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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte während des letzten Jahrzehnts.

Stadion --' alles das hat sich nicht bloß seiner ehemaligen Lage, sondern großen¬
teils auch seiner Konstruktion und Bauart nach wieder konstatiren lassen, sodaß
wir in der That, abgesehen von der Akropolis zu Athen und neuerdings von
der zu Pergamon, keine Stätte althellenischer Lebens so genau kennen, wie
Olympia. Allein es ist nicht unsre Aufgabe, auf alles dies an dieser Stelle
näher einzugehen, wir haben es hier speziell mit den Werken der bildenden Kunst
zuthun; und wenn wir da absehen von den zahlreichen kleineren Funden aller
Zeiten und Stile, von hocharchaischen Bronzen, altertümlichen Reliefs und
Terrakotten, vou mancherlei Resten aus den besten Zeiten der Kunst wie aus
der Diadochenperivde, von Porträtstatueu aus der römischen Kaiserzeit u, s. w.,
so sind es vornehmlich drei Schöpfungen der Skulptur, welche unter den dortigen
Funden unser Hauptinteresse in Anspruch nehmen: der Skulpturenschmuck des
Zeustempels, die Nike des Paionios und der Hermes des Praxiteles. Vor allem
handelt es sich hier um den bildnerischen Schmuck des Zeustempels, d. h, um
Metopen und Giebelfelder. Diese Werke waren es ja, auf welche man es bei
den Nachgrabungen besonders abgesehen hatte; hier war auch die Ausbeute am
reichste" und in Wahrheit unerwartet -- freilich unerwartet nicht bloß in
Bezug auf ihre Reichhaltigkeit und Vollständigkeit, sondern noch mehr hin¬
sichtlich der durch die Ausführung und den Stil der Werke sich ergebenden
Probleme.

Um zu begreifen, wie es kommt, daß diese neugefundenen Denkmäler so
überraschend, um nicht zu sagen verblüffend wirkten, ist es notwendig, daß wir
uns vergegenwärtigen, was man vor Beginn der Ausgrabungen Positives über
diese Werke wußte und was man zu finden hoffte. Unsre Nachrichten über den
bildnerischen Schmuck des Tempels stamme" ans Pausanias. Dieser beschreibt
den Tempel ziemlich genau. Er sührt die Reliefs der Metopen an, und zwar
nennt er hierfür elf Thaten des Herakles; warum nicht auch die zwölfte, darauf
hatte mau mannichfaltige Antworten bereit. Ferner berichtet er, daß im Ost¬
giebel der Wettkampf des Pelops und Oinomaos dargestellt war, im Westgicbel
aber der Kampf der Lapithen mit den Kentauren. Die Beschreibung, welche er
vo" beiden Giebel" giebt, schien für den Ostgiebel vvllstündig zu sein; beim West¬
giebel lag es am Tage, daß er nnr einige Gruppen desselben nannte, keines¬
wegs aber Vollständigkeit bei seiner Beschreibung beabsichtigte. Als Meister
des Ostgiebels nennt er den Paionios von Meute (in Thrakien), als den des
Westgicbels den Athener Alkamcnes. Zu diesen schriftlichen Überlieferungen
kamen einige schon früher gefundene Neste der Skulpturen hinzu. Die im Jahre
1829 durch die französische Expedition nach Morea begonnenen, aber sehr bald
wieder sistirten Ausgrabungen beim Zeustempel hatten zwei größere Stücke von
Metopen (Herakles mit dem kretischen Stier und eine bald als Athene, bald
als Nymphe von Stymphalos gedeutete Frauengestalt) nebst unbedeutenden
Fragmenten von andern zu Tage gefördert. Was war nun die Ansicht der


Die Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte während des letzten Jahrzehnts.

Stadion —' alles das hat sich nicht bloß seiner ehemaligen Lage, sondern großen¬
teils auch seiner Konstruktion und Bauart nach wieder konstatiren lassen, sodaß
wir in der That, abgesehen von der Akropolis zu Athen und neuerdings von
der zu Pergamon, keine Stätte althellenischer Lebens so genau kennen, wie
Olympia. Allein es ist nicht unsre Aufgabe, auf alles dies an dieser Stelle
näher einzugehen, wir haben es hier speziell mit den Werken der bildenden Kunst
zuthun; und wenn wir da absehen von den zahlreichen kleineren Funden aller
Zeiten und Stile, von hocharchaischen Bronzen, altertümlichen Reliefs und
Terrakotten, vou mancherlei Resten aus den besten Zeiten der Kunst wie aus
der Diadochenperivde, von Porträtstatueu aus der römischen Kaiserzeit u, s. w.,
so sind es vornehmlich drei Schöpfungen der Skulptur, welche unter den dortigen
Funden unser Hauptinteresse in Anspruch nehmen: der Skulpturenschmuck des
Zeustempels, die Nike des Paionios und der Hermes des Praxiteles. Vor allem
handelt es sich hier um den bildnerischen Schmuck des Zeustempels, d. h, um
Metopen und Giebelfelder. Diese Werke waren es ja, auf welche man es bei
den Nachgrabungen besonders abgesehen hatte; hier war auch die Ausbeute am
reichste» und in Wahrheit unerwartet — freilich unerwartet nicht bloß in
Bezug auf ihre Reichhaltigkeit und Vollständigkeit, sondern noch mehr hin¬
sichtlich der durch die Ausführung und den Stil der Werke sich ergebenden
Probleme.

Um zu begreifen, wie es kommt, daß diese neugefundenen Denkmäler so
überraschend, um nicht zu sagen verblüffend wirkten, ist es notwendig, daß wir
uns vergegenwärtigen, was man vor Beginn der Ausgrabungen Positives über
diese Werke wußte und was man zu finden hoffte. Unsre Nachrichten über den
bildnerischen Schmuck des Tempels stamme» ans Pausanias. Dieser beschreibt
den Tempel ziemlich genau. Er sührt die Reliefs der Metopen an, und zwar
nennt er hierfür elf Thaten des Herakles; warum nicht auch die zwölfte, darauf
hatte mau mannichfaltige Antworten bereit. Ferner berichtet er, daß im Ost¬
giebel der Wettkampf des Pelops und Oinomaos dargestellt war, im Westgicbel
aber der Kampf der Lapithen mit den Kentauren. Die Beschreibung, welche er
vo» beiden Giebel» giebt, schien für den Ostgiebel vvllstündig zu sein; beim West¬
giebel lag es am Tage, daß er nnr einige Gruppen desselben nannte, keines¬
wegs aber Vollständigkeit bei seiner Beschreibung beabsichtigte. Als Meister
des Ostgiebels nennt er den Paionios von Meute (in Thrakien), als den des
Westgicbels den Athener Alkamcnes. Zu diesen schriftlichen Überlieferungen
kamen einige schon früher gefundene Neste der Skulpturen hinzu. Die im Jahre
1829 durch die französische Expedition nach Morea begonnenen, aber sehr bald
wieder sistirten Ausgrabungen beim Zeustempel hatten zwei größere Stücke von
Metopen (Herakles mit dem kretischen Stier und eine bald als Athene, bald
als Nymphe von Stymphalos gedeutete Frauengestalt) nebst unbedeutenden
Fragmenten von andern zu Tage gefördert. Was war nun die Ansicht der


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[0549] Die Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte während des letzten Jahrzehnts. Stadion —' alles das hat sich nicht bloß seiner ehemaligen Lage, sondern großen¬ teils auch seiner Konstruktion und Bauart nach wieder konstatiren lassen, sodaß wir in der That, abgesehen von der Akropolis zu Athen und neuerdings von der zu Pergamon, keine Stätte althellenischer Lebens so genau kennen, wie Olympia. Allein es ist nicht unsre Aufgabe, auf alles dies an dieser Stelle näher einzugehen, wir haben es hier speziell mit den Werken der bildenden Kunst zuthun; und wenn wir da absehen von den zahlreichen kleineren Funden aller Zeiten und Stile, von hocharchaischen Bronzen, altertümlichen Reliefs und Terrakotten, vou mancherlei Resten aus den besten Zeiten der Kunst wie aus der Diadochenperivde, von Porträtstatueu aus der römischen Kaiserzeit u, s. w., so sind es vornehmlich drei Schöpfungen der Skulptur, welche unter den dortigen Funden unser Hauptinteresse in Anspruch nehmen: der Skulpturenschmuck des Zeustempels, die Nike des Paionios und der Hermes des Praxiteles. Vor allem handelt es sich hier um den bildnerischen Schmuck des Zeustempels, d. h, um Metopen und Giebelfelder. Diese Werke waren es ja, auf welche man es bei den Nachgrabungen besonders abgesehen hatte; hier war auch die Ausbeute am reichste» und in Wahrheit unerwartet — freilich unerwartet nicht bloß in Bezug auf ihre Reichhaltigkeit und Vollständigkeit, sondern noch mehr hin¬ sichtlich der durch die Ausführung und den Stil der Werke sich ergebenden Probleme. Um zu begreifen, wie es kommt, daß diese neugefundenen Denkmäler so überraschend, um nicht zu sagen verblüffend wirkten, ist es notwendig, daß wir uns vergegenwärtigen, was man vor Beginn der Ausgrabungen Positives über diese Werke wußte und was man zu finden hoffte. Unsre Nachrichten über den bildnerischen Schmuck des Tempels stamme» ans Pausanias. Dieser beschreibt den Tempel ziemlich genau. Er sührt die Reliefs der Metopen an, und zwar nennt er hierfür elf Thaten des Herakles; warum nicht auch die zwölfte, darauf hatte mau mannichfaltige Antworten bereit. Ferner berichtet er, daß im Ost¬ giebel der Wettkampf des Pelops und Oinomaos dargestellt war, im Westgicbel aber der Kampf der Lapithen mit den Kentauren. Die Beschreibung, welche er vo» beiden Giebel» giebt, schien für den Ostgiebel vvllstündig zu sein; beim West¬ giebel lag es am Tage, daß er nnr einige Gruppen desselben nannte, keines¬ wegs aber Vollständigkeit bei seiner Beschreibung beabsichtigte. Als Meister des Ostgiebels nennt er den Paionios von Meute (in Thrakien), als den des Westgicbels den Athener Alkamcnes. Zu diesen schriftlichen Überlieferungen kamen einige schon früher gefundene Neste der Skulpturen hinzu. Die im Jahre 1829 durch die französische Expedition nach Morea begonnenen, aber sehr bald wieder sistirten Ausgrabungen beim Zeustempel hatten zwei größere Stücke von Metopen (Herakles mit dem kretischen Stier und eine bald als Athene, bald als Nymphe von Stymphalos gedeutete Frauengestalt) nebst unbedeutenden Fragmenten von andern zu Tage gefördert. Was war nun die Ansicht der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/549>, abgerufen am 26.06.2024.