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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosirägcr.

Alfons hat ein gutes Herz.

Ein gutes Herz? So? Ich lege auch Wert auf den Kopf.

Alfons hat einen sehr guten Kopf.

Das ist deine Meinung. Ich finde aber, daß sein Charakter nicht günstig
balancirt ist. Auf die Grundsätze kommt es an.

Alfons hat die besten Grundsätze.

O ja, aber jeder Wind bläst sie fort.

So träfe uns die Schuld. Wir haben ihn erzogen. Aber ich denke doch,
wir haben keine Mühe versäumt, ihn gut zu erziehen!

Liebe Clara, es stünde schlimm um die Eltern, wenn sie für ihre Kinder so
verantwortlich wären, wie du meinst. Beruhige du dich darüber. Der Charakter
ist dem Menschen angeboren, und keine Erziehung kaun daran etwas ändern. Nur
äußerliche und unbedeutende Eigenschaften lassen sich erlernen, im ganzen aber
wird ein unnützer Mensch immer unnütz, und ein tüchtiger immer tüchtig
bleiben.

Und Alfons ist ein tüchtiger Mensch, sagte die Mutter mit leuchtenden Augen.
Er hat das beste, was ein Mann haben kann, er hat Ehrgeiz, und mit Stolz
kann ich sagen, daß er den von mir geerbt hat.

Der Gelehrte sah sie mit einen: traurigen Lächeln an.

O, wie ich wünschte, daß du auch etwas Ehrgeiz hättest, fuhr sie fort. Du
hast alles, was dir eine glänzende Laufbahn sichern konnte. Alle Menschen, die
dich kennen lernen, sind entzückt von deinem Geiste, obwohl du sie so abstoßend
behandelst, daß sie gar nicht wagen, sich dir zu nähern. Haben wir nicht in
der Literatur die besten Verbindungen? Wolltest dn nur einmal etwas schreiben,
was den Leuten gefiele, es würde sofort berühmt gemacht werden. Es brauchte
uicht einmal etwas besonderes zu sein -- im Gegenteil. Alle diese Sachen, die
jetzt so viel Glück macheu, wenn du sie näher ansiehst, ist nicht viel dahinter,
lind ich wundere mich oft, daß die Menschen sie lesen. Und selbst im Staats¬
dienst! Noch jetzt, wenn du nur wolltest, könntest Du in die glänzendste Position
kommen; das weiß ich aus sicherer Quelle.

Wirklich?

Du kannst dich darauf verlassen. Du brauchtest es nur auszusprechen, so
würde man dir eine Professur der National-Oekonomie geben. Mein Bruder
Balduin hat es mir mehr als einmal gesagt.

Der Alte lachte. Denkst du nicht daran, was der chinesische Weise sagt:


Reichthümer und Ehren sind wie ein lustiger Traum der fünften Nachtwache;
Beförderung des Verdienstes gleich einer vvrübcrschwebendcn Wolke.
Nimm nicht ein goldenes Halseisen, deinen Nacken darein zu stecke",
Noch ein Schloß von Edelstein, die Kette an deinem Fuß damit zu verschließen.

Ach laß den weisen Chinesen und sei vernünftig! Balduin wäre der Mann,
uns thätig zu helfen. Er hat so viel Einfluß und die freundlichste Gesinnung


Bakchen und Thyrsosirägcr.

Alfons hat ein gutes Herz.

Ein gutes Herz? So? Ich lege auch Wert auf den Kopf.

Alfons hat einen sehr guten Kopf.

Das ist deine Meinung. Ich finde aber, daß sein Charakter nicht günstig
balancirt ist. Auf die Grundsätze kommt es an.

Alfons hat die besten Grundsätze.

O ja, aber jeder Wind bläst sie fort.

So träfe uns die Schuld. Wir haben ihn erzogen. Aber ich denke doch,
wir haben keine Mühe versäumt, ihn gut zu erziehen!

Liebe Clara, es stünde schlimm um die Eltern, wenn sie für ihre Kinder so
verantwortlich wären, wie du meinst. Beruhige du dich darüber. Der Charakter
ist dem Menschen angeboren, und keine Erziehung kaun daran etwas ändern. Nur
äußerliche und unbedeutende Eigenschaften lassen sich erlernen, im ganzen aber
wird ein unnützer Mensch immer unnütz, und ein tüchtiger immer tüchtig
bleiben.

Und Alfons ist ein tüchtiger Mensch, sagte die Mutter mit leuchtenden Augen.
Er hat das beste, was ein Mann haben kann, er hat Ehrgeiz, und mit Stolz
kann ich sagen, daß er den von mir geerbt hat.

Der Gelehrte sah sie mit einen: traurigen Lächeln an.

O, wie ich wünschte, daß du auch etwas Ehrgeiz hättest, fuhr sie fort. Du
hast alles, was dir eine glänzende Laufbahn sichern konnte. Alle Menschen, die
dich kennen lernen, sind entzückt von deinem Geiste, obwohl du sie so abstoßend
behandelst, daß sie gar nicht wagen, sich dir zu nähern. Haben wir nicht in
der Literatur die besten Verbindungen? Wolltest dn nur einmal etwas schreiben,
was den Leuten gefiele, es würde sofort berühmt gemacht werden. Es brauchte
uicht einmal etwas besonderes zu sein — im Gegenteil. Alle diese Sachen, die
jetzt so viel Glück macheu, wenn du sie näher ansiehst, ist nicht viel dahinter,
lind ich wundere mich oft, daß die Menschen sie lesen. Und selbst im Staats¬
dienst! Noch jetzt, wenn du nur wolltest, könntest Du in die glänzendste Position
kommen; das weiß ich aus sicherer Quelle.

Wirklich?

Du kannst dich darauf verlassen. Du brauchtest es nur auszusprechen, so
würde man dir eine Professur der National-Oekonomie geben. Mein Bruder
Balduin hat es mir mehr als einmal gesagt.

Der Alte lachte. Denkst du nicht daran, was der chinesische Weise sagt:


Reichthümer und Ehren sind wie ein lustiger Traum der fünften Nachtwache;
Beförderung des Verdienstes gleich einer vvrübcrschwebendcn Wolke.
Nimm nicht ein goldenes Halseisen, deinen Nacken darein zu stecke»,
Noch ein Schloß von Edelstein, die Kette an deinem Fuß damit zu verschließen.

Ach laß den weisen Chinesen und sei vernünftig! Balduin wäre der Mann,
uns thätig zu helfen. Er hat so viel Einfluß und die freundlichste Gesinnung


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[0055] Bakchen und Thyrsosirägcr. Alfons hat ein gutes Herz. Ein gutes Herz? So? Ich lege auch Wert auf den Kopf. Alfons hat einen sehr guten Kopf. Das ist deine Meinung. Ich finde aber, daß sein Charakter nicht günstig balancirt ist. Auf die Grundsätze kommt es an. Alfons hat die besten Grundsätze. O ja, aber jeder Wind bläst sie fort. So träfe uns die Schuld. Wir haben ihn erzogen. Aber ich denke doch, wir haben keine Mühe versäumt, ihn gut zu erziehen! Liebe Clara, es stünde schlimm um die Eltern, wenn sie für ihre Kinder so verantwortlich wären, wie du meinst. Beruhige du dich darüber. Der Charakter ist dem Menschen angeboren, und keine Erziehung kaun daran etwas ändern. Nur äußerliche und unbedeutende Eigenschaften lassen sich erlernen, im ganzen aber wird ein unnützer Mensch immer unnütz, und ein tüchtiger immer tüchtig bleiben. Und Alfons ist ein tüchtiger Mensch, sagte die Mutter mit leuchtenden Augen. Er hat das beste, was ein Mann haben kann, er hat Ehrgeiz, und mit Stolz kann ich sagen, daß er den von mir geerbt hat. Der Gelehrte sah sie mit einen: traurigen Lächeln an. O, wie ich wünschte, daß du auch etwas Ehrgeiz hättest, fuhr sie fort. Du hast alles, was dir eine glänzende Laufbahn sichern konnte. Alle Menschen, die dich kennen lernen, sind entzückt von deinem Geiste, obwohl du sie so abstoßend behandelst, daß sie gar nicht wagen, sich dir zu nähern. Haben wir nicht in der Literatur die besten Verbindungen? Wolltest dn nur einmal etwas schreiben, was den Leuten gefiele, es würde sofort berühmt gemacht werden. Es brauchte uicht einmal etwas besonderes zu sein — im Gegenteil. Alle diese Sachen, die jetzt so viel Glück macheu, wenn du sie näher ansiehst, ist nicht viel dahinter, lind ich wundere mich oft, daß die Menschen sie lesen. Und selbst im Staats¬ dienst! Noch jetzt, wenn du nur wolltest, könntest Du in die glänzendste Position kommen; das weiß ich aus sicherer Quelle. Wirklich? Du kannst dich darauf verlassen. Du brauchtest es nur auszusprechen, so würde man dir eine Professur der National-Oekonomie geben. Mein Bruder Balduin hat es mir mehr als einmal gesagt. Der Alte lachte. Denkst du nicht daran, was der chinesische Weise sagt: Reichthümer und Ehren sind wie ein lustiger Traum der fünften Nachtwache; Beförderung des Verdienstes gleich einer vvrübcrschwebendcn Wolke. Nimm nicht ein goldenes Halseisen, deinen Nacken darein zu stecke», Noch ein Schloß von Edelstein, die Kette an deinem Fuß damit zu verschließen. Ach laß den weisen Chinesen und sei vernünftig! Balduin wäre der Mann, uns thätig zu helfen. Er hat so viel Einfluß und die freundlichste Gesinnung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/55>, abgerufen am 01.07.2024.