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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Balladen und Thyrsosträgcr.

nütze", wenn die Leute dir auch glauben, und sie glauben nur demjenigen, der
allgemein verehrt wird. Die Menschen sind einmal so, daß sie nach dem Schein
gehen, und wer ihnen segensreich werden will, darf deshalb den Schein nicht
verachten. Ich weiß sehr wohl, daß alle äußere Stellung nnr Tand ist und daß
es ans die Wahrheit allein ankommt, aber wenn ich sehe, daß die Wahrheit
nicht durchschlägt, wenn ihr die Reklame fehlt, so halte ich es für die Pflicht
eines bedeutenden Mannes, Reklame zu machen. Das ist wohl nicht schön ge¬
sagt, aber ich weiß mich einmal nicht so auszudrücken, wie es dir passen würde.
Ich will nur sagen, daß jemand, der wirken will, zunächst dem Urteile der
Welt zu Gefallen sein sollte, und dann, wenn er so gestellt ist, daß er alles sagen
darf, daun mit seiner währen Meinung hervortreten sollte. Denn dann wird
man ihm auch solche Dinge glauben, die ihm als niedrigstehenden mir Ver¬
achtung eintragen würden.

Eva, Eva, entgegnete er lächelnd, hast dn nach sechsundzwanzigjähriger
Ehe noch nicht gemerkt, daß ich deine Aepfel uicht nehme?

Sag mir nicht so bittere Dinge. Ich bin dir immer eine treue Gattin
gewesen und habe dir und unsern Kindern durch meine von dir verachtete Welt-
klugheit oft genützt.

Wie wollte ich das leugnen? sagte er freundlich und fuhr wieder zärtlich
über ihr Haar hin.

Du heiratetest mich, als ich so arm war wie eine Kirchenmaus, und du
dachtest in deinem Edelmute nicht an die Nachteile, die eine so elende Partie
dir bringen mußte. Ich fürchte fast, du hättest mich nicht genommen, wenn
ich nicht eine gar so sehr des Mitleidens würdige Figur gespielt hätte. Bist
du doch so wenig angreifbar für gewöhnliche irdische Empfindungen! Es schien
dir nicht einmal recht zu sein, als ich einiges Vermögen erbte und als wir in den
Stand gesetzt wurden, unser Leben bequemer einzurichten. Du behieltest immer
deine alte Einfachheit bei, als wären wir die ärmsten Leute, Ich will darüber
nicht mit dir streiten, aber daß wir unsern Kindern eine bessere Zukunft sichern
können, das muß dich doch auch freuen. '

Ob das Leben des Menschen ein besseres oder schlechteres war, das sieht
man, wenn er stirbt.

Clara zuckte unmutig.

Es muß dir doch lieb sein, sagte sie, daß unser Alfons in eine vornehme
Carriere gekommen ist, und du kannst nicht verlangen, daß auch er wie du und
Ephraim ein Weltweiser sei. Du hast immer etwas auf Nlfous, aber mir ist
es lieb, daß er ist, wie er ist, lebenslustig und energisch. Ein braver Mann
kann er darum doch bleiben, wenn er auch ein flotter Offizier ist.

Der Gelehrte wiegte den Kopf.

Alfons ist ein schwankendes Rohr, sagte er, und er ist vielen Verführtingen
ausgesetzt.


Balladen und Thyrsosträgcr.

nütze», wenn die Leute dir auch glauben, und sie glauben nur demjenigen, der
allgemein verehrt wird. Die Menschen sind einmal so, daß sie nach dem Schein
gehen, und wer ihnen segensreich werden will, darf deshalb den Schein nicht
verachten. Ich weiß sehr wohl, daß alle äußere Stellung nnr Tand ist und daß
es ans die Wahrheit allein ankommt, aber wenn ich sehe, daß die Wahrheit
nicht durchschlägt, wenn ihr die Reklame fehlt, so halte ich es für die Pflicht
eines bedeutenden Mannes, Reklame zu machen. Das ist wohl nicht schön ge¬
sagt, aber ich weiß mich einmal nicht so auszudrücken, wie es dir passen würde.
Ich will nur sagen, daß jemand, der wirken will, zunächst dem Urteile der
Welt zu Gefallen sein sollte, und dann, wenn er so gestellt ist, daß er alles sagen
darf, daun mit seiner währen Meinung hervortreten sollte. Denn dann wird
man ihm auch solche Dinge glauben, die ihm als niedrigstehenden mir Ver¬
achtung eintragen würden.

Eva, Eva, entgegnete er lächelnd, hast dn nach sechsundzwanzigjähriger
Ehe noch nicht gemerkt, daß ich deine Aepfel uicht nehme?

Sag mir nicht so bittere Dinge. Ich bin dir immer eine treue Gattin
gewesen und habe dir und unsern Kindern durch meine von dir verachtete Welt-
klugheit oft genützt.

Wie wollte ich das leugnen? sagte er freundlich und fuhr wieder zärtlich
über ihr Haar hin.

Du heiratetest mich, als ich so arm war wie eine Kirchenmaus, und du
dachtest in deinem Edelmute nicht an die Nachteile, die eine so elende Partie
dir bringen mußte. Ich fürchte fast, du hättest mich nicht genommen, wenn
ich nicht eine gar so sehr des Mitleidens würdige Figur gespielt hätte. Bist
du doch so wenig angreifbar für gewöhnliche irdische Empfindungen! Es schien
dir nicht einmal recht zu sein, als ich einiges Vermögen erbte und als wir in den
Stand gesetzt wurden, unser Leben bequemer einzurichten. Du behieltest immer
deine alte Einfachheit bei, als wären wir die ärmsten Leute, Ich will darüber
nicht mit dir streiten, aber daß wir unsern Kindern eine bessere Zukunft sichern
können, das muß dich doch auch freuen. '

Ob das Leben des Menschen ein besseres oder schlechteres war, das sieht
man, wenn er stirbt.

Clara zuckte unmutig.

Es muß dir doch lieb sein, sagte sie, daß unser Alfons in eine vornehme
Carriere gekommen ist, und du kannst nicht verlangen, daß auch er wie du und
Ephraim ein Weltweiser sei. Du hast immer etwas auf Nlfous, aber mir ist
es lieb, daß er ist, wie er ist, lebenslustig und energisch. Ein braver Mann
kann er darum doch bleiben, wenn er auch ein flotter Offizier ist.

Der Gelehrte wiegte den Kopf.

Alfons ist ein schwankendes Rohr, sagte er, und er ist vielen Verführtingen
ausgesetzt.


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[0054] Balladen und Thyrsosträgcr. nütze», wenn die Leute dir auch glauben, und sie glauben nur demjenigen, der allgemein verehrt wird. Die Menschen sind einmal so, daß sie nach dem Schein gehen, und wer ihnen segensreich werden will, darf deshalb den Schein nicht verachten. Ich weiß sehr wohl, daß alle äußere Stellung nnr Tand ist und daß es ans die Wahrheit allein ankommt, aber wenn ich sehe, daß die Wahrheit nicht durchschlägt, wenn ihr die Reklame fehlt, so halte ich es für die Pflicht eines bedeutenden Mannes, Reklame zu machen. Das ist wohl nicht schön ge¬ sagt, aber ich weiß mich einmal nicht so auszudrücken, wie es dir passen würde. Ich will nur sagen, daß jemand, der wirken will, zunächst dem Urteile der Welt zu Gefallen sein sollte, und dann, wenn er so gestellt ist, daß er alles sagen darf, daun mit seiner währen Meinung hervortreten sollte. Denn dann wird man ihm auch solche Dinge glauben, die ihm als niedrigstehenden mir Ver¬ achtung eintragen würden. Eva, Eva, entgegnete er lächelnd, hast dn nach sechsundzwanzigjähriger Ehe noch nicht gemerkt, daß ich deine Aepfel uicht nehme? Sag mir nicht so bittere Dinge. Ich bin dir immer eine treue Gattin gewesen und habe dir und unsern Kindern durch meine von dir verachtete Welt- klugheit oft genützt. Wie wollte ich das leugnen? sagte er freundlich und fuhr wieder zärtlich über ihr Haar hin. Du heiratetest mich, als ich so arm war wie eine Kirchenmaus, und du dachtest in deinem Edelmute nicht an die Nachteile, die eine so elende Partie dir bringen mußte. Ich fürchte fast, du hättest mich nicht genommen, wenn ich nicht eine gar so sehr des Mitleidens würdige Figur gespielt hätte. Bist du doch so wenig angreifbar für gewöhnliche irdische Empfindungen! Es schien dir nicht einmal recht zu sein, als ich einiges Vermögen erbte und als wir in den Stand gesetzt wurden, unser Leben bequemer einzurichten. Du behieltest immer deine alte Einfachheit bei, als wären wir die ärmsten Leute, Ich will darüber nicht mit dir streiten, aber daß wir unsern Kindern eine bessere Zukunft sichern können, das muß dich doch auch freuen. ' Ob das Leben des Menschen ein besseres oder schlechteres war, das sieht man, wenn er stirbt. Clara zuckte unmutig. Es muß dir doch lieb sein, sagte sie, daß unser Alfons in eine vornehme Carriere gekommen ist, und du kannst nicht verlangen, daß auch er wie du und Ephraim ein Weltweiser sei. Du hast immer etwas auf Nlfous, aber mir ist es lieb, daß er ist, wie er ist, lebenslustig und energisch. Ein braver Mann kann er darum doch bleiben, wenn er auch ein flotter Offizier ist. Der Gelehrte wiegte den Kopf. Alfons ist ein schwankendes Rohr, sagte er, und er ist vielen Verführtingen ausgesetzt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/54>, abgerufen am 01.07.2024.