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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Zur verwaltungsreforin in Preußen.

eine gewisse Maximalgrenze erreicht hat. Jede weitere Vermehrung erschwert
dann die Übersichtlichkeit des Ganzen, vermehrt die Schwerfälligkeit des Appa¬
rates, macht den Geschäftsgang schon dnrch das Umherwandern der Akten von
einem Bureau zum andern, durch die Zeitvergeudung bei der Distribution der
Eingänge, durch die Einholuug der Unterschriften u. s, w, bedeutend schleppender,
gestaltet die Verantwortlichkeit des Dirigenten, der den ganzen Mechanismus
in allen Einzelheiten unmöglich mehr übersehen, geschweige denn mit dem Ge¬
präge seines Geistes allseitig durchdringen kann, sondern schließlich gezwungen ist,
lediglich durch die Brille der speziellen Dezernenten zu sehen, immer mehr zu einer
bloß formalen, kurz, führt zu den erheblichsten Unzuträglichsten des Dienst¬
betriebes. In diesem Falle hätte man sich zweifellos und unstreitig befunden,
nicht bloß in Bezug auf die Ministerialinstanz, sondern namentlich auch bei den
Regierungen. Dies will aber etwas bedeuten. Denn in den Regierungen ruhte
recht eigentlich der Schwerpunkt der altpreußischen Verwaltung. Leider entsprach
aber ihre Organisation auch aus andern Gründen nicht mehr völlig den Be¬
dürfnissen der Zeit. Gerade bei der Schnelllebigkeit der Gegenwart ist das
schnelle Funktioniren der Verwaltnngsmaschinerie eine wesentliche Vorbedingung
für die Möglichkeit administrativer Leistungen. Zu einem solchen raschen, ent¬
schiedene" Eingreifen, wo es galt, deu Moment misznnntzen, waren die Regie¬
rungen vermöge ihrer Kollcgialverfnssnng wenig geeignet. Denn die kollegialische
Beschlußfassung bietet zwar einerseits die sicherste Gewähr für die gründliche
Durchberatung der Vorlage", die sorgfältigste Abwägung aller für oder wider
eine Entscheidung in Betracht kommenden Gesichtspunkte, bewirkt aber zugleich
eine Schwerfälligkeit und La"gsamkeit der Entschließung, welche einer straffen
Handhabung der staatlichen Exekutive, namentlich der kräftigen Entfaltung einer
polizeilichen Initiative nicht eben günstig ist, sowie sie auch, sobald nicht ent¬
sprechend wichtige Interessen auf dem Spiele stehen, eine nicht zu unterschätzende
Zeit- und Kraftvergeudung bedeutet. Endlich ist es für gewisse Fälle nicht ohne
Bedenken, daß sich die persönliche Verantwortlichkeit des einzelnen hinter dem
unpersönlichen Begriff des Kollegiums verstecken kann. Diese Mängel des
Systems wurde" allerdings durch eine verständige Praxis, zufolge deren jeder
Dezernent unter Leitung des Oberregiernngsrates sein Dezernat im wesent¬
lichen ohne Mitwirkung deS Kollegiums abarbeitete und nur in besonders
wichtigen Fällen den Rat desselben einholte, fast auf ein Nichts reduzirt.
Aber die beste Praxis konnte den weiteren Übelstand nicht beseitigen, daß die
Überfülle des den Regierungen zugewiesenen Details mit der großen räum¬
lichen Ausdehnung ihrer Bezirke nicht in richtigem Einklange stand. Kein
Dezernent befand sich in der Lage, überall diejenige persönliche Anschauung vom
Praktischen Leben, diejenige spezielle Lokalkenntnis in Bezug auf Personen und
Sachen zu gewinnen, welche im Interesse einer gedeihlichen Wirksamkeit wünschens-
wert gewesen wäre. Man blieb beim besten Willen vielfach auf die nicht ge-


Zur verwaltungsreforin in Preußen.

eine gewisse Maximalgrenze erreicht hat. Jede weitere Vermehrung erschwert
dann die Übersichtlichkeit des Ganzen, vermehrt die Schwerfälligkeit des Appa¬
rates, macht den Geschäftsgang schon dnrch das Umherwandern der Akten von
einem Bureau zum andern, durch die Zeitvergeudung bei der Distribution der
Eingänge, durch die Einholuug der Unterschriften u. s, w, bedeutend schleppender,
gestaltet die Verantwortlichkeit des Dirigenten, der den ganzen Mechanismus
in allen Einzelheiten unmöglich mehr übersehen, geschweige denn mit dem Ge¬
präge seines Geistes allseitig durchdringen kann, sondern schließlich gezwungen ist,
lediglich durch die Brille der speziellen Dezernenten zu sehen, immer mehr zu einer
bloß formalen, kurz, führt zu den erheblichsten Unzuträglichsten des Dienst¬
betriebes. In diesem Falle hätte man sich zweifellos und unstreitig befunden,
nicht bloß in Bezug auf die Ministerialinstanz, sondern namentlich auch bei den
Regierungen. Dies will aber etwas bedeuten. Denn in den Regierungen ruhte
recht eigentlich der Schwerpunkt der altpreußischen Verwaltung. Leider entsprach
aber ihre Organisation auch aus andern Gründen nicht mehr völlig den Be¬
dürfnissen der Zeit. Gerade bei der Schnelllebigkeit der Gegenwart ist das
schnelle Funktioniren der Verwaltnngsmaschinerie eine wesentliche Vorbedingung
für die Möglichkeit administrativer Leistungen. Zu einem solchen raschen, ent¬
schiedene» Eingreifen, wo es galt, deu Moment misznnntzen, waren die Regie¬
rungen vermöge ihrer Kollcgialverfnssnng wenig geeignet. Denn die kollegialische
Beschlußfassung bietet zwar einerseits die sicherste Gewähr für die gründliche
Durchberatung der Vorlage», die sorgfältigste Abwägung aller für oder wider
eine Entscheidung in Betracht kommenden Gesichtspunkte, bewirkt aber zugleich
eine Schwerfälligkeit und La»gsamkeit der Entschließung, welche einer straffen
Handhabung der staatlichen Exekutive, namentlich der kräftigen Entfaltung einer
polizeilichen Initiative nicht eben günstig ist, sowie sie auch, sobald nicht ent¬
sprechend wichtige Interessen auf dem Spiele stehen, eine nicht zu unterschätzende
Zeit- und Kraftvergeudung bedeutet. Endlich ist es für gewisse Fälle nicht ohne
Bedenken, daß sich die persönliche Verantwortlichkeit des einzelnen hinter dem
unpersönlichen Begriff des Kollegiums verstecken kann. Diese Mängel des
Systems wurde» allerdings durch eine verständige Praxis, zufolge deren jeder
Dezernent unter Leitung des Oberregiernngsrates sein Dezernat im wesent¬
lichen ohne Mitwirkung deS Kollegiums abarbeitete und nur in besonders
wichtigen Fällen den Rat desselben einholte, fast auf ein Nichts reduzirt.
Aber die beste Praxis konnte den weiteren Übelstand nicht beseitigen, daß die
Überfülle des den Regierungen zugewiesenen Details mit der großen räum¬
lichen Ausdehnung ihrer Bezirke nicht in richtigem Einklange stand. Kein
Dezernent befand sich in der Lage, überall diejenige persönliche Anschauung vom
Praktischen Leben, diejenige spezielle Lokalkenntnis in Bezug auf Personen und
Sachen zu gewinnen, welche im Interesse einer gedeihlichen Wirksamkeit wünschens-
wert gewesen wäre. Man blieb beim besten Willen vielfach auf die nicht ge-


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[0539] Zur verwaltungsreforin in Preußen. eine gewisse Maximalgrenze erreicht hat. Jede weitere Vermehrung erschwert dann die Übersichtlichkeit des Ganzen, vermehrt die Schwerfälligkeit des Appa¬ rates, macht den Geschäftsgang schon dnrch das Umherwandern der Akten von einem Bureau zum andern, durch die Zeitvergeudung bei der Distribution der Eingänge, durch die Einholuug der Unterschriften u. s, w, bedeutend schleppender, gestaltet die Verantwortlichkeit des Dirigenten, der den ganzen Mechanismus in allen Einzelheiten unmöglich mehr übersehen, geschweige denn mit dem Ge¬ präge seines Geistes allseitig durchdringen kann, sondern schließlich gezwungen ist, lediglich durch die Brille der speziellen Dezernenten zu sehen, immer mehr zu einer bloß formalen, kurz, führt zu den erheblichsten Unzuträglichsten des Dienst¬ betriebes. In diesem Falle hätte man sich zweifellos und unstreitig befunden, nicht bloß in Bezug auf die Ministerialinstanz, sondern namentlich auch bei den Regierungen. Dies will aber etwas bedeuten. Denn in den Regierungen ruhte recht eigentlich der Schwerpunkt der altpreußischen Verwaltung. Leider entsprach aber ihre Organisation auch aus andern Gründen nicht mehr völlig den Be¬ dürfnissen der Zeit. Gerade bei der Schnelllebigkeit der Gegenwart ist das schnelle Funktioniren der Verwaltnngsmaschinerie eine wesentliche Vorbedingung für die Möglichkeit administrativer Leistungen. Zu einem solchen raschen, ent¬ schiedene» Eingreifen, wo es galt, deu Moment misznnntzen, waren die Regie¬ rungen vermöge ihrer Kollcgialverfnssnng wenig geeignet. Denn die kollegialische Beschlußfassung bietet zwar einerseits die sicherste Gewähr für die gründliche Durchberatung der Vorlage», die sorgfältigste Abwägung aller für oder wider eine Entscheidung in Betracht kommenden Gesichtspunkte, bewirkt aber zugleich eine Schwerfälligkeit und La»gsamkeit der Entschließung, welche einer straffen Handhabung der staatlichen Exekutive, namentlich der kräftigen Entfaltung einer polizeilichen Initiative nicht eben günstig ist, sowie sie auch, sobald nicht ent¬ sprechend wichtige Interessen auf dem Spiele stehen, eine nicht zu unterschätzende Zeit- und Kraftvergeudung bedeutet. Endlich ist es für gewisse Fälle nicht ohne Bedenken, daß sich die persönliche Verantwortlichkeit des einzelnen hinter dem unpersönlichen Begriff des Kollegiums verstecken kann. Diese Mängel des Systems wurde» allerdings durch eine verständige Praxis, zufolge deren jeder Dezernent unter Leitung des Oberregiernngsrates sein Dezernat im wesent¬ lichen ohne Mitwirkung deS Kollegiums abarbeitete und nur in besonders wichtigen Fällen den Rat desselben einholte, fast auf ein Nichts reduzirt. Aber die beste Praxis konnte den weiteren Übelstand nicht beseitigen, daß die Überfülle des den Regierungen zugewiesenen Details mit der großen räum¬ lichen Ausdehnung ihrer Bezirke nicht in richtigem Einklange stand. Kein Dezernent befand sich in der Lage, überall diejenige persönliche Anschauung vom Praktischen Leben, diejenige spezielle Lokalkenntnis in Bezug auf Personen und Sachen zu gewinnen, welche im Interesse einer gedeihlichen Wirksamkeit wünschens- wert gewesen wäre. Man blieb beim besten Willen vielfach auf die nicht ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/539>, abgerufen am 26.06.2024.