Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein Abend bei den musikalischen Meiningern,

des Satzes reichen Beifall, Ein andermal lockt uns die Extraaufführung der
berühmten "Neunten" in den Konzertsaal. Die Violinen sind schwach besetzt,
der Chor, der den letzten Satz tragen soll, wird von dem Lärm des Bleches
verschlungen. Es ist nicht ein "Jubel," den wir hören, nur dann und wann
ein Hilferuf. Der Dirigent ist einer jener "gebildeten" geschniegelten Musiker,
die alles glätten. Es ist ihm gelungen, in dem grandiosen Tongemälde alle
Höhen abzutragen und die Thäler auszufüllen; von Beethoven ist wenig übrig
geblieben. Gott sei Dank -- endlich ist es vorbei! Das Publikum aber jauchzt.
War es doch die nennte Sinfonie von Beethoven, und der Herr Hofkapellmeister
hat sie dirigirt. Geht nach Hause, ihr guten Leute -- euer Glaube hat euch geholfen!

Schließlich ist man in Deutschland dahin gekommen, die Beethovenschen
Sinfonien in Gartenkvnzerten zu spielen, und die Dirigenten, welche zu einem
solchen Unternehmen die Stirn haben, werden noch wegen ihrer Verdienste um
die "Pvpulcirisirung" der klassischen Meisterwerke gepriesen, wohl anch dekorirt.
O über diese Popularisirung! Man denke sich eine Musik, deren Verständnis
vom genauesten Erkennen der subtilsten und intimsten Wendungen abhängig ist,
im Freien! Die Barbarei wäre nicht viel größer, wenn man eine Naphaelsche
Madonna außen am Hause unter der Dachtraufe aufstellte! Es war weniger
unerhört, als vielmehr nur eine Konsequenz von dieser Verwendung als Garten¬
musik, wenn der Dirigent einer städtischen Kapelle zu mehreren der Beethovenschen
Sinfonien eine Baßposauue hinzuschrieb.

Das sind nur einige wenige Beweise dafür, daß die Pflege unsrer klassischen
Meister von feiten der Orchester in Deutschland gar manches zu wünschen übrig
läßt. Der Vorwurf schwungloser, geistesarmer und unklarer Ausführung klas¬
sischer, namentlich Beethvvenscher Orchesterwerke trifft zwar nicht alle Kouzert-
institnte, aber er drängt sich zuweilen an Stellen auf, wo man es nicht er¬
warten sollte.

Es ist deshalb jedenfalls erfreulich, wenn sich ein Institut wie die Meininger
Hofkapelle aufmacht, um der musikalischen Welt zu zeigen, wie Beethoven klingen
soll. In Berlin fand das Auftreten der neuen Meininger einen großen, großen
Beifall, der aus mehrfachen Gründen überraschen konnte. Die Berliner sind
nicht rasch im Anerkennen; und dann: sollten die Berliner in ihren eignen
Mauern nicht gleich gute Orchestervorträge haben, wie sie die Meininger zu
bieten vermögen? Nicht durch Joachim, den ersten Meister des Vortrags mit
seiner Hochschule; uicht durch -- Taubert, der mit der königlichen Hofkapelle, w^cum
er will, so schön zu spielen weiß, als man sich's nur denken kann? Es ist
kein Zweifel, die enthusiastische Bewunderung, welche die Berliner den Vorträgen
der Meininger Hofkapelle zollten, beruht zum Teil auf Eindrücken, welche
auf Bilse und seine Wiedergabe Beethvvenscher Sinfonien zurückzuführen sind.

Als die Meininger Künstler nach Hamburg kamen, führte der Grundsatz
"Selbst zu hören ist das Beste" auch den Schreiber dieser Zeilen in den Kor-


Ein Abend bei den musikalischen Meiningern,

des Satzes reichen Beifall, Ein andermal lockt uns die Extraaufführung der
berühmten „Neunten" in den Konzertsaal. Die Violinen sind schwach besetzt,
der Chor, der den letzten Satz tragen soll, wird von dem Lärm des Bleches
verschlungen. Es ist nicht ein „Jubel," den wir hören, nur dann und wann
ein Hilferuf. Der Dirigent ist einer jener „gebildeten" geschniegelten Musiker,
die alles glätten. Es ist ihm gelungen, in dem grandiosen Tongemälde alle
Höhen abzutragen und die Thäler auszufüllen; von Beethoven ist wenig übrig
geblieben. Gott sei Dank — endlich ist es vorbei! Das Publikum aber jauchzt.
War es doch die nennte Sinfonie von Beethoven, und der Herr Hofkapellmeister
hat sie dirigirt. Geht nach Hause, ihr guten Leute — euer Glaube hat euch geholfen!

Schließlich ist man in Deutschland dahin gekommen, die Beethovenschen
Sinfonien in Gartenkvnzerten zu spielen, und die Dirigenten, welche zu einem
solchen Unternehmen die Stirn haben, werden noch wegen ihrer Verdienste um
die „Pvpulcirisirung" der klassischen Meisterwerke gepriesen, wohl anch dekorirt.
O über diese Popularisirung! Man denke sich eine Musik, deren Verständnis
vom genauesten Erkennen der subtilsten und intimsten Wendungen abhängig ist,
im Freien! Die Barbarei wäre nicht viel größer, wenn man eine Naphaelsche
Madonna außen am Hause unter der Dachtraufe aufstellte! Es war weniger
unerhört, als vielmehr nur eine Konsequenz von dieser Verwendung als Garten¬
musik, wenn der Dirigent einer städtischen Kapelle zu mehreren der Beethovenschen
Sinfonien eine Baßposauue hinzuschrieb.

Das sind nur einige wenige Beweise dafür, daß die Pflege unsrer klassischen
Meister von feiten der Orchester in Deutschland gar manches zu wünschen übrig
läßt. Der Vorwurf schwungloser, geistesarmer und unklarer Ausführung klas¬
sischer, namentlich Beethvvenscher Orchesterwerke trifft zwar nicht alle Kouzert-
institnte, aber er drängt sich zuweilen an Stellen auf, wo man es nicht er¬
warten sollte.

Es ist deshalb jedenfalls erfreulich, wenn sich ein Institut wie die Meininger
Hofkapelle aufmacht, um der musikalischen Welt zu zeigen, wie Beethoven klingen
soll. In Berlin fand das Auftreten der neuen Meininger einen großen, großen
Beifall, der aus mehrfachen Gründen überraschen konnte. Die Berliner sind
nicht rasch im Anerkennen; und dann: sollten die Berliner in ihren eignen
Mauern nicht gleich gute Orchestervorträge haben, wie sie die Meininger zu
bieten vermögen? Nicht durch Joachim, den ersten Meister des Vortrags mit
seiner Hochschule; uicht durch — Taubert, der mit der königlichen Hofkapelle, w^cum
er will, so schön zu spielen weiß, als man sich's nur denken kann? Es ist
kein Zweifel, die enthusiastische Bewunderung, welche die Berliner den Vorträgen
der Meininger Hofkapelle zollten, beruht zum Teil auf Eindrücken, welche
auf Bilse und seine Wiedergabe Beethvvenscher Sinfonien zurückzuführen sind.

Als die Meininger Künstler nach Hamburg kamen, führte der Grundsatz
„Selbst zu hören ist das Beste" auch den Schreiber dieser Zeilen in den Kor-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0519" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86640"/>
          <fw type="header" place="top"> Ein Abend bei den musikalischen Meiningern,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2118" prev="#ID_2117"> des Satzes reichen Beifall, Ein andermal lockt uns die Extraaufführung der<lb/>
berühmten &#x201E;Neunten" in den Konzertsaal. Die Violinen sind schwach besetzt,<lb/>
der Chor, der den letzten Satz tragen soll, wird von dem Lärm des Bleches<lb/>
verschlungen. Es ist nicht ein &#x201E;Jubel," den wir hören, nur dann und wann<lb/>
ein Hilferuf. Der Dirigent ist einer jener &#x201E;gebildeten" geschniegelten Musiker,<lb/>
die alles glätten. Es ist ihm gelungen, in dem grandiosen Tongemälde alle<lb/>
Höhen abzutragen und die Thäler auszufüllen; von Beethoven ist wenig übrig<lb/>
geblieben. Gott sei Dank &#x2014; endlich ist es vorbei! Das Publikum aber jauchzt.<lb/>
War es doch die nennte Sinfonie von Beethoven, und der Herr Hofkapellmeister<lb/>
hat sie dirigirt. Geht nach Hause, ihr guten Leute &#x2014; euer Glaube hat euch geholfen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2119"> Schließlich ist man in Deutschland dahin gekommen, die Beethovenschen<lb/>
Sinfonien in Gartenkvnzerten zu spielen, und die Dirigenten, welche zu einem<lb/>
solchen Unternehmen die Stirn haben, werden noch wegen ihrer Verdienste um<lb/>
die &#x201E;Pvpulcirisirung" der klassischen Meisterwerke gepriesen, wohl anch dekorirt.<lb/>
O über diese Popularisirung! Man denke sich eine Musik, deren Verständnis<lb/>
vom genauesten Erkennen der subtilsten und intimsten Wendungen abhängig ist,<lb/>
im Freien! Die Barbarei wäre nicht viel größer, wenn man eine Naphaelsche<lb/>
Madonna außen am Hause unter der Dachtraufe aufstellte! Es war weniger<lb/>
unerhört, als vielmehr nur eine Konsequenz von dieser Verwendung als Garten¬<lb/>
musik, wenn der Dirigent einer städtischen Kapelle zu mehreren der Beethovenschen<lb/>
Sinfonien eine Baßposauue hinzuschrieb.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2120"> Das sind nur einige wenige Beweise dafür, daß die Pflege unsrer klassischen<lb/>
Meister von feiten der Orchester in Deutschland gar manches zu wünschen übrig<lb/>
läßt. Der Vorwurf schwungloser, geistesarmer und unklarer Ausführung klas¬<lb/>
sischer, namentlich Beethvvenscher Orchesterwerke trifft zwar nicht alle Kouzert-<lb/>
institnte, aber er drängt sich zuweilen an Stellen auf, wo man es nicht er¬<lb/>
warten sollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2121"> Es ist deshalb jedenfalls erfreulich, wenn sich ein Institut wie die Meininger<lb/>
Hofkapelle aufmacht, um der musikalischen Welt zu zeigen, wie Beethoven klingen<lb/>
soll. In Berlin fand das Auftreten der neuen Meininger einen großen, großen<lb/>
Beifall, der aus mehrfachen Gründen überraschen konnte. Die Berliner sind<lb/>
nicht rasch im Anerkennen; und dann: sollten die Berliner in ihren eignen<lb/>
Mauern nicht gleich gute Orchestervorträge haben, wie sie die Meininger zu<lb/>
bieten vermögen? Nicht durch Joachim, den ersten Meister des Vortrags mit<lb/>
seiner Hochschule; uicht durch &#x2014; Taubert, der mit der königlichen Hofkapelle, w^cum<lb/>
er will, so schön zu spielen weiß, als man sich's nur denken kann? Es ist<lb/>
kein Zweifel, die enthusiastische Bewunderung, welche die Berliner den Vorträgen<lb/>
der Meininger Hofkapelle zollten, beruht zum Teil auf Eindrücken, welche<lb/>
auf Bilse und seine Wiedergabe Beethvvenscher Sinfonien zurückzuführen sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2122" next="#ID_2123"> Als die Meininger Künstler nach Hamburg kamen, führte der Grundsatz<lb/>
&#x201E;Selbst zu hören ist das Beste" auch den Schreiber dieser Zeilen in den Kor-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0519] Ein Abend bei den musikalischen Meiningern, des Satzes reichen Beifall, Ein andermal lockt uns die Extraaufführung der berühmten „Neunten" in den Konzertsaal. Die Violinen sind schwach besetzt, der Chor, der den letzten Satz tragen soll, wird von dem Lärm des Bleches verschlungen. Es ist nicht ein „Jubel," den wir hören, nur dann und wann ein Hilferuf. Der Dirigent ist einer jener „gebildeten" geschniegelten Musiker, die alles glätten. Es ist ihm gelungen, in dem grandiosen Tongemälde alle Höhen abzutragen und die Thäler auszufüllen; von Beethoven ist wenig übrig geblieben. Gott sei Dank — endlich ist es vorbei! Das Publikum aber jauchzt. War es doch die nennte Sinfonie von Beethoven, und der Herr Hofkapellmeister hat sie dirigirt. Geht nach Hause, ihr guten Leute — euer Glaube hat euch geholfen! Schließlich ist man in Deutschland dahin gekommen, die Beethovenschen Sinfonien in Gartenkvnzerten zu spielen, und die Dirigenten, welche zu einem solchen Unternehmen die Stirn haben, werden noch wegen ihrer Verdienste um die „Pvpulcirisirung" der klassischen Meisterwerke gepriesen, wohl anch dekorirt. O über diese Popularisirung! Man denke sich eine Musik, deren Verständnis vom genauesten Erkennen der subtilsten und intimsten Wendungen abhängig ist, im Freien! Die Barbarei wäre nicht viel größer, wenn man eine Naphaelsche Madonna außen am Hause unter der Dachtraufe aufstellte! Es war weniger unerhört, als vielmehr nur eine Konsequenz von dieser Verwendung als Garten¬ musik, wenn der Dirigent einer städtischen Kapelle zu mehreren der Beethovenschen Sinfonien eine Baßposauue hinzuschrieb. Das sind nur einige wenige Beweise dafür, daß die Pflege unsrer klassischen Meister von feiten der Orchester in Deutschland gar manches zu wünschen übrig läßt. Der Vorwurf schwungloser, geistesarmer und unklarer Ausführung klas¬ sischer, namentlich Beethvvenscher Orchesterwerke trifft zwar nicht alle Kouzert- institnte, aber er drängt sich zuweilen an Stellen auf, wo man es nicht er¬ warten sollte. Es ist deshalb jedenfalls erfreulich, wenn sich ein Institut wie die Meininger Hofkapelle aufmacht, um der musikalischen Welt zu zeigen, wie Beethoven klingen soll. In Berlin fand das Auftreten der neuen Meininger einen großen, großen Beifall, der aus mehrfachen Gründen überraschen konnte. Die Berliner sind nicht rasch im Anerkennen; und dann: sollten die Berliner in ihren eignen Mauern nicht gleich gute Orchestervorträge haben, wie sie die Meininger zu bieten vermögen? Nicht durch Joachim, den ersten Meister des Vortrags mit seiner Hochschule; uicht durch — Taubert, der mit der königlichen Hofkapelle, w^cum er will, so schön zu spielen weiß, als man sich's nur denken kann? Es ist kein Zweifel, die enthusiastische Bewunderung, welche die Berliner den Vorträgen der Meininger Hofkapelle zollten, beruht zum Teil auf Eindrücken, welche auf Bilse und seine Wiedergabe Beethvvenscher Sinfonien zurückzuführen sind. Als die Meininger Künstler nach Hamburg kamen, führte der Grundsatz „Selbst zu hören ist das Beste" auch den Schreiber dieser Zeilen in den Kor-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/519
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/519>, abgerufen am 26.06.2024.