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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

bald blau, bald rot, bald gelb vorkam und er dazu die Erklärungen der Ordens-
bücher chaotisch mit der Lehre Goethes vermischte, daß die Farben leine Licht-
erscheinungen, sondern nur verschiedene Arten von Schatten seien, das Licht
selbst aber weiß. Er hatte nämlich vor kurzem einen bedeutenden Gelehrten über
Goethes Farbenlehre sprechen hören. Der Gelehrte hatte dieselbe als wissen¬
schaftlich überwunden belächelt, aber so wie im Gedächtnis des alten Freiherrn
von den im Reichstage gehaltenen Reden nur die des Fürsten Bismarck zurück¬
zubleiben pflegten, so war darin auch von der Fnrbenthevrie nichts hängen ge¬
blieben als der Goethesche Gedanke. Er quälte sich nun im Traume mit dem
Gedanken ab, ob er wohl, von dem Ordensbande allein gehalten, das große
Meer werde Passiren können. Und es kam eine große Welle, und er war voll
entsetzlicher Angst des Ertrinkens, da packte ihn eine Faust, und er sah sich
in einem von hohen Mauern umgebenen Hofe am Boden liegen, über sich die
weißen Zähne und das blinkende Messer eines schwarzen Mannes.

Das sind ärgerliche Sachen, dachte der Alte, im Traum selbst an dessen
Wirklichkeit nicht recht glaubend, gewiß, wenn ich dein Nigger einen Spiegel,
ein Taschenmesser oder ein Korallenhalsband geben könnte, ließe er mich los.

Aber er konnte seine Arme nicht emporbringen und bemerkte nun mit
steigendem Angstgefühl, daß der Hof sich mit schwarzen Gestalten füllte, zwischen
denen sein Bruder und dessen ganze Familie sich bewegten, ohne ihre kalten, starren
Gesichter ihm, dem an: Boden liegenden, zuzuwenden, während er selbst sich wunderte,
daß er wußte, diese ihm unbekannten kleinen Geschöpfe seien seines Bruders Kinder.
In diesem Augenblicke ward der Druck der schwarzen Faust auf seiner Schulter
immer fühlbarer und so beängstigend, daß er erwachte.

Er atmete tief und sah seinen Sohn vor sich stehen, der, um ihn zu wecken,
die Hand auf seine Schulter gelegt hatte.

O, Amadeus, meine Seele ist betrübt um meinen Bruder Benjamin, sagte
der Alte, noch halb im Schlaf befangen.

Die Augen des Sohnes leuchteten in einem düstern Feuer, aber er schwieg.

Sage mir, Amadeus, was du noch weißt von meines Bruders Kind. Ich
will mich seiner annehmen und sein Vater sein.

Das fehlte noch, entgegnete der Sohn. Ich dächte, wir hätten schon genug
widerwärtige Verwandtenbagage auf dem Halse.

Amadeus, wie redest du! rief der Alte erschreckt.

Diese Sängerin kann uns keine Ehre bringen, fuhr jener fort. Wer weiß,
was das saubere Stück schon für Fahrten vollführt hat, seit es als Kind von
Cuba geflüchtet und in aller Welt herumgekommen ist. Schon die Halsband¬
geschichte allein würde genügen, uns für immer lächerlich zu machen, wenn wir
diese nette Cousine anerkennen wollten. Wir müssen so schon alles aufbieten,
die Geschichte zu ersticken, damit nicht gegen unsern Willen die Abkunft dieser
Cubancrin öffentlich wird. Ich habe vorläufig an alle Blätter, die von uns


Bakchen und Thyrsosträger.

bald blau, bald rot, bald gelb vorkam und er dazu die Erklärungen der Ordens-
bücher chaotisch mit der Lehre Goethes vermischte, daß die Farben leine Licht-
erscheinungen, sondern nur verschiedene Arten von Schatten seien, das Licht
selbst aber weiß. Er hatte nämlich vor kurzem einen bedeutenden Gelehrten über
Goethes Farbenlehre sprechen hören. Der Gelehrte hatte dieselbe als wissen¬
schaftlich überwunden belächelt, aber so wie im Gedächtnis des alten Freiherrn
von den im Reichstage gehaltenen Reden nur die des Fürsten Bismarck zurück¬
zubleiben pflegten, so war darin auch von der Fnrbenthevrie nichts hängen ge¬
blieben als der Goethesche Gedanke. Er quälte sich nun im Traume mit dem
Gedanken ab, ob er wohl, von dem Ordensbande allein gehalten, das große
Meer werde Passiren können. Und es kam eine große Welle, und er war voll
entsetzlicher Angst des Ertrinkens, da packte ihn eine Faust, und er sah sich
in einem von hohen Mauern umgebenen Hofe am Boden liegen, über sich die
weißen Zähne und das blinkende Messer eines schwarzen Mannes.

Das sind ärgerliche Sachen, dachte der Alte, im Traum selbst an dessen
Wirklichkeit nicht recht glaubend, gewiß, wenn ich dein Nigger einen Spiegel,
ein Taschenmesser oder ein Korallenhalsband geben könnte, ließe er mich los.

Aber er konnte seine Arme nicht emporbringen und bemerkte nun mit
steigendem Angstgefühl, daß der Hof sich mit schwarzen Gestalten füllte, zwischen
denen sein Bruder und dessen ganze Familie sich bewegten, ohne ihre kalten, starren
Gesichter ihm, dem an: Boden liegenden, zuzuwenden, während er selbst sich wunderte,
daß er wußte, diese ihm unbekannten kleinen Geschöpfe seien seines Bruders Kinder.
In diesem Augenblicke ward der Druck der schwarzen Faust auf seiner Schulter
immer fühlbarer und so beängstigend, daß er erwachte.

Er atmete tief und sah seinen Sohn vor sich stehen, der, um ihn zu wecken,
die Hand auf seine Schulter gelegt hatte.

O, Amadeus, meine Seele ist betrübt um meinen Bruder Benjamin, sagte
der Alte, noch halb im Schlaf befangen.

Die Augen des Sohnes leuchteten in einem düstern Feuer, aber er schwieg.

Sage mir, Amadeus, was du noch weißt von meines Bruders Kind. Ich
will mich seiner annehmen und sein Vater sein.

Das fehlte noch, entgegnete der Sohn. Ich dächte, wir hätten schon genug
widerwärtige Verwandtenbagage auf dem Halse.

Amadeus, wie redest du! rief der Alte erschreckt.

Diese Sängerin kann uns keine Ehre bringen, fuhr jener fort. Wer weiß,
was das saubere Stück schon für Fahrten vollführt hat, seit es als Kind von
Cuba geflüchtet und in aller Welt herumgekommen ist. Schon die Halsband¬
geschichte allein würde genügen, uns für immer lächerlich zu machen, wenn wir
diese nette Cousine anerkennen wollten. Wir müssen so schon alles aufbieten,
die Geschichte zu ersticken, damit nicht gegen unsern Willen die Abkunft dieser
Cubancrin öffentlich wird. Ich habe vorläufig an alle Blätter, die von uns


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[0532] Bakchen und Thyrsosträger. bald blau, bald rot, bald gelb vorkam und er dazu die Erklärungen der Ordens- bücher chaotisch mit der Lehre Goethes vermischte, daß die Farben leine Licht- erscheinungen, sondern nur verschiedene Arten von Schatten seien, das Licht selbst aber weiß. Er hatte nämlich vor kurzem einen bedeutenden Gelehrten über Goethes Farbenlehre sprechen hören. Der Gelehrte hatte dieselbe als wissen¬ schaftlich überwunden belächelt, aber so wie im Gedächtnis des alten Freiherrn von den im Reichstage gehaltenen Reden nur die des Fürsten Bismarck zurück¬ zubleiben pflegten, so war darin auch von der Fnrbenthevrie nichts hängen ge¬ blieben als der Goethesche Gedanke. Er quälte sich nun im Traume mit dem Gedanken ab, ob er wohl, von dem Ordensbande allein gehalten, das große Meer werde Passiren können. Und es kam eine große Welle, und er war voll entsetzlicher Angst des Ertrinkens, da packte ihn eine Faust, und er sah sich in einem von hohen Mauern umgebenen Hofe am Boden liegen, über sich die weißen Zähne und das blinkende Messer eines schwarzen Mannes. Das sind ärgerliche Sachen, dachte der Alte, im Traum selbst an dessen Wirklichkeit nicht recht glaubend, gewiß, wenn ich dein Nigger einen Spiegel, ein Taschenmesser oder ein Korallenhalsband geben könnte, ließe er mich los. Aber er konnte seine Arme nicht emporbringen und bemerkte nun mit steigendem Angstgefühl, daß der Hof sich mit schwarzen Gestalten füllte, zwischen denen sein Bruder und dessen ganze Familie sich bewegten, ohne ihre kalten, starren Gesichter ihm, dem an: Boden liegenden, zuzuwenden, während er selbst sich wunderte, daß er wußte, diese ihm unbekannten kleinen Geschöpfe seien seines Bruders Kinder. In diesem Augenblicke ward der Druck der schwarzen Faust auf seiner Schulter immer fühlbarer und so beängstigend, daß er erwachte. Er atmete tief und sah seinen Sohn vor sich stehen, der, um ihn zu wecken, die Hand auf seine Schulter gelegt hatte. O, Amadeus, meine Seele ist betrübt um meinen Bruder Benjamin, sagte der Alte, noch halb im Schlaf befangen. Die Augen des Sohnes leuchteten in einem düstern Feuer, aber er schwieg. Sage mir, Amadeus, was du noch weißt von meines Bruders Kind. Ich will mich seiner annehmen und sein Vater sein. Das fehlte noch, entgegnete der Sohn. Ich dächte, wir hätten schon genug widerwärtige Verwandtenbagage auf dem Halse. Amadeus, wie redest du! rief der Alte erschreckt. Diese Sängerin kann uns keine Ehre bringen, fuhr jener fort. Wer weiß, was das saubere Stück schon für Fahrten vollführt hat, seit es als Kind von Cuba geflüchtet und in aller Welt herumgekommen ist. Schon die Halsband¬ geschichte allein würde genügen, uns für immer lächerlich zu machen, wenn wir diese nette Cousine anerkennen wollten. Wir müssen so schon alles aufbieten, die Geschichte zu ersticken, damit nicht gegen unsern Willen die Abkunft dieser Cubancrin öffentlich wird. Ich habe vorläufig an alle Blätter, die von uns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/532>, abgerufen am 26.06.2024.