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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Lin Abend bei den musikalischen Meiningern.

Da wir einmal beim Polemistren sind, so sei gleich noch eines Kuriosums
gedacht. Der Redakteur eines neuen Berliner Musikblattes, welches es sich zur
Spezialität macht, den bekannten und in seiner gewandten Art ja recht schätz¬
baren Wiener Feuilletonisten Hanslick zum Ästhetiker und Musikphilosopheu auf¬
zublasen, hat es besonders gerügt, daß die Meininger beim Spielen nicht sitzen.
Die Meininger mögen ja stehen bleiben! Ob jener gute Mann wohl jemals eine
Geige im Arm gehalten hat? Das Sitzen der Orchestermusiker stammt noch aus
den gemütlichen Zeiten der Instrumentalmusik, es will sich mit dem großen Ton
und den wuchtigen Accenten, welche eine Beethovensche Sinfonie fordert, nicht
mehr vertragen. Im Operndienst ist es noch am Platze, wenn Rossinis "Barbier"
und Werke von Donizetti, Bellini, Ander und andern dramatischen Komponisten
gegeben werden, welche das Orchester wie eine Guitarre verwenden. Die Wagner-
schen Opern würden unsre Herren Violinisten viel lieber stehend spielen, wenn
diese nicht vier und fünf Stunden lang dauerten.

Also die Meininger standen im Konzertsaale zu Hamburg. Einzelne standen
schon eine halbe Stunde vor dem Beginn des Konzertes da, wahrscheinlich
um mit dem Terrain vertraut zu werden. Allmählich hörte man stimmen und
präludiren; im Hintergrunde an die Seitenwand der Orgel gelehnt übte der
Svlocellist der Kapelle noch schnell einige notwendige Passagen, und je näher
die Konzertzeit heranrückte, umsomehr wuchs jener vielfarbige, durch Blasen,
Zupfen und Streichen hervorgebrachte Lärm, der für die Neger den Hciuptrciz
an deutschen Orchestern bildet. Mit der militärischen Tyrannei, welche Herr
von Bülow nach den mitleidsvollen Andeutungen einiger Berliner Referenten
über die Kapelle ausüben soll, stimmt die so gemütliche Unsitte allerdings nicht.
Auch nicht der andere Umstand, daß das Konzert nicht prcizis mit der Minute
begann. Endlich erschien der Intendant, von dem zahlreichen Publikum freund¬
lich bewillkommnet. Er hebt den Stock, und ein Donner rollt mächtig grollend
durch das Orchester. Das ist die Coriolauouvertüre. Der Einsatz, der Bogen,
den sie führten, bewies, daß die Meininger wußten, was Beethoven mit diesem
langen Tone gewollt hat. Und wie vom ersten Takte ab, so blieb es bis zum
Ende des Werkes ganz unverkennbar gewiß: dem Vortrage lag ein klares Ver¬
ständnis des Gedankenganges der Komposition zu Grunde.

Von dem vormaligen Leipziger Paukenschläger Pfunde, von dem Darmstädter
Kontrabassisten August Müller, den man sich auf die Musikfeste holte, und von
manchen andern weithin renommirtcn Orchcstcrmnsikern sagte man, sie spielten
ihre Stimme "wie aus der Partitur." Nun wohl, dies konnte man den Meiningern
während der Coriolanouvertüre sammt und sonders nachrühmen. An jedem Pult
wirkten Pfundte. Das Werk klang infolge dessen auch wirklich so, wie es ein
kundiger Musiker beim Lesen der Partitur innerlich hört. Und das ist gerade
bei der Coriolanouvertüre keine so selbstverständliche Sache. Sie enthält zwei
Stellen, wo Beethoven -- wie ihm dies in seinen spätern Werken sehr häufig


Grenzboten I. 1882. 6ü
Lin Abend bei den musikalischen Meiningern.

Da wir einmal beim Polemistren sind, so sei gleich noch eines Kuriosums
gedacht. Der Redakteur eines neuen Berliner Musikblattes, welches es sich zur
Spezialität macht, den bekannten und in seiner gewandten Art ja recht schätz¬
baren Wiener Feuilletonisten Hanslick zum Ästhetiker und Musikphilosopheu auf¬
zublasen, hat es besonders gerügt, daß die Meininger beim Spielen nicht sitzen.
Die Meininger mögen ja stehen bleiben! Ob jener gute Mann wohl jemals eine
Geige im Arm gehalten hat? Das Sitzen der Orchestermusiker stammt noch aus
den gemütlichen Zeiten der Instrumentalmusik, es will sich mit dem großen Ton
und den wuchtigen Accenten, welche eine Beethovensche Sinfonie fordert, nicht
mehr vertragen. Im Operndienst ist es noch am Platze, wenn Rossinis „Barbier"
und Werke von Donizetti, Bellini, Ander und andern dramatischen Komponisten
gegeben werden, welche das Orchester wie eine Guitarre verwenden. Die Wagner-
schen Opern würden unsre Herren Violinisten viel lieber stehend spielen, wenn
diese nicht vier und fünf Stunden lang dauerten.

Also die Meininger standen im Konzertsaale zu Hamburg. Einzelne standen
schon eine halbe Stunde vor dem Beginn des Konzertes da, wahrscheinlich
um mit dem Terrain vertraut zu werden. Allmählich hörte man stimmen und
präludiren; im Hintergrunde an die Seitenwand der Orgel gelehnt übte der
Svlocellist der Kapelle noch schnell einige notwendige Passagen, und je näher
die Konzertzeit heranrückte, umsomehr wuchs jener vielfarbige, durch Blasen,
Zupfen und Streichen hervorgebrachte Lärm, der für die Neger den Hciuptrciz
an deutschen Orchestern bildet. Mit der militärischen Tyrannei, welche Herr
von Bülow nach den mitleidsvollen Andeutungen einiger Berliner Referenten
über die Kapelle ausüben soll, stimmt die so gemütliche Unsitte allerdings nicht.
Auch nicht der andere Umstand, daß das Konzert nicht prcizis mit der Minute
begann. Endlich erschien der Intendant, von dem zahlreichen Publikum freund¬
lich bewillkommnet. Er hebt den Stock, und ein Donner rollt mächtig grollend
durch das Orchester. Das ist die Coriolauouvertüre. Der Einsatz, der Bogen,
den sie führten, bewies, daß die Meininger wußten, was Beethoven mit diesem
langen Tone gewollt hat. Und wie vom ersten Takte ab, so blieb es bis zum
Ende des Werkes ganz unverkennbar gewiß: dem Vortrage lag ein klares Ver¬
ständnis des Gedankenganges der Komposition zu Grunde.

Von dem vormaligen Leipziger Paukenschläger Pfunde, von dem Darmstädter
Kontrabassisten August Müller, den man sich auf die Musikfeste holte, und von
manchen andern weithin renommirtcn Orchcstcrmnsikern sagte man, sie spielten
ihre Stimme „wie aus der Partitur." Nun wohl, dies konnte man den Meiningern
während der Coriolanouvertüre sammt und sonders nachrühmen. An jedem Pult
wirkten Pfundte. Das Werk klang infolge dessen auch wirklich so, wie es ein
kundiger Musiker beim Lesen der Partitur innerlich hört. Und das ist gerade
bei der Coriolanouvertüre keine so selbstverständliche Sache. Sie enthält zwei
Stellen, wo Beethoven — wie ihm dies in seinen spätern Werken sehr häufig


Grenzboten I. 1882. 6ü
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/521>, abgerufen am 26.06.2024.