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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Zur Verwaltungsreform in Preußen.

manche neue Aufgabe ihrer Lösung, speziell für Preußen eine solche vou emi¬
nenter Wichtigkeit: die Reform der innern Verwaltung. Zwar ist auch hier
die Hand angelegt, ein gutes Stück Arbeit bereits gethan; indessen noch fehlt
viel, daß die Sache zum Abschluß gediehen wäre. Gerade im gegeuwcirtigeu
Moment aber, wo die einschlägigen Fragen nach der Ankündigung der Thron¬
rede bald wieder unsere parlamentarischen Körperschaften beschäftigen werde",
dürften einige Betrachtungen über dies Thema auch in weiteren Kreisen wohl
Interesse erregen. Je mehr die Probleme öffentlich diskutirt werden, desto mehr
klären sich ja die Ansichten.

Zielbewußte Reformbestrebungen sind nicht denkbar ohne klare Einsicht in
die Mängel des bestehenden Zustandes. Wer also über die schwebenden Fragen
ein selbständiges Urteil gewinnen will, muß sich zuerst die Frage vorlegen: Worin
besteht oder bestand das Reformbedürftig? Eine Antwort auf diese Frage ist
leicht gegeben. Den äußern Ausgangspunkt für die ganze Bewegung bildet un¬
verkennbar die Annexion des Jahres 1866. Es galt damals die neu erworbenen
Landesteile den alten Provinzen zu assimiliren, sie als organische Bestandteile
dem festen Gefüge des preußischen Staatswesens einzuverleiben. Dazu gehörte
selbstverständlich die Durchdringung aller Teile der Monarchie mit dem einheit¬
lichen Staatsgedanken auch auf dem Gebiete der innern Verwaltung. Letztere
war aber selbst in den alten Provinzen nicht völlig übereinstimmend organisirt.
Eine einfache Übertragung altpreußischer Einrichtungen verbot sich, auch
abgesehen hiervon, schon aus staatSmiinnischen Rücksichten. Mau sand zum Teil
alte historische Traditionen vor, die man nicht ignoriren konnte; man trat Ver¬
hältnissen gegenüber, auf welche die altpreußischen Einrichtungen nicht ohne
weiteres zugeschnitten waren. Zudem ist jede, selbst die vollkommenste mensch¬
liche Institution der Verbesserung fähig. Man konnte mithin keine der in einem
Landesteile etwa bestehenden Organisationen auf die andern Teile übertragen,
ohne gleichzeitig die Unvollkommenheiten derselben auszuscheiden. Schon diese
Sachlage allein hätte einen mächtigen Anstoß für die Einleitung einer allgemeinen
Reform abgeben müssen, selbst wenn das innerliche Bedürfnis an sich nicht so
dringend gewesen wäre, wie es in der That war.

Indessen man braucht nur an die zu Anfang von uus vorausgeschickten
Sätze zu denken, um es ohne weiteres begreiflich zu finden, daß es auch an
innern Gründen für die Notwendigkeit einer Reform nicht fehlen konnte. Die
mit schnell wachsender Progression zunehmende Intensität des Verkehrslebens
stellte mit jedem Tage erhöhte Ansprüche an die administrative Thätigkeit, welche
beiläufig für die letzte Zentralinstanz, das Ministerium des Innern, durch den
Gebietszuwachs noch außerdem gestiegen war. Bloß dnrch eine der gesteigerten
Arbeitslast der einzelnen Behörden entsprechende Vermehrung ihres Beamten-
Personals war Abhilfe nicht zu schaffen. Denn dieses Auskunftsmittel versagt
den Dienst, sobald die Zahl der zu einer Behörde zusammengehäuften Beamten


Zur Verwaltungsreform in Preußen.

manche neue Aufgabe ihrer Lösung, speziell für Preußen eine solche vou emi¬
nenter Wichtigkeit: die Reform der innern Verwaltung. Zwar ist auch hier
die Hand angelegt, ein gutes Stück Arbeit bereits gethan; indessen noch fehlt
viel, daß die Sache zum Abschluß gediehen wäre. Gerade im gegeuwcirtigeu
Moment aber, wo die einschlägigen Fragen nach der Ankündigung der Thron¬
rede bald wieder unsere parlamentarischen Körperschaften beschäftigen werde»,
dürften einige Betrachtungen über dies Thema auch in weiteren Kreisen wohl
Interesse erregen. Je mehr die Probleme öffentlich diskutirt werden, desto mehr
klären sich ja die Ansichten.

Zielbewußte Reformbestrebungen sind nicht denkbar ohne klare Einsicht in
die Mängel des bestehenden Zustandes. Wer also über die schwebenden Fragen
ein selbständiges Urteil gewinnen will, muß sich zuerst die Frage vorlegen: Worin
besteht oder bestand das Reformbedürftig? Eine Antwort auf diese Frage ist
leicht gegeben. Den äußern Ausgangspunkt für die ganze Bewegung bildet un¬
verkennbar die Annexion des Jahres 1866. Es galt damals die neu erworbenen
Landesteile den alten Provinzen zu assimiliren, sie als organische Bestandteile
dem festen Gefüge des preußischen Staatswesens einzuverleiben. Dazu gehörte
selbstverständlich die Durchdringung aller Teile der Monarchie mit dem einheit¬
lichen Staatsgedanken auch auf dem Gebiete der innern Verwaltung. Letztere
war aber selbst in den alten Provinzen nicht völlig übereinstimmend organisirt.
Eine einfache Übertragung altpreußischer Einrichtungen verbot sich, auch
abgesehen hiervon, schon aus staatSmiinnischen Rücksichten. Mau sand zum Teil
alte historische Traditionen vor, die man nicht ignoriren konnte; man trat Ver¬
hältnissen gegenüber, auf welche die altpreußischen Einrichtungen nicht ohne
weiteres zugeschnitten waren. Zudem ist jede, selbst die vollkommenste mensch¬
liche Institution der Verbesserung fähig. Man konnte mithin keine der in einem
Landesteile etwa bestehenden Organisationen auf die andern Teile übertragen,
ohne gleichzeitig die Unvollkommenheiten derselben auszuscheiden. Schon diese
Sachlage allein hätte einen mächtigen Anstoß für die Einleitung einer allgemeinen
Reform abgeben müssen, selbst wenn das innerliche Bedürfnis an sich nicht so
dringend gewesen wäre, wie es in der That war.

Indessen man braucht nur an die zu Anfang von uus vorausgeschickten
Sätze zu denken, um es ohne weiteres begreiflich zu finden, daß es auch an
innern Gründen für die Notwendigkeit einer Reform nicht fehlen konnte. Die
mit schnell wachsender Progression zunehmende Intensität des Verkehrslebens
stellte mit jedem Tage erhöhte Ansprüche an die administrative Thätigkeit, welche
beiläufig für die letzte Zentralinstanz, das Ministerium des Innern, durch den
Gebietszuwachs noch außerdem gestiegen war. Bloß dnrch eine der gesteigerten
Arbeitslast der einzelnen Behörden entsprechende Vermehrung ihres Beamten-
Personals war Abhilfe nicht zu schaffen. Denn dieses Auskunftsmittel versagt
den Dienst, sobald die Zahl der zu einer Behörde zusammengehäuften Beamten


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[0538] Zur Verwaltungsreform in Preußen. manche neue Aufgabe ihrer Lösung, speziell für Preußen eine solche vou emi¬ nenter Wichtigkeit: die Reform der innern Verwaltung. Zwar ist auch hier die Hand angelegt, ein gutes Stück Arbeit bereits gethan; indessen noch fehlt viel, daß die Sache zum Abschluß gediehen wäre. Gerade im gegeuwcirtigeu Moment aber, wo die einschlägigen Fragen nach der Ankündigung der Thron¬ rede bald wieder unsere parlamentarischen Körperschaften beschäftigen werde», dürften einige Betrachtungen über dies Thema auch in weiteren Kreisen wohl Interesse erregen. Je mehr die Probleme öffentlich diskutirt werden, desto mehr klären sich ja die Ansichten. Zielbewußte Reformbestrebungen sind nicht denkbar ohne klare Einsicht in die Mängel des bestehenden Zustandes. Wer also über die schwebenden Fragen ein selbständiges Urteil gewinnen will, muß sich zuerst die Frage vorlegen: Worin besteht oder bestand das Reformbedürftig? Eine Antwort auf diese Frage ist leicht gegeben. Den äußern Ausgangspunkt für die ganze Bewegung bildet un¬ verkennbar die Annexion des Jahres 1866. Es galt damals die neu erworbenen Landesteile den alten Provinzen zu assimiliren, sie als organische Bestandteile dem festen Gefüge des preußischen Staatswesens einzuverleiben. Dazu gehörte selbstverständlich die Durchdringung aller Teile der Monarchie mit dem einheit¬ lichen Staatsgedanken auch auf dem Gebiete der innern Verwaltung. Letztere war aber selbst in den alten Provinzen nicht völlig übereinstimmend organisirt. Eine einfache Übertragung altpreußischer Einrichtungen verbot sich, auch abgesehen hiervon, schon aus staatSmiinnischen Rücksichten. Mau sand zum Teil alte historische Traditionen vor, die man nicht ignoriren konnte; man trat Ver¬ hältnissen gegenüber, auf welche die altpreußischen Einrichtungen nicht ohne weiteres zugeschnitten waren. Zudem ist jede, selbst die vollkommenste mensch¬ liche Institution der Verbesserung fähig. Man konnte mithin keine der in einem Landesteile etwa bestehenden Organisationen auf die andern Teile übertragen, ohne gleichzeitig die Unvollkommenheiten derselben auszuscheiden. Schon diese Sachlage allein hätte einen mächtigen Anstoß für die Einleitung einer allgemeinen Reform abgeben müssen, selbst wenn das innerliche Bedürfnis an sich nicht so dringend gewesen wäre, wie es in der That war. Indessen man braucht nur an die zu Anfang von uus vorausgeschickten Sätze zu denken, um es ohne weiteres begreiflich zu finden, daß es auch an innern Gründen für die Notwendigkeit einer Reform nicht fehlen konnte. Die mit schnell wachsender Progression zunehmende Intensität des Verkehrslebens stellte mit jedem Tage erhöhte Ansprüche an die administrative Thätigkeit, welche beiläufig für die letzte Zentralinstanz, das Ministerium des Innern, durch den Gebietszuwachs noch außerdem gestiegen war. Bloß dnrch eine der gesteigerten Arbeitslast der einzelnen Behörden entsprechende Vermehrung ihres Beamten- Personals war Abhilfe nicht zu schaffen. Denn dieses Auskunftsmittel versagt den Dienst, sobald die Zahl der zu einer Behörde zusammengehäuften Beamten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/538>, abgerufen am 26.06.2024.