil inzwischen die Mittel für Herstellung desselben ausgegangen waren oder sonst irgendwelches Hindernis da¬ zwischen kam. Was ferner die Nike des Paionios anlangt, so ist diese von felsiger Höhe, um welche die Adler kreisen, herabschwebende Siegesgöttin ein durchaus graziös erfundenes, lebensvolles Werk, freilich nicht frei von Schwächen und Mängeln, die namentlich in der Gewandung ein mehreren Stellen hervortreten, aber doch so kühn in der Erfindung, so frei von aller altertümlichen Gebundenheit, daß wir sie entschieden zu den besseren Erzeugnissen aus der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts zählen müssen. Welchen Ausdruck der Kopf trug, inwie¬ weit er einem vorgeschritteneren Kunststile entsprach, können wir leider nicht mehr beurteilen, da nur der Hinterkopf wieder aufgefunden worden ist. Soll man aber aus der hieran erkennbaren Behandlung der Haare einen Rückschluß machen, so darf man es als wahrscheinlich bezeichnen, daß der Gesichtsausdruck noch etwas streng war. Deswegen sind wir aber noch keineswegs berechtigt,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/555
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/555>, abgerufen am 26.06.2024.