Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Litt Abend bei den musikalischen Meininger".

ventsaal. Nebenbei bemerkt: dieser Saal ist el" vortreffliches Konzertlokal, an dem
sich nichts bemängeln läßt als die Wahl der Komponisten, deren Namen die Wände
zieren. Wie kommen Marschiier und .Kreuzer hierher, in eine Reihe mit Bach,
und Beethoven und überhaupt unter die ^vuzertkompvnistcn? Der Saal
ist geräumig, er faßt 2000 Zuhörer; eine Orgel schließt das Orchestcrpvdium ab,
und die Akustik ist vortrefflich. Die Philharmoniker spielen hier mit 19 ersten Vio¬
linen; die Meininger brachten deren nur zehn mit, und doch füllte den Saal ein
schöner, runder Klang. Ans diesen Umstand können sich die Erbauer des Saales
etwas zu Gute thun, aber auch die Meininger Hofkapelle. Wir sagen letzteres
ausdrücklich, und zwar deshalb, weil ein Teil der Berliner Kritiker den Leistun¬
gen des Meiuüigcr Orchesters den Wohlklang mehr oder weniger abgesprochen
hat. Seit wann sind die Herren so sehr verwöhnt? Ich habe in Berlin zeit¬
weilig recht unangenehmen Fagvttklang gehört, und zwar in den Sinfoniesoireen
der königlichen Kapelle. Einzelne Berliner Referenten haben geradezu behauptet,
das Verdienst Bülows bestehe darin, daß er mit "diesen untergeordneten Kräften"
so "interessante" Aufführungen erziele. Diese Kräfte sind aber keine "unter¬
geordneten." Wer in den Orchesterverhältnisse" Deutschlands Bescheid weiß,
sucht überhaupt in den Hofkapellen keine untergeordneten Kräfte. In den
königlichen und kaiserlichen Kapellen von München, Wien und Berlin sitzen
zwar mehr virtuose Solospieler als in Meinungen und Nenstrelitz, und unter
den dort verwendeten Streichinstrumenten befindet sich eine größere Zahl guter
italienischer Exemplare. Aber schlechte Geigen haben die Meininger nicht, und
die Mitglieder der Kapelle sind alle technisch und musikalisch wohlgeschulte
Spieler. Die Kapelle war schon lange vor Bülow in gutem Stande und ist
immer von tüchtige" Kapellmeistern geleitet wordeu. Sie hat auch unter ihren
Konzertmeistern und ihren Bläser" häufig ausgezeichnete Virtnosen aufzählen
können. Zur selben Zeit gehörten ihr I. I. Bott, einer der besten Schüler
Spohrs, als Dirigent, und das zweite Mullersche Quartett an. Der erste
Klarinettist, den sie jetzt besitzt, ist als Orchestcrspieler eine Kraft ersten Ranges,
und ich möchte mich uicht anheischig mache", nur drei Kollegen von ihm in
Deutschland anzubringen, die sich mit dem Manne messen könnten. Was hat
dieser Künstler für einen eigentümlich vibrirenden, rührende" Ton in zarten
Kantilenen, und was weiß er wieder dem schmalen Rohre für mächtige, starke
Klangsäulen zu erpressen, wenn die Klarinette ein wichtiges, langtöniges Motiv
gegen die Wucht des Streichorchesters zu behaupten hat! Durch ganz abge¬
zeichnete Leistungen sind auch die Meininger Trompeten und Posaunen bemerkbar.
Ihnen vor allen kann man nachsagen, was im Grnnde von sämmtlichen Mei¬
ninger Kapellmitgliedern gilt: sie sind den Aufgaben der Orchesterwerke technisch
vollkommen gewachsen und führen sie als gute Musiker durch. Dies Lob ist
das höchste, das man einer Kapelle zollen kann.


Litt Abend bei den musikalischen Meininger«.

ventsaal. Nebenbei bemerkt: dieser Saal ist el» vortreffliches Konzertlokal, an dem
sich nichts bemängeln läßt als die Wahl der Komponisten, deren Namen die Wände
zieren. Wie kommen Marschiier und .Kreuzer hierher, in eine Reihe mit Bach,
und Beethoven und überhaupt unter die ^vuzertkompvnistcn? Der Saal
ist geräumig, er faßt 2000 Zuhörer; eine Orgel schließt das Orchestcrpvdium ab,
und die Akustik ist vortrefflich. Die Philharmoniker spielen hier mit 19 ersten Vio¬
linen; die Meininger brachten deren nur zehn mit, und doch füllte den Saal ein
schöner, runder Klang. Ans diesen Umstand können sich die Erbauer des Saales
etwas zu Gute thun, aber auch die Meininger Hofkapelle. Wir sagen letzteres
ausdrücklich, und zwar deshalb, weil ein Teil der Berliner Kritiker den Leistun¬
gen des Meiuüigcr Orchesters den Wohlklang mehr oder weniger abgesprochen
hat. Seit wann sind die Herren so sehr verwöhnt? Ich habe in Berlin zeit¬
weilig recht unangenehmen Fagvttklang gehört, und zwar in den Sinfoniesoireen
der königlichen Kapelle. Einzelne Berliner Referenten haben geradezu behauptet,
das Verdienst Bülows bestehe darin, daß er mit „diesen untergeordneten Kräften"
so „interessante" Aufführungen erziele. Diese Kräfte sind aber keine „unter¬
geordneten." Wer in den Orchesterverhältnisse» Deutschlands Bescheid weiß,
sucht überhaupt in den Hofkapellen keine untergeordneten Kräfte. In den
königlichen und kaiserlichen Kapellen von München, Wien und Berlin sitzen
zwar mehr virtuose Solospieler als in Meinungen und Nenstrelitz, und unter
den dort verwendeten Streichinstrumenten befindet sich eine größere Zahl guter
italienischer Exemplare. Aber schlechte Geigen haben die Meininger nicht, und
die Mitglieder der Kapelle sind alle technisch und musikalisch wohlgeschulte
Spieler. Die Kapelle war schon lange vor Bülow in gutem Stande und ist
immer von tüchtige» Kapellmeistern geleitet wordeu. Sie hat auch unter ihren
Konzertmeistern und ihren Bläser» häufig ausgezeichnete Virtnosen aufzählen
können. Zur selben Zeit gehörten ihr I. I. Bott, einer der besten Schüler
Spohrs, als Dirigent, und das zweite Mullersche Quartett an. Der erste
Klarinettist, den sie jetzt besitzt, ist als Orchestcrspieler eine Kraft ersten Ranges,
und ich möchte mich uicht anheischig mache», nur drei Kollegen von ihm in
Deutschland anzubringen, die sich mit dem Manne messen könnten. Was hat
dieser Künstler für einen eigentümlich vibrirenden, rührende» Ton in zarten
Kantilenen, und was weiß er wieder dem schmalen Rohre für mächtige, starke
Klangsäulen zu erpressen, wenn die Klarinette ein wichtiges, langtöniges Motiv
gegen die Wucht des Streichorchesters zu behaupten hat! Durch ganz abge¬
zeichnete Leistungen sind auch die Meininger Trompeten und Posaunen bemerkbar.
Ihnen vor allen kann man nachsagen, was im Grnnde von sämmtlichen Mei¬
ninger Kapellmitgliedern gilt: sie sind den Aufgaben der Orchesterwerke technisch
vollkommen gewachsen und führen sie als gute Musiker durch. Dies Lob ist
das höchste, das man einer Kapelle zollen kann.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0520" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86641"/>
          <fw type="header" place="top"> Litt Abend bei den musikalischen Meininger«.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2123" prev="#ID_2122"> ventsaal. Nebenbei bemerkt: dieser Saal ist el» vortreffliches Konzertlokal, an dem<lb/>
sich nichts bemängeln läßt als die Wahl der Komponisten, deren Namen die Wände<lb/>
zieren. Wie kommen Marschiier und .Kreuzer hierher, in eine Reihe mit Bach,<lb/>
und Beethoven und überhaupt unter die ^vuzertkompvnistcn? Der Saal<lb/>
ist geräumig, er faßt 2000 Zuhörer; eine Orgel schließt das Orchestcrpvdium ab,<lb/>
und die Akustik ist vortrefflich. Die Philharmoniker spielen hier mit 19 ersten Vio¬<lb/>
linen; die Meininger brachten deren nur zehn mit, und doch füllte den Saal ein<lb/>
schöner, runder Klang. Ans diesen Umstand können sich die Erbauer des Saales<lb/>
etwas zu Gute thun, aber auch die Meininger Hofkapelle. Wir sagen letzteres<lb/>
ausdrücklich, und zwar deshalb, weil ein Teil der Berliner Kritiker den Leistun¬<lb/>
gen des Meiuüigcr Orchesters den Wohlklang mehr oder weniger abgesprochen<lb/>
hat. Seit wann sind die Herren so sehr verwöhnt? Ich habe in Berlin zeit¬<lb/>
weilig recht unangenehmen Fagvttklang gehört, und zwar in den Sinfoniesoireen<lb/>
der königlichen Kapelle. Einzelne Berliner Referenten haben geradezu behauptet,<lb/>
das Verdienst Bülows bestehe darin, daß er mit &#x201E;diesen untergeordneten Kräften"<lb/>
so &#x201E;interessante" Aufführungen erziele. Diese Kräfte sind aber keine &#x201E;unter¬<lb/>
geordneten." Wer in den Orchesterverhältnisse» Deutschlands Bescheid weiß,<lb/>
sucht überhaupt in den Hofkapellen keine untergeordneten Kräfte. In den<lb/>
königlichen und kaiserlichen Kapellen von München, Wien und Berlin sitzen<lb/>
zwar mehr virtuose Solospieler als in Meinungen und Nenstrelitz, und unter<lb/>
den dort verwendeten Streichinstrumenten befindet sich eine größere Zahl guter<lb/>
italienischer Exemplare. Aber schlechte Geigen haben die Meininger nicht, und<lb/>
die Mitglieder der Kapelle sind alle technisch und musikalisch wohlgeschulte<lb/>
Spieler. Die Kapelle war schon lange vor Bülow in gutem Stande und ist<lb/>
immer von tüchtige» Kapellmeistern geleitet wordeu. Sie hat auch unter ihren<lb/>
Konzertmeistern und ihren Bläser» häufig ausgezeichnete Virtnosen aufzählen<lb/>
können. Zur selben Zeit gehörten ihr I. I. Bott, einer der besten Schüler<lb/>
Spohrs, als Dirigent, und das zweite Mullersche Quartett an. Der erste<lb/>
Klarinettist, den sie jetzt besitzt, ist als Orchestcrspieler eine Kraft ersten Ranges,<lb/>
und ich möchte mich uicht anheischig mache», nur drei Kollegen von ihm in<lb/>
Deutschland anzubringen, die sich mit dem Manne messen könnten. Was hat<lb/>
dieser Künstler für einen eigentümlich vibrirenden, rührende» Ton in zarten<lb/>
Kantilenen, und was weiß er wieder dem schmalen Rohre für mächtige, starke<lb/>
Klangsäulen zu erpressen, wenn die Klarinette ein wichtiges, langtöniges Motiv<lb/>
gegen die Wucht des Streichorchesters zu behaupten hat! Durch ganz abge¬<lb/>
zeichnete Leistungen sind auch die Meininger Trompeten und Posaunen bemerkbar.<lb/>
Ihnen vor allen kann man nachsagen, was im Grnnde von sämmtlichen Mei¬<lb/>
ninger Kapellmitgliedern gilt: sie sind den Aufgaben der Orchesterwerke technisch<lb/>
vollkommen gewachsen und führen sie als gute Musiker durch. Dies Lob ist<lb/>
das höchste, das man einer Kapelle zollen kann.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0520] Litt Abend bei den musikalischen Meininger«. ventsaal. Nebenbei bemerkt: dieser Saal ist el» vortreffliches Konzertlokal, an dem sich nichts bemängeln läßt als die Wahl der Komponisten, deren Namen die Wände zieren. Wie kommen Marschiier und .Kreuzer hierher, in eine Reihe mit Bach, und Beethoven und überhaupt unter die ^vuzertkompvnistcn? Der Saal ist geräumig, er faßt 2000 Zuhörer; eine Orgel schließt das Orchestcrpvdium ab, und die Akustik ist vortrefflich. Die Philharmoniker spielen hier mit 19 ersten Vio¬ linen; die Meininger brachten deren nur zehn mit, und doch füllte den Saal ein schöner, runder Klang. Ans diesen Umstand können sich die Erbauer des Saales etwas zu Gute thun, aber auch die Meininger Hofkapelle. Wir sagen letzteres ausdrücklich, und zwar deshalb, weil ein Teil der Berliner Kritiker den Leistun¬ gen des Meiuüigcr Orchesters den Wohlklang mehr oder weniger abgesprochen hat. Seit wann sind die Herren so sehr verwöhnt? Ich habe in Berlin zeit¬ weilig recht unangenehmen Fagvttklang gehört, und zwar in den Sinfoniesoireen der königlichen Kapelle. Einzelne Berliner Referenten haben geradezu behauptet, das Verdienst Bülows bestehe darin, daß er mit „diesen untergeordneten Kräften" so „interessante" Aufführungen erziele. Diese Kräfte sind aber keine „unter¬ geordneten." Wer in den Orchesterverhältnisse» Deutschlands Bescheid weiß, sucht überhaupt in den Hofkapellen keine untergeordneten Kräfte. In den königlichen und kaiserlichen Kapellen von München, Wien und Berlin sitzen zwar mehr virtuose Solospieler als in Meinungen und Nenstrelitz, und unter den dort verwendeten Streichinstrumenten befindet sich eine größere Zahl guter italienischer Exemplare. Aber schlechte Geigen haben die Meininger nicht, und die Mitglieder der Kapelle sind alle technisch und musikalisch wohlgeschulte Spieler. Die Kapelle war schon lange vor Bülow in gutem Stande und ist immer von tüchtige» Kapellmeistern geleitet wordeu. Sie hat auch unter ihren Konzertmeistern und ihren Bläser» häufig ausgezeichnete Virtnosen aufzählen können. Zur selben Zeit gehörten ihr I. I. Bott, einer der besten Schüler Spohrs, als Dirigent, und das zweite Mullersche Quartett an. Der erste Klarinettist, den sie jetzt besitzt, ist als Orchestcrspieler eine Kraft ersten Ranges, und ich möchte mich uicht anheischig mache», nur drei Kollegen von ihm in Deutschland anzubringen, die sich mit dem Manne messen könnten. Was hat dieser Künstler für einen eigentümlich vibrirenden, rührende» Ton in zarten Kantilenen, und was weiß er wieder dem schmalen Rohre für mächtige, starke Klangsäulen zu erpressen, wenn die Klarinette ein wichtiges, langtöniges Motiv gegen die Wucht des Streichorchesters zu behaupten hat! Durch ganz abge¬ zeichnete Leistungen sind auch die Meininger Trompeten und Posaunen bemerkbar. Ihnen vor allen kann man nachsagen, was im Grnnde von sämmtlichen Mei¬ ninger Kapellmitgliedern gilt: sie sind den Aufgaben der Orchesterwerke technisch vollkommen gewachsen und führen sie als gute Musiker durch. Dies Lob ist das höchste, das man einer Kapelle zollen kann.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/520
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/520>, abgerufen am 26.06.2024.