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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Lin Abend bei den musikalischen Meiningern.

begegnet ist -- den Holzbläsern mehr zugetraut hat, als sie leisten können.
Beide Klarinetten und die erste Oboe -- wunderlicherweise pausirt die zweite --
sollen ein Motiv des zweiten Themas zwei Takte lang herausbringen an einem
Punkte, wo das ganze Streichorchester sich in einem mächtigen drosoenäo in ein
Portissiirw stürzt. Vou selber kommt der Effekt nicht. Entweder man hört die
Bläsermelodie nicht, und dann fehlt der eigentliche Inhalt der zwei Takte: die
Klage. Oder die Geigen lassen das <ur"Z806nao weg, dann fehlt die charakteristische
Eigenschaft der Klage, die Erregung, in der sie hier zum Ausdruck kommen soll.
Dirigenten von gewöhnlichem Schlage kümmern sich wenig um solche "Kleinig¬
keiten"; ihnen verschlägt es nichts, wenn das Publikum dann und wann
annehmen muß, der Komponist murmele etwas in den Bart, was kein
Mensch verstehen kann. Ein ernster Künstler von Verstand setzt aber an
solchen Punkten gerade während der Proben ein. Bülow hatte das mit aus¬
gezeichnetem Erfolge gethan und die betreffenden Holzbläser zu einer so unge¬
wöhnlich vollen Tongebung vermocht, daß das Streichorchester sich in der
Ausführung des vorgeschriebenen Orssoönäc, kaum etliche Mäßigung aufzulegen
nötig hatte.

Im Verlaufe des Konzerts waren noch eine große Anzahl von Beispielen
äußerster und von schönster Wirkung belohnter Kraftanstrengung seitens der
Holzbläser zu bemerken. So namentlich in dem sogenannten Trauermarsch der
Eroica, wo namentlich die beiden Klarinetten ihren Eintritt im Fugato, der
bei den Aufführungen, wie man sie im Dutzend zu treffen pflegt, so mit weg¬
gespielt zu werden pflegt, zu einem sehr ergreifenden Ausdruck gelaugte.

Die Leser haben aus dem bisher Angeführten bereits einen Teil des Pro¬
gramms jenes ersten Konzerts, welches die Meininger in Hamburg gaben, er¬
fahren: die Coriolanouvertüre und die Eroica. Auch die übrigen Nummern
waren Veethovensche Kompositionen. Meisterwerke würde man sagen können,
wenn sich nicht darunter das Tripelkonzert befunden hätte. Die vierte noch übrige
Schöpfung war die Ouvertüre zum Egmont. Mit der Wiedergabe dieser Ouver¬
türe hat Bülow besonders den Widerspruch eines Teils der Hamburger Musiker
erregt. Er hielt nämlich im Allegro das Tempo ein wenig zurück, da wo das
Motiv auftritt, welches den Eingang des Werkes, und zwar hier im breitesten,
getragensten Zeitmaße, bildet. Daß dieses Thema auch im Allegro nicht lustig
gemeint ist, giebt jedermann zu; es erhält aber bei dem flotten Rhythmus leicht
diesen falschen Ausdruck, wie man sich in Gartenkonzerten manchmal überzeugen
kann. Etwas muß hier durch den Vortrag geschehen, um der Stimmung nach¬
zuhelfen. Ein Weg ist der, daß man den Ton sehr hart und schwer gestoßen
geben läßt, ein andrer, der von Bülow gewählte, außerdem auch noch ein wenig
im Tempo zurückzuhalten. Wagner hat in seinem Pamphlet "Über das Diri-
giren" die Stelle ausführlich besprochen und mit der ihm eignen apodiktischen
Bestimmtheit ritsnnto als das einzig Nichtige bezeichnet. Wer andrer Meinung


Lin Abend bei den musikalischen Meiningern.

begegnet ist — den Holzbläsern mehr zugetraut hat, als sie leisten können.
Beide Klarinetten und die erste Oboe — wunderlicherweise pausirt die zweite —
sollen ein Motiv des zweiten Themas zwei Takte lang herausbringen an einem
Punkte, wo das ganze Streichorchester sich in einem mächtigen drosoenäo in ein
Portissiirw stürzt. Vou selber kommt der Effekt nicht. Entweder man hört die
Bläsermelodie nicht, und dann fehlt der eigentliche Inhalt der zwei Takte: die
Klage. Oder die Geigen lassen das <ur«Z806nao weg, dann fehlt die charakteristische
Eigenschaft der Klage, die Erregung, in der sie hier zum Ausdruck kommen soll.
Dirigenten von gewöhnlichem Schlage kümmern sich wenig um solche „Kleinig¬
keiten"; ihnen verschlägt es nichts, wenn das Publikum dann und wann
annehmen muß, der Komponist murmele etwas in den Bart, was kein
Mensch verstehen kann. Ein ernster Künstler von Verstand setzt aber an
solchen Punkten gerade während der Proben ein. Bülow hatte das mit aus¬
gezeichnetem Erfolge gethan und die betreffenden Holzbläser zu einer so unge¬
wöhnlich vollen Tongebung vermocht, daß das Streichorchester sich in der
Ausführung des vorgeschriebenen Orssoönäc, kaum etliche Mäßigung aufzulegen
nötig hatte.

Im Verlaufe des Konzerts waren noch eine große Anzahl von Beispielen
äußerster und von schönster Wirkung belohnter Kraftanstrengung seitens der
Holzbläser zu bemerken. So namentlich in dem sogenannten Trauermarsch der
Eroica, wo namentlich die beiden Klarinetten ihren Eintritt im Fugato, der
bei den Aufführungen, wie man sie im Dutzend zu treffen pflegt, so mit weg¬
gespielt zu werden pflegt, zu einem sehr ergreifenden Ausdruck gelaugte.

Die Leser haben aus dem bisher Angeführten bereits einen Teil des Pro¬
gramms jenes ersten Konzerts, welches die Meininger in Hamburg gaben, er¬
fahren: die Coriolanouvertüre und die Eroica. Auch die übrigen Nummern
waren Veethovensche Kompositionen. Meisterwerke würde man sagen können,
wenn sich nicht darunter das Tripelkonzert befunden hätte. Die vierte noch übrige
Schöpfung war die Ouvertüre zum Egmont. Mit der Wiedergabe dieser Ouver¬
türe hat Bülow besonders den Widerspruch eines Teils der Hamburger Musiker
erregt. Er hielt nämlich im Allegro das Tempo ein wenig zurück, da wo das
Motiv auftritt, welches den Eingang des Werkes, und zwar hier im breitesten,
getragensten Zeitmaße, bildet. Daß dieses Thema auch im Allegro nicht lustig
gemeint ist, giebt jedermann zu; es erhält aber bei dem flotten Rhythmus leicht
diesen falschen Ausdruck, wie man sich in Gartenkonzerten manchmal überzeugen
kann. Etwas muß hier durch den Vortrag geschehen, um der Stimmung nach¬
zuhelfen. Ein Weg ist der, daß man den Ton sehr hart und schwer gestoßen
geben läßt, ein andrer, der von Bülow gewählte, außerdem auch noch ein wenig
im Tempo zurückzuhalten. Wagner hat in seinem Pamphlet „Über das Diri-
giren" die Stelle ausführlich besprochen und mit der ihm eignen apodiktischen
Bestimmtheit ritsnnto als das einzig Nichtige bezeichnet. Wer andrer Meinung


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[0522] Lin Abend bei den musikalischen Meiningern. begegnet ist — den Holzbläsern mehr zugetraut hat, als sie leisten können. Beide Klarinetten und die erste Oboe — wunderlicherweise pausirt die zweite — sollen ein Motiv des zweiten Themas zwei Takte lang herausbringen an einem Punkte, wo das ganze Streichorchester sich in einem mächtigen drosoenäo in ein Portissiirw stürzt. Vou selber kommt der Effekt nicht. Entweder man hört die Bläsermelodie nicht, und dann fehlt der eigentliche Inhalt der zwei Takte: die Klage. Oder die Geigen lassen das <ur«Z806nao weg, dann fehlt die charakteristische Eigenschaft der Klage, die Erregung, in der sie hier zum Ausdruck kommen soll. Dirigenten von gewöhnlichem Schlage kümmern sich wenig um solche „Kleinig¬ keiten"; ihnen verschlägt es nichts, wenn das Publikum dann und wann annehmen muß, der Komponist murmele etwas in den Bart, was kein Mensch verstehen kann. Ein ernster Künstler von Verstand setzt aber an solchen Punkten gerade während der Proben ein. Bülow hatte das mit aus¬ gezeichnetem Erfolge gethan und die betreffenden Holzbläser zu einer so unge¬ wöhnlich vollen Tongebung vermocht, daß das Streichorchester sich in der Ausführung des vorgeschriebenen Orssoönäc, kaum etliche Mäßigung aufzulegen nötig hatte. Im Verlaufe des Konzerts waren noch eine große Anzahl von Beispielen äußerster und von schönster Wirkung belohnter Kraftanstrengung seitens der Holzbläser zu bemerken. So namentlich in dem sogenannten Trauermarsch der Eroica, wo namentlich die beiden Klarinetten ihren Eintritt im Fugato, der bei den Aufführungen, wie man sie im Dutzend zu treffen pflegt, so mit weg¬ gespielt zu werden pflegt, zu einem sehr ergreifenden Ausdruck gelaugte. Die Leser haben aus dem bisher Angeführten bereits einen Teil des Pro¬ gramms jenes ersten Konzerts, welches die Meininger in Hamburg gaben, er¬ fahren: die Coriolanouvertüre und die Eroica. Auch die übrigen Nummern waren Veethovensche Kompositionen. Meisterwerke würde man sagen können, wenn sich nicht darunter das Tripelkonzert befunden hätte. Die vierte noch übrige Schöpfung war die Ouvertüre zum Egmont. Mit der Wiedergabe dieser Ouver¬ türe hat Bülow besonders den Widerspruch eines Teils der Hamburger Musiker erregt. Er hielt nämlich im Allegro das Tempo ein wenig zurück, da wo das Motiv auftritt, welches den Eingang des Werkes, und zwar hier im breitesten, getragensten Zeitmaße, bildet. Daß dieses Thema auch im Allegro nicht lustig gemeint ist, giebt jedermann zu; es erhält aber bei dem flotten Rhythmus leicht diesen falschen Ausdruck, wie man sich in Gartenkonzerten manchmal überzeugen kann. Etwas muß hier durch den Vortrag geschehen, um der Stimmung nach¬ zuhelfen. Ein Weg ist der, daß man den Ton sehr hart und schwer gestoßen geben läßt, ein andrer, der von Bülow gewählte, außerdem auch noch ein wenig im Tempo zurückzuhalten. Wagner hat in seinem Pamphlet „Über das Diri- giren" die Stelle ausführlich besprochen und mit der ihm eignen apodiktischen Bestimmtheit ritsnnto als das einzig Nichtige bezeichnet. Wer andrer Meinung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/522>, abgerufen am 26.06.2024.