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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

Und immer habe er gelacht, sich mit jedem gemein gemacht und seine göttliche
Weisheit allezeit versteckt. Aber hätte man diesen Snail geöffnet, so hätte
man gesundem einen übermenschlichen Verstand, bewunderungswürdige Tugenden,
unbesiegbaren Mut, unvergleichliche Enthaltsamkeit, eine gewisse innere Be¬
friedigung, vollkommene Sicherheit seiner selbst und eine unglaubliche Verachtung
alles dessen, um was die Menschen wachen, laufen, sich mühen, Seefahrer und
kämpfen.

Die Dame empfand ein sichtbares Mißfallen an dieser Schilderung und
gab sich keine Mühe, es zu verbergen. Das Bild, welches von Sokrates ent¬
worfen wurde, imponirte ihr durchaus nicht, und Rabelais war ihr wider¬
wärtig. Sie beklagte tief den plebejischen Sinn ihres Mannes.

Das sind lauter Stiche uns mich, entgegnete sie, aber ich mochte wohl einmal
diese Wahrheit kennen lernen, von der du so viel Wesens machst. Wenn sie
etwas wert wäre, so würde sie doch auch wohl zu etwas führen. Es wird doch
alles seinem Werte nach gewürdigt in der Welt, und ich habe immer das Ge¬
rede über mangelnde Anerkennung von Seiten der Welt für ein testimonium
xiwxvrtMs der Einfalt und Ungeschicklichkeit gehalten. Muß mau sich denn
nur immer ablehnend verhalten? Ist denn alles nichts? Sind denn alle die
berühmten Männer der Wissenschaft, die in hohen, angesehenen Stellungen sind,
Sophisten, die sich um die Wahrheit uicht kümmern?

Meine geliebte Clara, sagte der kahlköpfige Mann, behaglich schmunzelnd
und den Bart streichelnd, du weißt vielleicht selbst nicht, wie gut du sprichst,
"ut wie sehr ich dasür dankbar sein muß, daß du dir die Mühe giebst, mich
immer von neuem wieder auf deu rechten Weg zu weisen, indem du hier in
meinem kleinen Arbeitszimmer die Rolle des ganzen großen Publikums übernimmst
und in deiner einzigen, kleinen, wohlgebildeten und verführerischen Person alles
das repräsentirst, was der Teufel Christo ans dem hohen Berge zeigte.

Die schöne Dame ward so von Aerger bewegt, daß ein Zittern ihren Körper
durchflog. Aber so mächtig war doch die Gewalt der Persönlichkeit ihres Mannes,
daß sie wiederum die Leidenschaft, von der sie dnrchtobt ward, bezwang und uach
einer Weile mit demütigem lind schmeichelndem Tone sagte: Du bist ein so gescheidter
Man, daß ich natürlich keine Disputation mit dir führen kann. Wenn ich
dergleichen sage, so ist es ja doch nur in dem Gefühl der Entrüstung darüber,
daß ein Mann wie du, der klüger und besser ist als alle, die ich kenne, nicht
so gewürdigt wird, wie er müßte. Und das ist anch kein selbstsüchtiges und
kleinliches Gefühl, denn du mußt mir selbst zugestehen, daß du für deine Mit¬
menschen mehr leisten könntest, wenn du in einer hohen Stellung wärest, wo
du deinen Ideen zum Wohle andrer Nachdruck geben könntest. Ein unbe¬
kannter Gelehrter kann die größten und tiefsten Wahrheiten lehren -- niemand
achtet darauf. Aber ein hochgestellter Mann, oder auch nur ein weltbekannter
Schriftsteller übt eine große Macht aus. Du kannst der Wahrheit nur daun


Bakchen und Thyrsosträger.

Und immer habe er gelacht, sich mit jedem gemein gemacht und seine göttliche
Weisheit allezeit versteckt. Aber hätte man diesen Snail geöffnet, so hätte
man gesundem einen übermenschlichen Verstand, bewunderungswürdige Tugenden,
unbesiegbaren Mut, unvergleichliche Enthaltsamkeit, eine gewisse innere Be¬
friedigung, vollkommene Sicherheit seiner selbst und eine unglaubliche Verachtung
alles dessen, um was die Menschen wachen, laufen, sich mühen, Seefahrer und
kämpfen.

Die Dame empfand ein sichtbares Mißfallen an dieser Schilderung und
gab sich keine Mühe, es zu verbergen. Das Bild, welches von Sokrates ent¬
worfen wurde, imponirte ihr durchaus nicht, und Rabelais war ihr wider¬
wärtig. Sie beklagte tief den plebejischen Sinn ihres Mannes.

Das sind lauter Stiche uns mich, entgegnete sie, aber ich mochte wohl einmal
diese Wahrheit kennen lernen, von der du so viel Wesens machst. Wenn sie
etwas wert wäre, so würde sie doch auch wohl zu etwas führen. Es wird doch
alles seinem Werte nach gewürdigt in der Welt, und ich habe immer das Ge¬
rede über mangelnde Anerkennung von Seiten der Welt für ein testimonium
xiwxvrtMs der Einfalt und Ungeschicklichkeit gehalten. Muß mau sich denn
nur immer ablehnend verhalten? Ist denn alles nichts? Sind denn alle die
berühmten Männer der Wissenschaft, die in hohen, angesehenen Stellungen sind,
Sophisten, die sich um die Wahrheit uicht kümmern?

Meine geliebte Clara, sagte der kahlköpfige Mann, behaglich schmunzelnd
und den Bart streichelnd, du weißt vielleicht selbst nicht, wie gut du sprichst,
»ut wie sehr ich dasür dankbar sein muß, daß du dir die Mühe giebst, mich
immer von neuem wieder auf deu rechten Weg zu weisen, indem du hier in
meinem kleinen Arbeitszimmer die Rolle des ganzen großen Publikums übernimmst
und in deiner einzigen, kleinen, wohlgebildeten und verführerischen Person alles
das repräsentirst, was der Teufel Christo ans dem hohen Berge zeigte.

Die schöne Dame ward so von Aerger bewegt, daß ein Zittern ihren Körper
durchflog. Aber so mächtig war doch die Gewalt der Persönlichkeit ihres Mannes,
daß sie wiederum die Leidenschaft, von der sie dnrchtobt ward, bezwang und uach
einer Weile mit demütigem lind schmeichelndem Tone sagte: Du bist ein so gescheidter
Man, daß ich natürlich keine Disputation mit dir führen kann. Wenn ich
dergleichen sage, so ist es ja doch nur in dem Gefühl der Entrüstung darüber,
daß ein Mann wie du, der klüger und besser ist als alle, die ich kenne, nicht
so gewürdigt wird, wie er müßte. Und das ist anch kein selbstsüchtiges und
kleinliches Gefühl, denn du mußt mir selbst zugestehen, daß du für deine Mit¬
menschen mehr leisten könntest, wenn du in einer hohen Stellung wärest, wo
du deinen Ideen zum Wohle andrer Nachdruck geben könntest. Ein unbe¬
kannter Gelehrter kann die größten und tiefsten Wahrheiten lehren — niemand
achtet darauf. Aber ein hochgestellter Mann, oder auch nur ein weltbekannter
Schriftsteller übt eine große Macht aus. Du kannst der Wahrheit nur daun


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/53>, abgerufen am 01.07.2024.